Der Service lässt auf sich warten – Zeit für einen Ratsch.
Kiew, 22. Mai 2013 – Blini mit Kaviar – die waren nicht zu finden. Auch wenn sich das Uwe und Wieland, Maik und Stephan, noch so sehr gewünscht haben. Dafür gab’s Zapekanka, Quarkküchlein mit Himbeer-Sirup und Americano, für mich jedenfalls. Frühstück im Kofje Chaus, oder einfach Kaffeehaus, an der Khreshatyk. Die Münchner Delegation trifft sich erstmals zur Lagebesprechung; in wenigen Stunden beginnt die Pride Week. Die Stimmung ist gut trotz des Regens, der nach fünf Tagen Sommerhitze eingesetzt hat. Eine willkommene Abkühlung.
Alle haben so ihre Geschichten zu erzählen. Alex und Miriam sind gestern Nacht angekommen. Für den BR nimmt Alex ein einstündiges Feature auf, das am 1. Juni auf Bayern 2 ausgestrahlt wird. Das Band läuft ab jetzt immer mit. Einer von uns ist bestohlen worden; eine schlimme Geschichte. Thomas und Bob haben gestern ihr Appartement bezogen und mit dem Vermieter etwas erlebt. Der hat gleich nach der Bettensituation gefragt und die zwei damit in Erklärungsnot gebracht. „The girls are coming tomorrow“ – der Satz ist ihnen eingefallen. Den Ukrainer hat die Aussage erstmal beruhigt. Und es stimmt ja auch: Naomi und Barbara kommen morgen nach Kiew – zusammen mit Bürgermeister Hep Monatzeder und Stadtrat Reinhard Bauer. Wenn Freitag noch Lydia Dietrich anreist, ist die 17-köpfige Delegation aus München komplett.
Gute Nachrichten.
Ich kläre die Delegation über den aktuellen Stand auf. Dass die Stadt Kiew den Pride verbieten will, dafür vor Gericht ziehen wird. Dass es zwei Alternativpläne der Veranstalter*innen gibt, um zu retten, was zu retten ist.
Das dämpft die Laune.
Es regnet – Die alten Sowjetbauten machen alles noch grauer. Obwohl: Irgendwas hat diese Architektur ja.
„Dann ziehen wir doch erstmal los“. Um elf ist der Termin in der Heinrich-Böll-Stiftung. Kyryl Savin, der Leiter des Büros, und Anna Dovgopol, die das Gender-Programm der Grünen-nahen Stiftung leitet, haben den Tisch im Besprechungsraum liebevoll mit ukrainischem Naschwerk eingedeckt: Es gibt Schokoriegel, Cracker und Zifir, so eine Art ukrainische Marshmallows. Ganz lecker.
Kyryl stellt die Arbeit der Stiftung vor. Wir kommen schnell zur politischen Situation der Ukraine, der Parteien- und Medienlandschaft, besprechen bald Gender-Fragen und reden natürlich über LGBT-Rechte und den KyivPride. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist Partner des Kiewer „CSD“, hat unter anderem die beiden Münchner Ausstellungen der Koordinierungsstelle „Sie war ganz schlimm schön“ und „Die Verzauberten“ finanziell gefördert.
Zwei Stunden hat das Gespräch gedauert, das wir abwechselnd auf Deutsch und Englisch geführt haben. Unsere These, in der Ukraine sei die Lesben-, Schwulen- und Transbewegung schlicht auf dem Stand der 70er Jahre in der Bundesrepublik, lässt sich nicht halten. „Zu verschieden ist der kulturelle Background der postsowjetischen Gesellschaft“, sagt Kyril.
