KyivPride 2018: Achterbahnfahrt der Gefühle
München auf Besuch in Kyjiw. 25 Menschen reisen 2018 in die Partnerstadt zum CSD. So groß und so bunt war die Truppe der Lesben-, Schwulen-, Bi*-, Trans*- und Inter*-Community au München noch nie. Im PrideBlog berichten wir täglich über unsere Abenteuer. Heute: Der Pride itself! Von: Alexander Nusselt 5.00 Uhr früh wachte ich auf. Ich zitterte am ganzen Körper. Draußen waren Trommeln zu hören, schon die ganze Nacht. Es klang martialisch. Wie kurz vor einem großen Kampf. Die Töne kamen von einem Park in der Nähe, wo die Rechten campierten. Die Tage vorher war alles noch so entspannt. Wir waren mit einer 25 Frau und Mann starken Delegation von Munich Kyiv Queer angereist und haben uns die Stadt angesehen. Besuche bei der Deutschen Botschaft und Veranstaltungen im von der Polizei geschützten PRIDE House ergaben ein schönes Programm während der PRIDEweek. Noch am gestrigen Abend waren wir alle miteinander essen, als uns unsere Veranstalter rieten, dass wir nach der Parade in gemischt geschlechtlichen Kleingruppen in Erscheinung treten sollen. Denn nach dem Umzug ist „Safari“. So nennen es die nationalistischen gewaltbereiten Gruppen, die in Hundertschaften im gesamten Stadtgebiet Jagd auf Schwule und Lesben machen.Der Angst stellen
Ich hatte Angst. Angst davor, dass meinem Mann, meinen Freunden oder mir etwas zustoßen könnte. In meinem Kopf liefen Szenen von verprügelten Personen ab. Dabei würde ich wütend und die Anspannung in mir stieg. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich konnte nicht mehr schlafen und war mir zutiefst unsicher, ob die Teilnahme eine gute Idee ist. Als mein Mann wach wurde, versuchte er mich zu beruhigen: „Wir können immer noch absagen.“ Gegen 7.00 Uhr fasste ich den Beschluss, teilzunehmen. Ich rasierte mir meinen Vollbart weg, um auf Grund der vielen Bilder im SocialMedia nicht mehr erkannt zu werden. Um 8.15 Uhr liefen wir dann zu dritt, mit einigem Abstand untereinander zum vereinbarten Sammelpunkt am Goldenen Tor. Dort trafen wir auf die anderen. Polizei war vor Ort und einige Kleingruppen der Rechten liefen Patrouille. Auf dem Weg zum Veranstaltungsort, der mit fast 3m hohen Zäunen abgesperrt war, standen überall laute Gegendemonstranten. Mit Trommeln und Megaphonen riefen sie auf ukrainisch: „Schande! Schande! Schande!“ Vor dem Einlass standen überall Nationalisten, die uns anpöbelten, Bilder von uns und unseren Schuhen machten und drohten „Wir werden Dich finden!“ Nach der Sicherheitskontrolle versammelten wir uns, zogen uns um, um jetzt die Farben für Menschenrechte, Gleichheit und Freiheit zu tragen; die Farben des Regenbogens. Wir machten Selfies und sprachen mit anderen Teilnehmern. Immer wieder kamen Fotografen vorbei, filmten uns, machten Bilder und niemand konnte sagen, auf welcher Seite diese Person steht. Die Parade selbst lief friedlich. Geschützt von 5.000 Beamten der Polizei und Nationalgarde wurde sie nur ein paarmal gestört. Die Polizei zog die Blockierer gleich aus dem Weg, damit es weiterging. Es waren kaum Zaungäste dabei und die wenigen, die von ihren Balkons oder Fenster zuschauten, zeigte entweder keine Miene oder den Daumen nach unten.Alle Emotionen gleichzeitig
Neben den lauten Gegendemonstranten standen auch einige Anwohner auf dem Balkon oder am Fenster. Viele schauten mit grimmiger Miene oder zeigten mit dem Daumen nach unten. Ziemlich am Ende der Parade, stand eine Oma am Fenster und winkte uns zu. Es berührte mich und viele um mich herum. Vielen stand das Wasser in den Augen und die Menge jubelte ihr zu. Wie viel ein wenig Wertschätzung doch ausmacht.Dann war die Parade am Ende. Wir wurden aufgefordert, alles, was uns als LGBTI identifiziert, abzulegen. Auf dem Weg in die U-Bahn streifte ich meine Jeans ab, um nur noch mit kurzen Hosen gesehen zu werden. Auch das Oberteil wechselte ich und legte Mütze und Sonnenbrille ab.#KyivPride and a granny ☺️ pic.twitter.com/3rbY74eOMo
— Kateryna_Kruk (@Kateryna_Kruk) June 17, 2018