BERICHT AUS KIEW – Tag 3 „Ein Plan B muss her“
Sommeridylle in Kiew. Die Realität sieht anders aus – jedenfalls für Lesben, Schwule und Transgender.
Kiew, 21. Mai 2013 – Als wir im Restaurant Tampopo ankommen, haben wir wirklich sehr schlechte Laune. Olena Semenova, im Organisationsteam des KyivPride verantwortlich für die Pressearbeit, und ich treffen uns mit Miriam Kosmehl von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ein wichtiges Meeting. Es geht um eine mögliche Zusammenarbeit zwischen den Kiewer und Münchner LGBT-Gruppen auf der einen und der FDP-nahen Stiftung auf der andern Seite. Doch weder Olena und ich können uns so recht auf das Gespräch konzentrieren; wir sind schlicht frustriert.
Es ist 13 Uhr. In zwei Stunden wird der Stadtrat von Kiew mitteilen, dass er vor Gericht ziehen will, um den Pride March am Samstag zu verbieten. Das haben wir gerade erfahren. Montag noch hatten die Stadtmütter und -väter die Veranstalter*innen des KyivPride höflich gebeten, die Kiewer „Politparade“ auf einen andere Tag zu verschieben – der Gewalt wegen, die zu erwarten ist von Rechtsradikalen, Kirchen und Kosakenverbänden. Ohne die Antwort der Pride-Macher abzuwarten, hat die Stadt am Dienstag dann Fakten geschaffen.
Das Gespräch mit Miriam Kosmehl verläuft zäh. Die junge Chefin der Friedrich-Naumann-Stiftung hat aber größtes Verständnis. Um uns zu trösten, bestellt sie uns erstmal was zu essen. Es gibt Sushi, Olena bekommt ein Eis, lässt es aber stehen. Kosmehl hört aufmerksam zu. Die junge Frau kennt das Problem: „Wir arbeiten mit vielen liberalen Kräften in Kiew zusammen“, sagt sie, „aber immer wenn das Gespräch auf Lesben und Schwule kommt, werden die Leute aggressiv. Gay ist ein Reizwort.“ Sie versteht es nicht.
Unser Maskottchen MucKi kommt in Kiew gut an. Die Buttons mit dem Pride-Muskelprotz sind in wenigen Minuten vergriffen.
Wir erklären ihr alles über den Pride, die Arbeit der Kiewer, die Zusammenarbeit mit den Münchner Lesben-, Schwulen- und Trans-Gruppen. Olena wird deutlich: „Es ist eine Kampagne. Weltweit machen Evangelikale und andere Kirchen gegen Lesben, Schwule und Transgender mobil, nicht nur in der Ukraine.“ Die Leute nehmen diese moralische „Reinigung“ als etwas Positives wahr, merkten dabei gar nicht, dass eine solche Haltung die Gesellschaft an sich bedroht, sich am Ende gegen sie selbst richtet. „Es geht um Menschenrechte, schlicht und einfach.“
Jetzt ist Olena wieder ganz die Alte – mit wunderbar pointierten Argumenten führt sie klug und durchdacht den Diskurs. Miriam Kosmehl ist angetan. Sie spricht nun über ihre eigene Arbeit; jetzt hören wir aufmerksam zu. Der Friedrich-Naumann-Stiftung geht es um Politikberatung, um politische Bildung. Mit Debatten und Workshops schult sie interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer – zum Beispiel zum Thema Bürgerzentren.
Bald kommt sie zum Thema zurück. „Warum sollen wir nicht ein Panel organisieren zum so genannten Anti-Gay-Propaganda-Gesetz“, sagt sie, „mit Kandidaten, die sie vorschlagen, und unserer Finanzierung. Wir könnten zeigen, was dieses Gesetz für die Meinungsfreiheit im Land bedeutet und damit für die Demokratie.“ Eine wunderbare Idee.
Das Telefon klingelt, es ist jetzt drei Uhr. Neuigkeiten von der Kiewer Stadtverwaltung? Zum Glück nur das Münchner Rathaus. Die Stelle für Internationale Angelegenheiten ist besorgt über das drohende Verbot des KyivPride; Bürgermeister Hep Monatzeder hat einen Brief an die Partnerstadt geschickt, schon den dritten inzwischen. Eine Reaktion freilich werden die Münchnerinnen und Münchner nicht bekommen.
Kiew verhält sich im Umgang mit seiner Partnerstadt generell wenig mustergültig. Schon vor Wochen hat der Münchner Stadtrat seinen Besuch zum Pride angekündigt. Eine Antwort haben die Politikerinnen und Politiker erst vor Kurzem bekommen – in Form einer Einladung zum Sightseeing während des KyivPride, den Anlass der Reise völlig ignorierend.