Beispiel Frauenbewegung: Die gibt es nicht, jedenfalls nicht so wie einst in Deutschland. Für die Frauen hierzulande ist es eine Befreiung, dass sie sich nach dem Konformitätsdruck und Arbeitszwang in der Sowjetunion heute ein Privatleben ohne Arbeit, im Haushalt ihrer Familien leisten und sich feminin geben können. Dass sie in der patriarchalischen Gesellschaft der Ukraine nur zweite Klasse sind, fällt da gar nicht auf, obwohl sie arbeiten, den Haushalt organisieren und dann auch noch sexy sein müssen. Im Gegenteil: Sie glauben, mit ihrem Charme und ihrer Schönheit – „Die ukrainischen Frauen sind die schönsten der Welt“, lautet der Glaubenssatz – die Männer in der Hand zu haben.
Bei der Heinrich-Böll-Stiftung: Wer hätte schon gedacht, dass Frauen traditionelle Geschlechterrollen als befreiend empfinden?
Starke Frauen bedrohen die Männer in ihrer Identität, genauso wie es schwule Männer tun, mehr als lesbische Frauen, denn deren Sexualität nimmt niemand ernst. Die herrschende Klasse tut alles dafür, diese Bedrohungen klein zu halten. Allein mit Worten gelingt das ganz gut, zum Beispiel in der Presse. Homosexualität heißt hierzulande Homosexualismus, Homosexuelle nennen sie Homosexualisten – als ob die Liebe zum gleichen Geschlecht eine Ideologie wäre, die man einfach ablegen kann. „Wir haben Hunderte Briefe an die Chefredakteure der hiesigen Zeitungen geschrieben“, sagt Anna. „Genutzt hat es nichts.“
Es ist frustrierend. Mehr als eine Politik der kleinen Schritte ist nicht drin.
Die Zeit drängt, um 14 Uhr beginnt die Eröffnungszeremonie der Pride Week. Wir räumen ein bisschen den Tisch auf, nehmen noch ein paar Zefir mit und brechen auf. Es regnet, ein kalter Wind weht. Die Hitze von gestern hätten wir jetzt gerne zurück. Trotzdem laufen wir zum President Hotel, dem zentralen Veranstaltungsort der Pride Week. „Wandertag“, sagt Alex. Es ist nass und ein bisschen anstrengend.
Das President Hotel liegt, obwohl mitten im Zentrum, etwas isoliert auf einem Hügel in der Nähe des Olympiastadions – ideal für eine ukrainische Pride Week. Die Veranstalter*innen haben eigens einen Sicherheitsdienst für die nächsten fünf Tage bestellt plus Logistikdienstleister. Der heißt übrigens „Toleran“ und ist offen für alle Minderheiten.
In was für einer Welt leben wir eigentlich?
Olena Semenova eröffnet die Zeremonie, im Organisationsteam des KyivPride verantwortlich für die Pressearbeit. Nebenbei moderiert sie, ein Naturtalent.
Taras Karasyitschuk, Chairman des KyivPride, eröffnet die Pride Week.
Als die Aktivistinnen und Aktivisten eine meterlange Regenbogenflagge durch den Raum tragen, schießen dem einen oder anderen Tränen in die Augen. Ein bewegender Moment. Eine große Geste von einer so kleinen, mutigen Truppe.
Nacheinander bittet Olena Taras Karasyitschuk, den Chairman des KyivPride, Tanya Mazur, die Chefin von Amnesty International Ukraine, sowie die Vertreter*innen der Botschaften von Schweden, Holland, den USA und Kanada hinters Podium. Die Botschaften von Schweden und Norwegen finanzieren den KyivPride zum Großteil; die anderen Länder unterstützen das Event finanziell, ideell, auf ihre Weise, so auch die Briten und Deutschen.
Menschenrechte sind das große Thema in den nächsten 50 Minuten. „LGBT-Rechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind LGBT-Rechte“, sagt der Vertreter der US-Botschaft Douglas Morrow in Anlehnung an die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton. „You are not alone.“
Jetzt ist München an der Reihe. Olena spricht über die Kooperation zwischen KyivPride und CSD, die Kooperation zwischen den LGBT-Communitys beider Städte, die Kontaktgruppe Munich Kiev Queer, die alles koordiniert.
