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OutBlog: Geldübergabe in der Seitengasse

13.10.2018 | cb — Keine Kommentare
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Zum Internationalen Coming-Out-Tag finden in Charkiw, im Osten der Ukraine, eine ganze Reihe von LSBTI-Events statt. Das PrideHub organisiert Partys, Debatten etc. Munich Kyiv Queer ist dabei. Nicht ohne zuvor einen Abstecher nach Kyjiw zu machen. Dort treffen wir unsere Freund*innen von der Gay Alliance Ukraine. Schließlich wollen wir unsere Spenden für das Queer Home in Krywyj Rih loswerden. Nur wie? Von Conrad Breyer

Wir treffen uns im Kaffa, einem Café, das es schon seit über 20 Jahren gibt. Das ist selten in Kyjiw. Hinter dem Maidan versteckt sich der Laden in einer kleinen Gasse, man muss schon ein wenig suchen. Das Kaffa bietet eine große Auswahl afrikanischer Kaffeespezialitäten und zeigt das auch. An den Wänden hängen Masken, in den Putz sind Elefanten, Giraffen und Löwen geritzt, man sitzt an groben Holztischen. Alles soll afrikanisch wirken. Die Einrichtung wirkt absolut aus der Zeit gefallen.

Aber natürlich ist das ein Platz, der sich wunderbar für eine Geldübergabe eignet, so diskret wie er liegt. Anna Leonova und Olena Ganich wirken wie immer gestresst, als sie kommen. „Wie geht es Euch?“, frage ich. „Wir versuchen, alles pünktlich abzuliefern“, sagt Anna und grinst. Die Gay Alliance Ukraine, die die beiden leiten, hat ordentlich zu tun. Einige Projekte stemmen wir gemeinsam mit der Organisation. So die Sache mit den Queer Homes. Diese Kultur- und Kommunikationszentren für die Szene ähnlich wie LeTRa, Sub oder Diversity, die die Gay Alliance Ukraine über viele Jahre betrieben hat und dann schließen musste, erstehen dank großzügiger Spenden der Münchner Community wieder – zumindest zwei.

Queer Home – alles nochmal von vorn

In Odesa hat das Queer Home dank einer Privatspende aus München schon im August wieder aufgemacht – während der Pride Week. Hier entstehen die Strukturen ganz neu. Müssen sie, denn weil das Haus schon einige Zeit geschlossen war, sind viele Leute abgewandert, haben sich neu orientiert. Die LSBTI-Organisationen LIGA und Partner zum Beispiel verfügen selbst über große Szenetreffpunkte. Jetzt leitet eine Aktivistin das neue Queer Home und zwar ehrenamtlich, sie koordiniert die Aktivitäten der anderen Volunteers, die sich hier treffen, um Freizeit- und Selbsthilfe-, aber auch politische Aktionen zu planen.

Olena erzählt, dass viele Leute aus der Community nicht glauben mögen, dass hier alle ohne Bezahlung arbeiten, es ist eine rechte Erfolgsstory. Jetzt könne man all das vor Ort anwenden, was die Leute in München während der Ehrenamtler*innen-Workshops die vergangenen Jahre über lernen konnten. Olena lacht. Aus diesem Grund will die Gay Alliance Ukraine im März kommenden Jahres auch unbedingt ein paar Volunteers aus den Queer Homes nach München schicken, um sie auszubilden und zu motivieren. Es ist ungeheuer wichtig, die Szene vor Ort zu mobilisieren, denn ohne eine Grassroot-Bewegung lässt sich auch nichts bewegen politisch. Und ein positiver Nebeneffekt: Das kreative Miteinander von LIGA, Partner und Queer Home belebt die Szene enorm in einer Stadt mit einer Million Einwohnern.

Der Kuchen kommt. Ukrainischer Honigkuchen, Medovyk. Der ist gut und günstig.

