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BERICHT AUS KIEW – Tag 5 „Schwarzer Tag“

27.05.2013 | cb — Keine Kommentare
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Dachterrasse GIZ

Von oben sieht alles so schön aus – Blick von der Dachterrasse der GIZ.

Kiew, 23. Mai 2013 – Der KyivPride hat seine Gegner. Sie kommen von außen und innen. Heute ist ein schwarzer Tag. Es ist kalt, es regnet in Strömen, das Grau der Stadt legt sich bleiern auf unsere Seele.

Heute hat das Gericht seine Entscheidung getroffen und den „March of Equality“ am Samstag verboten. Obwohl die Veranstalter*innen jedes Recht dazu haben, obwohl die EU, die meisten Botschaften in der Stadt, Amnesty International, Human Rights Watch und Freedom House die Parade unterstützen, obwohl die Polizei versichert hat, die Parade zu schützen, obwohl München mit seiner Rathaus-Delegation anreist. Vergeblich, alles vergeblich.

Der Pride hat keine Freunde.

„Sie werden hier im Land niemanden finden, der offen für Lesben- und Schwulen, oder gar Trans-Rechte eintritt“, sagt Martin Kade, der die HIV-Arbeit der GIZ in Kiew leitet. „Auch das macht unsere Arbeit in der Prävention so schwierig.“ HIV-Prävention bedeutet deshalb immer auch Menschenrechtsarbeit.

Bei der Regierungsorganisation schlagen wir heute als erstes auf. Zehn Leute nehmen in dem kleinen Sitzungsraum im Büro an der Khreschatyk Platz. Es ist gemütlich. Olga Korolenko, Kades rechte Hand, hat uns Kaffee und grünen Tee zubereitet. Es liegt auf dem Tisch jede Menge Schokolade und einen Haufen Anti-Aids-Kampagnen, die ukrainische Version von „Gib AIDS keine Chance“ zum Beispiel.

Kade und Korolenko sind wahnsinnig süß, außerordentlich bemüht um unsere Gunst, in der Sache empathisch und solidarisch.

Dachterrasse GIZ II

Zigarettenpause – Wir sprechen über Martin Kades Zeit in Argentinien. Mit einer Eltern-Kampagne hat das Land seine Vorurteile abgebaut.

Eigentlich wollen wir über AIDS und HIV in der Ukraine sprechen, aus aktuellem Anlass spielt der Pride zunächst die wichtigere Rolle. Deshalb sind wir ja hier. Kade gibt es gleich zu: Er ist kein großer Freund des Pride. Und Bogdan Globa, Chef der Schwulen-Organisation Fulcrum, schon gar nicht.

Fulcrum kümmert sich um HIV-Prävention, macht aber auch psychosoziale Beratung, außerdem Aufklärungskampagnen. Mit der GIZ hat die Organisation kürzlich eine Eltern-für-ihre-Kinder-Kampagne lanciert übrigens mit Unterstützung von Sascha Hübner aus dem Sub, die Vorurteile in der breiten Bevölkerung abbauen soll.

Globa ist ein entschiedener Gegner des Pride. „Die ukrainische Gesellschaft ist noch nicht so weit. Wir wollen keinen Krieg, die Einstellung der Menschen lieber von innen heraus verändern.“ Sichtbarkeit spielt für den Aktivisten deshalb eine untergeordnete Rolle. Der LGBT-Community will er lieber erst einmal eine Heimat schaffen, so geschehen mit dem „LGBT-Portal Ukraine“, das vor wenigen Wochen online gegangen ist.

Wir verstehen das schon. Es  gibt immer ein Pro und Contra.

Die Gruppen, die den Pride organisieren, sagen freilich, das Verstecken habe in den vergangenen Jahren die Situation nur verschlechtert. „Gerade jetzt müssen wir doch gegen dieses menschenrechtsbeschneidende Gesetz zum Verbot so genannter Gay-Propaganda vorgehen“, sagt Taras Karasyitschuk, Chairman des KyivPride. „Gerade jetzt müssen wir der zunehmenden Homophobie im Land entgegentreten, die dazu führt, dass immer wieder Menschen verfolgt und verprügelt werden. Gerade jetzt müssen wir europäische Werte verteidigen, da die Ukraine die Zusammenarbeit mit der EU sucht.“

Die Münchnerinnen und Münchner haben diese Position längst bezogen, sie sind vor Ort in Kiew und tragen diese Entscheidung mit. Unsere Argumente überzeugen Bogdan nicht, aber er gibt zu, dass die LGBT-Community in Kiew zusammenarbeiten muss, um gemeinsam etwas zu erreichen. Sein Gesichtsausdruck indes verrät: Er ist skeptisch.

Aids-Kampagnen

Die GIZ adaptiert viele Kampagnen aus Deutschland für die HIV-Prävention in der Ukraine.

Trotzdem wird er später die „Declaration of Cooperation“ unterzeichnen, die die Münchner und Kiewer Szene gemeinsam erarbeitet haben. Allein im Büro von Martin Kade, feierlich, aber einsam. Am Empfang des KyivPride in der niederländischen Botschaft am Freitag nimmt er nicht teil; dort aber wird die Erklärung zwischen den Kiewer und Münchner LGBT-Gruppen offiziell unterzeichnet. Also muss es eben jetzt sein.

Der KyivPride hat seine Gegner – sie kommen von innen und außen.

