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„Politische Kooperation, Freundschaft, Liebe“

08.02.2018 | cb — Keine Kommentare
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Im Jahr 2012 ist die Münchner Lesben-, Schwulen-, Bi*, Trans* und Inter*-Community eine Kooperation mit der Szene in Kyiw eingegangen. In fünf Jahren hat die Menschenrechtsinitiative einiges bewegt – auf politischer wie persönlicher Ebene. Ohne München hätte es den ersten CSD in Kyiw vermutlich nicht gegeben. Lydia Dietrich hat mit ihrem Engagement die Grundlage für die Zusammenarbeit gelegt.

Frau Dietrich, die Szenekooperation zwischen Kyiw und München gibt es nun schon seit über fünf Jahren. Ein Grund zum Feiern?
Ja, natürlich. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein solches Engagement so nachhaltig wirkt. Angefangen hat ja alles mit der Unterstützung des KyivPride, den es seit 2012 gibt, und der CSD in unserer Partnerstadt war anfangs noch richtig gefährlich. Dennoch haben sich die Münchnerinnen und Münchner solidarisch gezeigt und sind hingefahren. Ich kenne, wenn es um Städtepartnerschaften geht, nichts Vergleichbares.

Sie waren 2012 als Erste dabei neben Sascha Hübner, einem Berater vom Münchner Schwulenzentrum Sub. Eine Party wie in München war das nicht gerade, oder?
Der CSD ist nie eine Party, auch hier nicht. Nicht nur jedenfalls, sondern eine politische Demonstration. In Kyiw war das 2012 der erste Versuch einer politischen Demonstration, es ging und es geht um den Schutz von Menschenrechten. Die Veranstaltung war ohne alle Unterstützung, wir hatten massiven Gegenwind von Orthodoxen und Rechten und die Polizei hat uns nicht geschützt. Der erst KyivPride musste abgesagt werden; im Nachgang sind Leute verprügelt worden. Trotzdem war es ein Erfolg, das Thema war gesetzt.

Verletzte, unwillige Polizisten, dafür umso gewaltbereitere Gegner. Sie waren bis jetzt jedes Jahr in Münchens Partnerstadt. Wenn Sie die Situation mit heute vergleichen – was hat sich verändert?
Das kann man nicht vergleichen. Ich hätte es vor fünf Jahren nicht für möglich gehalten, wie sich der CSD in Kyiw bis heute entwickelt hat. Zum ersten Mal demonstrierten 2013 – das war noch unter Präsident Janukowitsch – 100 Leute für gleiche Rechte, 2017 waren es 2500. Und das Ganze fand nicht am Stadtrand, sondern im Zentrum statt. Damals der Mob, heute schützen Polizisten die Demonstrierenden zu Tausenden.

Ist das auch Münchens Verdienst?
Da spielen viele Faktoren rein. Die Arbeit der Lesben-, Schwulen-, Bi*-, Trans* und Inter*(LSBTI)-Community selbst natürlich, aber vor allem die internationale Unterstützung: der EU-Botschaften in Kyiw, der politischen Mandatsträger aus dem Ausland. Und München hat auch ganz viel mit angeschoben. 2013 war ja Bürgermeister Hep Monatzeder dabei mit mir als Stadträtin und einem weiteren Stadtrat. Und nicht zuletzt die großartige Unterstützung von Munich Kyiv Queer, dem CSD München und den hochengagierten Münchnerinnen und Münchnern, die jedes Jahr den Pride in Kyiw unterstützen, auf eigene Kosten anreisen.

Hat der Euromaidan 2014 den Prozess beschleunigt?
Für die Community selbst weiß ich das nicht, aber immerhin haben die Politikerinnen und Politiker verstanden, dass, wenn man nach Europa will, auch für Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* etwas tun muss. Aber das ist sehr oberflächlich. Der Druck kommt doch eher von der Zivilgesellschaft und eben vom Ausland. Wie München. Der Oberbürgermeister unterstützt das Engagement, der Stadtrat, eine Kyiwer Delegation kommt jedes Jahr zum CSD nach München. Es passiert ja auch übers Jahr recht viel im Austausch, politisch, kulturell, fachwissenschaftlich. Beide Seiten stellen enorm viele Projekte auf die Beine, in Kyiw und hier. Das ist gelebte Städtepartnerschaft. Und ich bin überzeugt: Ohne die Landeshauptstadt wäre die Bewegung in Kyiw heute nicht da, wo sie  ist.