Im November soll nun auch das Queer Home in der Industriestadt Krywyj Rih wieder aufmachen. Ab dem 20. Oktober schon wird renoviert, falls alles nach Plan läuft. Dafür haben Stanislav Mishchenko, Mitglied von Munich Kyiv Queer, und ich heute das Geld mitgebracht, dass die Frauen von Melodiva und WEIBrations aus Karlsruhe mit ihren Freundinnen im Sommer auf ihrer Bike-Tour zusammengeradelt haben. 3400 Euro sind es geworden. Eine Freundin von Munich Kyiv Queer hat noch 110 Euro draufgelegt und so dürfte das Geld gut für eine Jahresmiete reichen. In Krywyj Rih stehen die Dinge besser als in Odesa. Dort haben Borys  Zolotchenko und sein Mann Vadym Brazhnyk das Queer Home trotz der finanziellen Engpässe in Eigenregie privat weitergeführt, die Community ist also nicht wie in Odesa versprengt. Man braucht nur eine neue Unterkunft. Und die beiden haben sich auch schon einige Locations angeschaut.

Einfach wird das nicht. Krywyj Rih ist eine sehr homophobe Stadt. Dort zählt Kommunikation wenig. Es ist eine Industrieregion, der Mann als Minenarbeiter. Da werde bei Auseinandersetzungen lieber zugeschlagen als lange diskutiert, sagt Stanislav. Er kommt von da und muss es wissen. Kein Wunder also, dass der erste Pride in der Stadt dieses Jahr im Juli ohne bemerkenswerte Beteiligung der örtlichen Community stattfand. „Die hatten alle Angst“, sagt Anna. Gekommen waren die landesweit bekannten LSBTI-Aktivist*innen, die auch in Kyjiw und Odesa zur Stelle sind, wenn es ums Demonstrieren geht. Dass dann alles friedlich ablief, konnte niemand ahnen.

Trotzdem könnte der KryvbasPride 2019 womöglich eine Pause vertragen. „Für die Leute ist das jedenfalls sehr belastend“, sagt Olena. Es ist viel Arbeit, ein krasser emotionaler Stress. Am Ende aber muss das Organisationskomitee entscheiden. Die Lage ist seit Jahren angespannt: Borys und Vadym sind immer wieder überfallen, verprügelt und bedroht worden; jetzt muss die Szene aktiviert werden. Borys will das Quer Home leiten und das Programm koordinieren. Wer wird es nutzen? Der Chor Midnight Descant, der im Mai schon in München beim LSBTI-Chorfestival Various Voices aufgetreten ist, eine Drag-Gruppe, der Debattierclub, der sich mit Hassrede befasst, eine Gruppe für soziales Theater, Künstler aus der Community, eine Familiengruppe etc. etc. Ideen gibt es genug.

Patenprogramm für Queer Homes

Läuft alles gut, was die Finanzierung, die Mobilisierung weiterer Spender und Ehrenamtlicher angeht, will die Gay Alliance Ukraine vielleicht noch ein Queer Home im Land eröffnen, mal sehen. Das Patenprogramm für die Queer Homes in München läuft demnächst auch offiziell an. Wir arbeiten an einem grafischen Auftritt dafür, die Texte stehen. Die Idee ist, dass die Spender*innen ihre Namen auf Plakaten wiederfinden können, die in den Queer Homes aushängen. Falls Sie das wünschen. Wer die Miete für ein ganzes Jahr übernimmt, könnte ein ganzes Queer Home auf seinen Namen taufen. Aber das müssen die Leute vor Ort selbst entscheiden.

Eine Kooperation wird es auch wieder zum OdesaPride 2019 geben. Die Gay Alliance Ukraine plant ein Kulturprogramm, in das sie uns involvieren möchte. Gute Nachrichten auch: Vertreter*innen der Region Odesa hatten ihre Unterstützung schon für 2018 zugesagt, es gab da ein Treffen. Der Austausch wird fortgesetzt!

Soweit: Die Kuchen sind gegessen, der (merkwürdige) Kaffee getrunken. Jetzt müssen wir nur noch das Geld übergeben. Wir bezahlen, gehen auf die Straße und machen schnell ein Selfie. Der Umschlag mit den 3510 Euro bleibt geschlossen, ist sicherer. Wir verabschieden uns. Schade, jetzt dauert es wieder ewig, bis wir uns sehen.

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