„Mir hilft alles, was die Sinne anspricht“

Hanna hat früh begriffen, dass sie eigentlich asexuell ist. Die 29-Jährige hat ihr Leben seitdem für sich ganz neu ausgerichtet. Die traumatischen Erlebnisse, die sie früher gemacht hat, bringt der Krieg allerdings wieder zurück. Unsere Kolumnistin Iryna Hanenkova hat Hanna getroffen.

Die Geschichte meines Lebens beginnt in Charkiw. Es ist die Stadt meiner Kraft, die Stadt meiner Träume, meine Alma Mater. Sie hat mich gelehrt, wie man lebt und überlebt, wie man liebt und kämpft. Heute kämpft das ganze Land in einem Krieg.

Mein eigener „Krieg“ begann, als ich erkannte, dass ich anders bin, asexuell. Trotzdem versuchte ich, allen zu beweisen, dass ich „wie alle anderen“ bin, um ja nicht aufzufallen. Das hatte Folgen.

Hanna. Foto: privat

Als ich die Kraft hatte, beendete ich eine Beziehung, die mir aufgezwungen war, und fühlte mich besser, körperlich natürlich und psychisch. Zu dieser Zeit begann ich, mich intensiv mit mir selbst zu beschäftigen.

Ich war etwa 16 oder 17 Jahre alt, als ich merkte, dass ich nicht an Sex interessiert war, sondern vor allem an Beziehungen zu Menschen. Ich beschloss, Artikel darüber zu lesen und erfuhr von Menschen, die romantische, aber keine körperliche Anziehung empfinden. Seitdem interessiere ich mich für die Themen Geschlecht und Sex, für die „Normen“ und die „Ausnahmen“, die die Gesellschaft für uns festgelegt hat.

Endlich lernte ich mich selbst kennen, baute Grenzen und Beziehungen auf, die für mich und meine Lieben angenehm waren. Ich erkundete die Welt und öffnete mich ihr so weit wie möglich nach all der Gewalt, die ich erlebt hatte.

Ich baute eine Mauer auf

Während des Krieges verschlechterte sich mein Zustand. Wie mir meine Psychotherapeutin erklärte, reagiert mein Gehirn schmerzhaft auf jede Form von Aggression und Gewalt, sowohl auf direkte wie indirekte (z. B. in den Nachrichten). Infolgedessen wurde ich empfindlicher für die Reize um mich herum. Und meine Grenzen, die ich im Laufe der Jahre zum Selbstschutz aufgebaut hatte, glichen bald einer Steinmauer. Ich war starr und unfreundlich.

Ich hatte Stress, den Job zu verlieren, Angst um mein Leben …

Hinzu kamen Belästigungen auf der Straße, die mich schließlich zum Schweigen brachten. Die Anmache von Männern vertieften meine Abneigung gegen mich selbst, meinen Körper und alles, was in irgendeiner Weise mit Sexualität zu tun hatte.

Mein Leben als Asexuelle und die Auseinandersetzung damit dauern schon seit meiner Kindheit an. Wenn ich mich selbst damals analysiere, fallen mir Episoden auf, die darauf hindeuten. Ich glaube heute, dass es normal ist, asexuell zu sein, nicht nur körperliche Freuden zu bevorzugen, sondern auch emotionale, intellektuelle usw. Das war für mich immer die Norm.

Im Laufe der Jahre habe ich Situationen erlebt, in denen meine Grenzen verletzt wurden. Und ich glaube, da bin ich nicht die Einzige. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, damit es nicht nur eine traumatische Erinnerung bleibt, sondern in das Leben eingewoben wird und uns stärker macht.

Das Rascheln der Blätter beruhigt mich

Jetzt, mitten im Krieg, helfen mir Dinge, die die Sinne ansprechen, mich zu erden: Gerüche, Berührungen, Geschmäcker, visuelle Eindrücke. Das kann zum Beispiel das Lesen bei Kerzenschein sein. Oder der Sonnenaufgang draußen, wenn das leise Rascheln der Blätter oder das Zwitschern kleiner Vögel zu hören ist.

Und natürlich glaube ich an den Sieg unseres Landes und daran, dass jede*r Einzelne von uns wichtig ist, egal wo und wie wir sind.

So könnt Ihr helfen


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