BERICHT AUS KIEW – Tag 7 „Der Pride findet statt“
Mit Polizeischutz geht es zum Pride.
Kiew, 25. Mai 2013 – Heute haben wir
Geschichte geschrieben.
Seit 20 Minuten sitzen wir in diesen kleinen Polizeibussen, zwei Einweiser auf zehn Teilnehmer*innen. Thomas, Bob, Naomi, Barbara, Silke und ich harren aus im Wagen Nummer eins, die Delegation aus Belarus hinter uns. Wir müssen die Vorhänge zuziehen. Vor dem Hotel President, an dem sich alle ausländischen Gäste des Pride treffen, stehen Männer, die uns filmen.
Eben kommen die Vertreter*innen aus dem Münchner Rathaus an, Bürgermeister Hep Monatzeder, Stadträtin Lydia Dietrich und Stadtrat Reinhard Bauer. Der Bürgermeister ist gut gelaunt. Er weiß, dass der Pride sicher sein wird.
Wir warten. Roman vom Organisations-Team zitiert nochmal aus dem Sicherheitsprotokoll. „Haltet Euch an die Anweisungen der Security und der Polizei, keine Provokationen, keine Umarmungen, keine Küsse, nach dem Marsch die Kleider wechseln und zuhause bleiben. Und ganz wichtig: Lächeln, seid gut drauf!“
Draußen steht jetzt immer mehr Polizei. Unsere Einweiser telefonieren viel. Niemand weiß, wo es hingeht. An anderer Stelle der Stadt werden die Diplomaten, die die Parade von EU-Seite beobachten wollen, in Busse gepackt, wieder irgendwo anders die Presse. Es sickert durch, die Parade werde in einem Stadion abgehalten.
Ein Stadion.
1300 Polizisten schützen den March of Equality
Jemand sagt: „Das lässt sich gut schützen und dann hat der Pride wenigstens mal stattgefunden.“ Das mag schon sein, aber sehen wird uns niemand. Ich bin maßlos enttäuscht.
Es geht los. Vor uns bezieht ein Polizeiwagen Position, hinter ihm die Busse. Die Fahrt ist rasant, wir werden immer noch gefilmt. „Wer sind diese alten Männer?“, fragt eine – „Die Gegenseite“, sagt ein anderer.
Der Polizeiwagen scheucht alles von den Straßen, was stört. Wir fahren schnell, lange, etliche Umwege, eine Verwirrungstaktik. In der Nähe der Innenstadt an einem Park machen wir schließlich langsamer. Doch kein Stadium.
Und da sind sie.
Auf der rechten Seite, viele, Hunderte
Gegendemonstranten. Sie strömen herbei. Die Polizei wird später von etwa 1000 Leuten sprechen. Nationalisten, Orthodoxe. Sie halten Transparente mit Sprüchen wie „Die Ukraine ist nicht Sodom.“ Mehr ist nicht zu sehen. Wir halten.
Jetzt geht alles ganz schnell. Wir werden aus dem Bus gescheucht, Kaspars Zalitis weist uns in die Reihen. „One, two, three, four, five“, sagt er. Immer fünf in eine Reihe. Links von uns riegeln Dutzende Busse die Straße ab, davor eine Polizeisperre, dahinter eine Polizeisperre. 1300 Männer in Uniform stehen da. Rechts der Zaun zum Park. Wir sind im Kessel.
Aufstellung nehmen. Gleich geht es los. Im Bild der Münchner Stadtrat Reinhard Bauer (3.v.l.) mit Lebensgefährtin (2.v.l.)
Zalitis ist der Mann ist vom BalticPride und hat mit schwierigen Gay-Paraden seine Erfahrung. Er ist der Top-Mann, was Security angeht. Die Professionalität der Organisation beruhigt uns. Auch die Polizei nimmt ihren Job ernst.
Nun kommen die Diplomaten. Wo sind die Ukrainer*innen?
Die Münchnerinnen und Münchner packen ihr Transparent aus mit dem Maskottchen „MucKi“: „Wir grüßen unsere Partnerstadt Kiew“, steht drauf. Aus dem Nichts rast eine Horde Presseleute auf die Bannerträger zu, Kameras, Mikrofone. Ein Hin und Her, ein Wogen und Wehen.
Dabei haben die Sicherheitskräfte die Lage stets unter Kontrolle. Denn: Die Demonstration war angemeldet und legal; viele
deutsche Medien haben das falsch aufgefasst.
