Prideblog 2017: OdesaPride II
München in Odessa. Zum zweiten Mal unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, Trans* und Bi*, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die wagen sich zum dritten Mal an den OdesaPride. Letztes Jahr ist er gelungen, davor war er verboten. Immer hat es Übergriffe auf LSBTI-Einrichtungen gegeben. 2017 aber haben die Veranstalter*innen Großes vor, denn im Vorfeld findet drei Tage lang das Creative Protest Festival statt, das die Gay Alliance Ukraine, der CSD München und Munich Kyiv Queer gemeinsam konzipiert haben. Mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Botschaft in Kyiw und des Münchner Kulturreferats übrigens. Münchens Oberbürgermeister hat an seinen Kollegen in der Schwarzmeerstadt sogar einen Brief geschrieben, in dem er um Unterstützung des Events und des Pride selbst bittet. Das Motto lautet: „Sicherheit, Gleichheit, Vielfalt! Odessa ist die Stadt der Zukunft.“
Unsere Hinfahrt zum OdesaPride 2017 erfolgt mit dem Taxi. Wir sind alle sehr erschöpft vom täglichen Hin- und Zurücklaufen zum Creative Protest Festival, von der flirrenden Hitze der Stadt und natürlich sind wir auch ein wenig aufgeregt, wollen mit unseren Kräften haushalten. Wir haben nämlich am Tag davor von Anna Leonova erfahren – sie ist die Leiterin der Gay Alliance Ukraine, die auch den Pride in Odessa organisiert – dass sich rechte Gegendemonstrant*innen angekündigt haben. Die Jugendorganisation der rechtsradikalen Partei Swoboda will zur gleichen Zeit die gleiche Strecke laufen. Keine angenehme Vorstellung.
Wir fragen Anna, wie wir Münchner*innen den OdesaPride unterstützen können und schlagen vor, dass wir beispielsweise unsere politischen Kontakte mobilisieren könnten. München ist zwar nicht die Partnerstadt Odessas, aber irgendwas sollte doch da zu machen sein. „Ja, das wäre sehr gut“, meint sie und so fange ich an, alle mir bekannten Menschen aus München, die politisch aktiv sind, über diese neue Lage zu informieren. Zuerst natürlich die Stadträtin Lydia Dietrich, die seit 2012 auch mit ihrer persönlichen Anwesenheit den KyivPride unterstützt. Dann Werner Gassner, Jan Erdmann und Kerstin Dehne, die wiederum ihre Kontakte aktivierten. Ihr Lieben in München, Ihr wart großartig! Samstagmittag von Odessa aus wären wir alleine chancenlos gewesen.
Die Route verläuft wie im Jahr zuvor entlang des „Am-Meer-Boulevard“, eine Strecke mit toller Aussicht aufs Schwarze Meer. Ein touristischer Anziehungspunkt im Zentrum der Stadt. In der Mitte des Boulevards befindet sich die Potemkinsche Treppe, ein Wahrzeichen der Stadt Odessa, berühmt geworden im Film von Sergej Eisenstein, „Panzerkreuzer Potemkin“. Aber zurück zu unserer morgendlichen Runde in der gemeinsamen Wohnung, die Naomi Lawrence, Uwe Hagenberg, Wieland Arndt und ich uns gemietet haben, allesamt von Munich Kyiv Queer und aus München.
Ich kann als einzige Russisch und daher obliegt es mir, das Taxi zu bestellen. Vor Aufregung nenne ich der Taxizentrale den End- statt des Startpunkts des Pride-Marschs. Wieland wird schon auf der Fahrt ein wenig mulmig. „Der wird doch jetzt nicht von rechts überholen“, ruft Wieland aufgeregt von der Rückbank. Doch. Genau das tat er.
Am Ziel treffen wir zeitgleich mit den Gegendemonstrant*innen ein. Junge, bullige Typen mit kurzgeschorenen Haaren und schwarzer Kleidung. „Auf einem Ausflug“ seien sie. So beantworten die Versammelten die Frage der Polizei, was sie vorhaben. Na, wer’s glaubt. Ich sage dagegen ganz ehrlich: „Ich möchte zum Marsch“. Die Polizistin rät mir, lieber nicht dort hinzugehen. Auf jeden Fall werden wir nach der obligatorischen Taschenkontrolle rein gelassen zum Boulevard. Dort empfängt uns schon ein Klassikkonzert unter freiem Himmel. Die ganze Szenerie hat etwas unwirkliches. „Wie wird es hier in ein, zwei Stunden ausschauen?“, denke ich mir.