Die Kiewer U-Bahn ist an vielen Stellen prächtig neubarock.
Miriam Kosmehl lädt uns zum Essen ein, eine liebevolle Geste, für die wir sehr empfänglich sind. Sie bedankt sich für das inspirierende Gespräch und versucht, sich in der Pride Week mal blicken zu lassen. „In jedem Fall bleiben wir in Kontakt“, sagt sie.
Zeit für eine Pause. Die erste Zigarette des Tages.
So schnell wie möglich fahren wir jetzt zum Community Center der Gay Alliance. Das kleine Zentrum ist voll. Im Gemeinschaftsraum sitzen etliche Volunteers, die heute ihr Sicherheitstraining absolviert haben. Olena stellt mich kurz vor, niemand spricht Englisch. Eine Aktivistin sagt laut Danke und sie meint damit: „Danke, München!“. Still sitzen wir alle im selben Raum einander gegenüber, niemand spricht, etwa 20 Leute. Sie können kein Englisch, ich kein Russisch. Irgendwann holt sie jemand ab und bringt sie zu ihren Unterkünften.
Die Sonne brennt durch die Fenster. Es ist stickig. Lange Zeit passiert erst einmal gar nichts, bis die Chefs kommen. Taras Karasyitschuk, Chairman des KyivPride, und Stanislaw Mischtschenko, International Secretary, sind vom Lunch zurück. Den ganzen Morgen haben sie mit Botschaften und Menschenrechtsorganisationen telefoniert, um doch noch etwas ausrichten zu können im Kampf gegen das Verbotsverfahren der Stadtverwaltung. Sie waren erfolgreich – die Botschafter Schwedens und Norwegens, die den Pride finanzieren, und die USA, die den Pride kürzlich mit einem Statement unterstützt haben, wollen sich einmischen.
Jetzt heißt es abwarten. Schnell muss noch der Club für Thomas Lechners Candy Club umgebucht werden. Statt im Hotel President findet der jetzt im Gay-Club Pomada statt – das Hotel braucht den Saal kurzfristig selbst. Planungssicherheit? Gibt es nicht.
Warten auf den Pride.
Taras schließt sein Büro ab. Stas und er müssen gleich wieder weg. Sie treffen sich mit Amnesty International, um einen Plan B vorzubereiten, falls der Pride-March verboten wird. „Alles wird gut“, sagt Stas, und ich frage mich, wo der Mann immer die Ruhe hernimmt. „Diese Sache mit dem Gericht überrascht uns nicht“, sagt Stas, „wir müssen uns jetzt einfach Alternativen überlegen.“
Erst spät in der Nacht werde ich erfahren, dass der Plan aufgegangen ist: Erstmal geht alles weiter wie geplant. Sollte bis Donnerstag, 17 Uhr, das Gericht die Politparade verboten haben, werden die Veranstalter*innen den Pride außerhalb der Stadtmitte abhalten. Sollte das Verbot erst Freitagnachmittag kommen, findet die Parade gar nicht statt. Dafür wird zur selben Zeit eine Pressekonferenz für Aufmerksamkeit sorgen. Beindruckend; von diesen Leuten können wir viel lernen.
Ich muss weg. Um 18 Uhr treffe ich Andreas Stein, den Ukraine-Korrespondenten der dpa, vor dem Metro-Eingang der Station Zoloti Vorota. Wir gehen in den Biergarten neben dem vermeintlich mittelalterlichen Stadttor, bestellen Wein, Borschtsch, Vareniki. Neben dem Springbrunnen fühlt sich Kiew wie Urlaub an.
Wir kommen gut ins Gespräch. Stein braucht Infos zum Pride. Über die Situation von Lesben, Schwulen und Transgender in der Ukraine ist er erstaunlich gut informiert; er kennt die meisten Kontaktleute, viele Hintergründe. Bis Freitag will er verschiedene Aktivist*innen zum Thema interviewen und jetzt braucht er noch ein paar Kontaktdaten und Zusatzinformationen.
„Die Ukrainer sind eigentlich sehr tolerant“, sagt er. „Nur wenn das Gespräch auf Lesben und Schwule kommt, rasten sie aus.“ Er schüttelt den Kopf. Dass der Pride stattfindet, glaubt er nicht. Da sind einfach zu viele dagegen und ein Gericht wird sich dem politischen Mehrheitswillen beugen, glaubt Stein. Wir werden sehen. Morgen ist auch noch ein Tag.
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