Ich darf hinters Mikrofon und das Grußwort von Stadträtin Lydia Dietrich verlesen. Zunächst aber erzähle ich, wie berührt und stolz die Münchner Community ist, hier heute vertreten sein zu dürfen. „Wir alle sind sehr angetan von Eurer Arbeit, die ihr tut, von dem Engagement, das ihr an den Tag legt, Eurer Haltung“, sage ich. „Dafür verdient Ihr unseren ganzen Respekt. Die Münchner Szene, die Community Eurer Partnerstadt steht an Eurer Seite.“
Gruppenbild mit Regenbogenflagge: Die Teilnehmer*innen der Eröffnungszeremonie gehen optimistisch in die Pride Week.
Lydia Dietrich dankt besonders Olena, Taras und Stanislaw Mischtschenko, dem International Secretary des Pride. „Die drei haben uns im letzten Jahr mit ihren Handlungen, Worten, ihrem Einsatz und Charme verzaubert. Ich freue mich, dass daraus eine so lebendige Partner- und Freundschaft der Communitys zwischen München und Kiew entstanden ist.“ Die Stadträtin glaubt fest daran, „dass wir, wenn wir uns weiter gegenseitig unterstützen, und niemals aufgeben, eines Tages erfolgreich sein werden.“
Applaus, Gruppenfoto – ein großer Erfolg.
Obwohl: Öffentlich war das Treffen nicht, auch Presse war nicht zugelassen. Um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Übergriffen zu schützen. „Störer nehmen anwesende Medien immer zum Anlass, vor laufender Kamera zuzuschlagen, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu haben“, erklärt Olena. „Das haben wir aus dem Debakel vergangenes Jahr gelernt.“ 2012 ist Swjatoslaw Scheremet nach einer Pressekonferenz krankenhausreif geprügelt worden; das Bild ging um die Welt.Zwei Stunden Pause. Zeit fürs Essen.
Dann die Debatte. Der KyivPride zeigt die Bilder der Münchner Ausstellungen „Sie war ganz schlimm schön“ und „Die Verzauberten“. Eine wunderbare Hommage an das Leben lesbischer Frauen und schwuler älterer Männer, mit all seinen Schicksalsschlägen, Wendungen und Irrwegen. Zur Vernissage haben die Veranstalter*innen zur Podiumsdiskussion geladen.
Die Sache zieht sich in die Länge; die Debattenkultur ist so ganz anders als in Deutschland. Die Leute sprechen lang, lassen sich Zeit, die anderen hören zu. Nach und nach entspannt sich eine lebendige Diskussion über die Zusammenarbeit von Lesben, Schwulen und Transgender, denn auch innerhalb der Kiewer Community gibt es Vorurteile und Kommunikationsschwierigkeiten. Für uns Münchner*innen ein vertrautes Thema: Man denke nur an die Ressentiments gegenüber Lesben, die die geplante Umbenennung des CSD zum Christina Street Day vor zwei Jahren hervorgebracht hat. Kein schönes Thema.
Die Ausstellung „Sie war ganz schlimm“ schön weitet den Blick für lesbisches Leben. Frauen müssen auch in der Ukraine sichtbarer werden.
In Kiew aber wendet sich der Streit heute zum Positiven: Es geht um Community-Building. „Viele neue Gesichter sind da“, freut sich Stanislaw, der uns die Debatte simultan übersetzt, bis er heiser ist. „Das ist toll. Und alle fordern sich gegenseitig auf, aktiv am Kampf gegen Homophobie teilzunehmen. So etwas hat es noch nie gegeben.“
Ein großer Schritt; an diesem Abend entsteht eine neue Bewegung.
Am Ende des Tages sind die Buttons der Kontaktgruppe mit dem Maskottchen „MucKi“ vergriffen. „Launch Pride“ steht da drauf, na das passt. Wir wünschen alles Gute! Bis morgen.