„Sprechen wir über HIV/Aids in der Ukraine“, schlage ich vor, und Martin Kade beginnt zu erzählen. 1,1 Prozent der adulten Bevölkerung im Land ist HIV-positiv, das ist zehnmal so viel wie in Deutschland. Früher waren es die Drogen, heute ist es der ungeschützte Geschlechtsverkehr. Für die Prävention im Land fließt viel Geld aus dem Ausland an inländische HIV/AIDS-Organisationen, die Elton-John-Stiftung gibt Geld, der Global Fund, die HIV Alliance, die GIZ. Der Staat selbst, nicht eben reich, steckt seine Mittel in die Versorgung der HIV-Infizierten.

Woher die hohen Ansteckungsraten kommen? „In der Ukraine gab es keine sexuelle Revolution“, sagt Olga. „Sex ist noch immer ein Tabu. Niemand spricht gerne darüber.“ Über gleichgeschlechtlichen Sex schon gar nicht.

Die GIZ geht deshalb mehrgleisig vor. Sie geht in die Schulen, macht Workshops mit Jugendlichen, lanciert Aufklärungskampagnen mit bekannten Testimonials wie dem Fußballer Andrey Schewtschenko. Das kommt an: Die Leute denken nach, informieren sich, rufen bei der Hotline an, nehmen Kondome mit.

„Nur Homosexualität – das geht noch gar nicht“, sagt Kade. In sämtlichen Broschüren, Flyern und Büchern klammert die GIZ das Thema aus. Anders könnte die Institution mit den staatlichen Behörden nicht zusammenarbeiten. „So ist das einfach, man muss die Spielräume nutzen, die man hat.“

Bogdan Globa Kooperation

Bogdan Globa unterzeichnet die „Declaration of Cooperation“ – ein bisschen einsam im Büro von Martin Kade.

Die Zigarettenpause auf der Dachterrasse der GIZ ist ein Höhepunkt.

Wir sprechen über Kades Zeit in Argentinien, Diplomatie, weitere Kooperationsmöglichkeiten zwischen München und Kiew. Das alles ist unglaublich erfrischend und inspirierend.

Nach gut drei Stunden verlassen wir das Büro, essen unten im Puzata Hata mal wieder Pelmeni, Vareniki und Borschtsch, dazu gibt es Uzvar, Saft, aus dem Kompott getrockneter Früchte gewonnen. Schmeckt sowjetisch, aber lecker, irgendwie nach Rauch.

Um halb drei beginnt das Queer Film Festival im President Hotel, dem zentralen Veranstaltungsort der Pride Week. Noch bevor die Organisator*innen allerdings mit den Filmen aus Weißrussland beginnen, platzt die Nachricht: Das Gericht hat den Pride untersagt.

Ein Schock.

Doch die Pride-Macher sind nicht wirklich überrascht. Olena Semenowa gibt in aller Ruhe Interviews. Die Pressefrau des Pride ist da höchst professionell. Morgen will IC-TV, einer der größten Sender der Ukraine, mit Bürgermeister Hep Monatzeder ein Interview führen. Aus Deutschland bringt die dpa etwas, das ZDF hat angefragt. Die europäische Presse ist rege.

Das Security Department des Pride-Komitees fängt sofort an, Pläne für einen Pride an einem Ort außerhalb der Innenstadt zu schmieden. Denn das Demonstrationsverbot gilt nur für das Zentrum. Die Polizei sichert ihre Unterstützung zu. Die Münchner Rathaus-Delegation reist wie geplant an.

Plan B tritt in Kraft. Niemals werden wir aufgeben.

Empfang am Flughafen

Der Flughafen-Pride. Hep Monatzeder aber kommt nicht.

Das Film-Screening läuft unterdessen weiter. Zahlreiche Kurzfilme aus dem Aus- und Inland halten die Besucherinnen und Besuche in Atem. Die Qualität ist durchweg gut, aber nicht geschätzt. Der Kinosaal im Hotel President ist riesig, die wenigen Zuschauer*innen verlieren sich darin.

Immerhin: Alles bleibt ruhig. Das Security-Personal macht seinen Job gut. Keinerlei Störungen. Vielleicht mögen die Homo-Gegner keinen Regen, wer weiß.

Stanislaw Mischtschenko, International Secretary des KyivPride, und ich brechen zum Flughafen auf, zusammen mit Alex und Miriam. Etwas Großes steht an, das uns nervös macht. Wir sind aufgeregt. Hep Monatzeder kommt gegen halb elf in Kiew-Boryspil an, mit Stadtrat Reinhard Bauer und dessen Lebensgefährtin Natalia Kaplan.

Die Stadt Kiew will sie abholen, dabei sind sie doch unseretwegen hier! Die Vereinnahmung wollen wir nicht hinnehmen. Wir fahren zu viert raus, eine Regenbogenflagge im Gepäck. Monatzeder wollen wir mit der Fahne empfangen, und – zugegeben – das Empfangskomitee des Kiewer Stadtrats ein bisschen verlegen machen. Sehr angenehmer Nebeneffekt: Heute kommen Naomi und Barbara an; die holen wir gleich mit ab.

Eine Stunde vor Ankunft der Maschine aus München sind wir vor Ort. Wir warten, überlegen, was passieren kann, wenn die Leute um uns herum aggressiv werden. Wir warten. Und warten. Monatzeder kommt nicht. Die Stadt hat den Bürgermeister vorher abgefangen: Was für eine Enttäuschung, wie bösartig! Ein kluger Schachzug, die Leute aus dem Münchner Rathaus so zu vereinnahmen.

Wir geben nicht auf, fassen Mut und entfalten die Regenbogenflagge, um Barbara und Naomi zu begrüßen, die jetzt durch die Türe laufen. Herzlich Willkommen in Kiew! Ein paar Leute gucken neugierig. Sonst passiert nichts.

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