Gab es in München anfangs Gegenwind?
Nur vereinzelt. Im Stadtrat stieß die Unterstützung von Anfang an auf breiten Konsens.

Sie reisen jedes Jahr als offizielle Vertreterin von Herrn Reiter nach Kyiw. Warum kommt der Oberbürgermeister eigentlich nicht mal selber mit?
Ich fürchte, er hat einen vollen Terminkalender.

Wie reagiert die Partnerstadt? Empfängt Sie Reiters Kollege Vitali Klitschko mit offenen Armen?
Die Stadt Kyiw hat mich noch nie empfangen, protokollarisch ist das eigentlich ein Affront gegenüber dem Oberbürgermeister und München. Das liegt am Thema. Wenn ich etwa zum Ausbau von Radwegen kommen würde, sähe die Sache schon anders aus.

Gab es nie Protest von Seiten Münchens?
Wir nehmen das zur Kenntnis.

Was haben Sie dieses Jahr vor, wenn Sie wieder nach Kyiw fahren?
Ich möchte einige Stadträtinnen und Stadträte treffen zu diversen Themen. Gerade in der Energiepolitik und im Bildungsbereich laufen einige gute Kooperationen, das interessiert mich. Die Menschenrechtsthemen können so vielleicht eher platziert werden.

Beim Pride-Marsch mitlaufen werden Sie auch?
Ja, klar.

Haben Sie keine Angst?
So gut wie gar nicht. 2015 hatte ich große Sorgen, als die Polizei uns ohne Schutz aus der Demo entließ und uns der rechte Mob in den Straßen auflauerte. Da hatte ich einen Aktivisten am Arm in voller Panik. Er war schon früher mal schwer verprügelt worden und wurde durch die Verfolgung richtiggehend re-traumatisiert. Ich habe die ganze Zeit versucht, ihn zu beruhigen. Nicht so einfach, wenn man auf der Flucht ist und irgendwo Unterschlupf sucht. Ich fragte mich, ob wir da wohl heil rauskommen. Wir haben uns dann in einem Postamt versteckt. Sicher ist es auch heute nach der Demo in der Stadt nicht, aber immerhin werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Ort des Geschehens unter Polizeischutz wegeskortiert.

Wie sehen Sie die Zukunft des KyivPride? Und der Gesellschaft, was die Akzeptanz sexueller Minderheiten angeht?
Der KyivPride wird größer und bunter werden. Die Gesellschaft aber zieht nicht im selben Tempo mit. Gewalt gibt es nach wie vor von einer kleinen, aber aggressiven Minderheit. Erst vor wenigen Tagen ist wieder ein Bekannter von uns übel geschlagen worden. Da ist noch irre viel zu tun, politisch wie gesellschaftlich. Die Politik lässt diese Menschen einfach im Stich, die ganze Bewegung. Die Zivilgesellschaft kann nicht auf politische Unterstützung hoffen und das ist der eigentliche Skandal. Alle Aktionspläne sind nur Papier, das für die EU beschrieben wird.

War das in München früher anders?
Der Stadtrat hat irgendwann – angestoßen von Grün-Rosa – eine Infrastruktur für Lesben und Schwule, später auch Bi*, Trans* und Inter* geschaffen. Irgendwer musste die Forderungen der Szene ja mal durchsetzen. Heute ist München vorbildlich. War auch nicht einfach, wir haben anfangs viele Kämpfe geführt, vor allem gegen die CSU. Das ist lange her, aber ich erinnere mich gut.

Und es geht weiter…
Ja, München bekommt jetzt ein Lesbenzentrum, das Jugendzentrum Diversity ist ausgebaut worden, es wird Unterkünfte für LSBTI-Geflüchtete geben. Endlich.

Kann die Szenekooperation mit Kyiw Vorbild für andere Städte sein?
Absolut. Natürlich gibt es in vielen Städten herausragende politische, soziale Projekte im Rahmen von Städtepartnerschaften, aber hier ist eben noch diese menschliche Komponente. Viele Freund-, ja Liebschaften zwischen beiden Ländern sind entstanden.

Was bringt die Zukunft?
Ich denke, das wird weitergehen. Die Stadt München jedenfalls steht zu ihrer Unterstützung. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich hier alle so engagieren. Das macht viel Sinn und viel Freude. Ich bin einfach froh, dass wir so viel erreicht haben.

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