Die Journalistinnen und Journalisten stellen freundliche Fragen, nicht nur an die Münchner*innen. Sie wollen wissen, warum wir hier sind. Ob wir keine Angst haben. Eine Kollegin sucht ein schwules Paar.
Uwe und Wieland bieten sich an. „Warum wollen Sie heiraten?“ – „Weil wir uns lieben.“ Die Journalistin schaut verständnislos. Uwe fragt zurück: „Haben Sie einen Freund?“ – „Ja.“ – „Lieben Sie ihn?“ -„Ja“ – „Und wollen Sie ihn heiraten?“ – „Ja“ – „Sehen Sie: Es ist dasselbe.“
Die Frau hat heute viel gelernt. Überhaupt macht besonders die Normalität unseres Auftretens Eindruck. In den Kommentaren zu den vielen
Medienberichten, die am Nachmittag erscheinen werden, steht etwa zu lesen: „Das war es also? Darum macht man so ein Aufhebens? Ein paar Leute steigen aus Bussen aus, schreien etwas, und steigen dann wieder in Busse ein? Die Verrückten sind doch diese Orthodoxen.“ Eins zu Null für die Bewegung.
Die Münchner Delegation packt ihr Transparent aus.
Irgendwann entdeckt die Presse den
Münchner Bürgermeister. Der sagt auch in der ukrainischen
Presse: „Bei uns ist der CSD ein Anlass zur Freude, mit wenig Polizei-Einsatz. Ich wundere mich schon, warum hier so viele Polizisten sind. Und ich frage mich, wo eigentlich Kiews Bürgermeister ist.“ Der Satz wird an diesem Tag sehr schnell durch die Medien gehen.
Endlich sind alle da, auch die Ukrainer*innen. Sie laufen vorneweg, dann wir, am Ende Amnesty International. Etwa 300 Meter liegen vor den etwa 100 Mitmarschierenden. Wir halten die Regenbogenflaggen hoch, laufen los.
In keinem einzigen Moment meines Lebens war ich auf etwas so stolz.
Die Gegendemonstranten machen Druck. Sie trommeln gegen die Polizeibusse. Zweien gelingt es, durch die Absperrung zu kommen. Sie reißen den Protestierenden die Banner aus den Händen, die Polizei schlägt sofort zu.
Ein Nationalist schreit laut: „Münchner Schwuchteln!“. Mehr übersetzt mir Stanislaw Mischtschenko nicht, International Secretary des KyivPride, der neben mir läuft.
Der 29-Jährige wird heute seinen ganz persönlichen Pride erleben. Stanislaw, von allen nur Stas genannt, gibt wie alle Aktivist*innen hier etliche Interviews. Seine Mutter wird die Aufzeichnung am Abend im Fernsehen sehen.
Sofort stürmt die Presse los.
Dann explodiert rechts von uns ein Knaller, jemand muss das über die Busse auf den Demonstrationszug geworfen haben. Unruhe entsteht; geht es jetzt los?
Zalitis beruhigt uns, wieder Zalitis. „Keep calm. That’s nothing.“ Der Marsch geht weiter.
Wir haben großes Glück, in unserem gesicherten Marsch-Kanal die Gesamtlage nicht überblicken zu können. Hinter den Polizeibussen versuchen die Gegendemonstranten vehement vorzudringen; irgendwo hat sich ein Priester auf den Boden gelegt. Er wolle hier liegen und sterben, wenn dort die Sodomisten für ihre Perversion demonstrieren dürften. Der Hass dieser Menschen hätte uns Angst gemacht.
Nach 20 Minuten ist Schluss. Wir werden nach rechts in den Park abgeführt, eine nach dem anderen. Jetzt schnell: Regenbogenflaggen einpacken, München-Transparent in den Rucksack, ab in die Busse. Die Polizei treibt zur Eile. „Dawai, dawai!“
Ich sehe noch, wie sich die Leute von Amnesty International hinter uns lachend in die Arme fallen. Sie haben zusammen mit Polizei und dem Organisationsteam des KyivPride diesen „March of Equality“ organisiert. Eine großartige Leistung! In den nächsten Tagen wird die Stadt Kiew und die Polizei ein Dankesschreiben für ihren Einsatz erhalten.
Stadträtin Lydia Dietrich und Bürgermeister Hep Monatzeder unterstützen den KyivPride.