Wir laufen den „Am-Meer-Boulevard“ einmal zurück bis ans andere Ende und gelangen so zum Sammelpunkt. Unterwegs treffen wir auch Liudmyla Kyrylenko und Vera Yakovenko, die das Creative Protest Festival für uns filmisch begleitet haben und jetzt auch den Pride filmen möchten. Am Zielpunkt sind schon die Volunteers und auch etliche Marschteilnehmer*innen, einige halten die Schilder hoch, die wir während des Creative Protest Festivals vor wenigen Stunden noch zusammen gemalt und gebastelt haben. Man könnte glauben, dass wir eine odessitische Tierschutzorganisation sind, die sich um Katzen kümmert. Auf den Schildern machen sich nämlich die Katzen stark für gleiche Rechte und für die Freiheit aller Menschen – wie unterschiedlich sie auch seinen mögen.
Dabei haben die es gar nicht nötig. Es ist immer wieder verblüffend, wo einem in der Stadt Katzen im Weg rumliegend begegnen. Mitten auf den Bürgersteigen, unter Cafétischen, schattigen Bäumen. Wenn Lesben, Schwule und Transgender sich in der Ukraine genauso sicher fühlen könnten, ja, das wäre schön. Sie gehören dazu, wie die Katzen, sind genauso unterschiedlich.
Um 10.30 Uhr beginnt der Marsch. Wir sind etwa 150 Teilnehmer*innen, geschützt von der Polizei und der ukrainischen Nationalgarde. Auffällig ist, dass die Präsenz der Staatsmacht deutlich niedriger ist als in Kyiw. Ich hoffe, sie wissen, was sie tun und wie viel Schutz benötigt wird. Der Pride verläuft bis zur Mitte der Wegstrecke ohne Vorkommnisse, nur zwei Rollstuhlfahrer demonstrieren mit einem Schild, das Schwule irgendwie als Hähne verunglimpft. Weitere Gegendemonstrant*innen sehe ich nicht. Es sind die während des Creative Protest Festivals entstandenen Schilder zu sehen, die Teilnehmer*innen haben aber auch Schilder von zu Hause mitgebracht. Auch eine sehr große Regenbogenflagge wird getragen. An der Mitte, an der schon erwähnten Potemkinschen Treppe, wird der Pride gestoppt. Ich verstehe erst nicht, wieso. Ist es ein geplanter Halt? Auf der rechten Seite befindet sich ein Gatter, das Fußgänger und auch Gegendemonstrant*innen zurückhalten soll. Es wird von der Polizei bewacht. Viele Menschen sind nicht zu sehen, eine Frau schlägt wie von Sinnen immer wieder gegen das Gatter.
Mir wird langsam heiß. Bei mehr als 30 Grad in der prallen Sonne zu stehen, ist in Odessa kein Vergnügen. Ich habe extra nur eine kleine Wasserflasche mitgenommen, um gut vor Angreifern weglaufen zu können. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte doch die große Flasche dabei. Wir erfahren dann den Grund für diesen Halt: Auf der anderen Seite sind die Gegendemonstrant*innen, sie sind den „Am-Meer-Boulevard“ vom anderen Ende gestartet und so trafen beide Gruppen in der Mitte aufeinander. Die Polizei ist nicht bereit, den Weg für den schon lange angemeldeten Pride freizuräumen.
So wird zu einem Sitzstreik aufgerufen. Einer der grandiosen LSBTI-Chöre, die es seit einiger Zeit in der Ukraine gibt, singt Lieder für uns. Eine unermüdliche Aktivistin mit Flüstertüte stimmt die Gruppe auf immer wieder neue Schlachtrufe ein. Es werden Reden gehalten. Es werden die Teilnehmer*innen aus den einzelnen Städten begrüßt – wir Münchner*innen sind die einzigen Ausländer. Und es wird heiß. Immer heißer. Ich witzle schon zu Naomi: „Also, wenn ich mal meine Memoiren über mein schrecklichstes Pride-Erlebnis in der Ukraine schreiben werde, dann wird das vielleicht nicht mal der Moment, als Rechtsradikale mit brennenden Feuerwerkskörpern auf uns zugerannt kamen, sondern stundenlanges Sitzen in der prallen odessitischen Sonne.
Aber es kommt anders. Der Sitzstreik wird abgebrochen, wir werden zu den bestellten Bussen geleitet und nach einer Irrfahrt irgendwo wieder rausgelassen. Die Helfer*innen des Prides erklären uns genau, wie wir wieder ins Zentrum kommen.
Der OdesaPride 2017 hat also stattgefunden, es gab m.E. keine Verletzten, aber die LSBTI-Bewegung wurde maßgeblich in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit beschränkt. Die Polizei hat nicht erlaubt, wegzugehen, um Wasser zu kaufen und dann wieder zurückzukommen. Nächstes Jahr wird es einen neuen Versuch geben. Ich bin wieder dabei.
[Sibylle von Tiedemann, Sprecherin Munich Kyiv Queer]
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