Olena Semenova, im Organisations-Team des KyivPride zuständig für die Pressearbeit, gibt noch ein paar Interviews. Sie zieht Bilanz: „Für uns war es ein kurzer Weg, aber für dieses Land und seine Community ein historischer Schritt.“
Da steht noch ein Bus, er ist schon besetzt, er war es die ganze Zeit. 20 Leute sitzen drin, Ukrainer*innen. Lesben und Schwule, die sich die ganze Zeit nicht hinaus getraut haben. Andere sind gar nicht gekommen – es gab Probleme bei der Registrierung. „Die ukrainische LGBT-Community muss im nächsten Jahr besser mobilisiert werden“, lautet später eine Kritik der Beobachter.
Unser Bus fährt los, durch ein Polizeispalier im Park, wieder mit Polizeiwagen vornweg. Eine einstündige Irrfahrt durch die Stadt beginnt, Zeit sich umzuziehen. Barbara setzt sich ein Käppi auf, Naomi nimmt ihre Brille ab, ich ziehe mein Hemd aus. Thomas wird sich am Nachmittag sogar rasieren. Jeder Bus nimmt eine andere Route, bis wir schließlich am Hotel Rus landen.
Es ist geschafft.
Wir teilen uns in kleinere, gemischtgeschlechtliche Gruppen auf und verlassen sofort den Ort. Den ganzen Tag sollen wir uns in der Stadt nicht blicken lassen.
„Unsere Gegner sind jetzt irritiert, weil alles so gut geklappt hat. Sie werden wütend sein und nach uns suchen“, sagt unser Einweiser Roman zum Abschluss. Wir sollen bis 19 Uhr öffentliche Plätze meiden. Dann dankt er uns. Wir lachen und klatschen.
Erschöpft nach dem Marsch: Aktivist Stanislaw Mischtschenko.
Gegendemonstranten sind überall im Zentrum Kiews. Einige glauben, der Fahrrad-Wettbewerb, der zum Stadtfest heute stattfindet, sei die Gay-Parade. Sie bewerben die Teilnehmer*innen mit Eiern. Am Kontraktowa Ploschtscha hat irgendeine „Familien“-Organisation eine Bühne aufgebaut. Leute singen, Kinderchöre. Dazwischen immer wieder Reden. „Wir wollen keine Schwulen, sie sind eine westliche Invasion“, heißt es etwa. Bezeichnenderweise tritt später ein englischsprachiger Redner auf. „Uns geht es um die traditionelle ukrainische Familie“. Das Publikum soll das lernen und muss deshalb alle halbe Stunde den Slogan „Mama, Papa, me – happy family“ wiederholen.
Das kann uns nichts anhaben.
Die Ukraine hat heute Geschichte geschrieben, die Aktivist*innen vor Ort ganz allein. Sie haben monatelang den KyivPride organisiert, nach Unterstützung und Finanzierung gesucht, und am Ende mit vereinten Kräften Stadt und Polizei überzeugt, den Marsch zu sichern. Die Ukraine will nach Europa und sie hat am heutigen Tag vieles dafür getan.
Doch ist dies nur der Anfang. Im nächsten Jahr wird es nicht viel leichter sein, diesen Pride abzuhalten. Die Gegnerschaft ist groß, die Homophobie im Land fest verankert. Es fehlt an Information und Aufklärung.
Zurück in die Busse, zurück in die Stadt.
Alles hing in diesem Jahr vom politischen Willen der Behörden ab. Die Ukraine will im Herbst ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen; da wären Negativschlagzeilen schädlich. Im nächsten Jahr kann alles anders sein.
„Deshalb fahren wir 2014 auch wieder mit“, sagen Maik und Stephan vom MLC. Vielleicht auch Uwe vom Sub und Wieland, Naomi und Barbara von der Kontaktgruppe Munich Kiev Queer, Thomas vom Candy Club mit Bob, Sibylle vom Lesbenfrühlingstreffen, Alex vom BR und Miriam, Silke von der SZ, Bernd von Leo. Sie alle haben in diesem Jahr großes, privates Engagement gezeigt, durchaus auch finanziell, um in Kiew dabei sein zu können. Ihnen gebührt aller Respekt. Danke!
Mal sehen…
Und wenn wir wieder einen Bürgermeister und Stadträt*innen, in jedem Fall aber Lydia Dietrich, dabei hätten, die alles dafür getan hat, Hep Monatzeder und Reinhard Bauer nach Kiew zu bringen…
Ich sagen Danke!
Der Anfang ist gemacht, bringen wir es zu Ende.
[Presseberichte in deutscher Sprache]
[Press Review in English]
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