PRIDEBLOG Das war einfach nur: WOW!
Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum sechsten Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, Trans* und Bi*, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr Großes vor mit einer Pride Week, die länger denn je und reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Sie zeigen Filme, diskutieren, unterrichten und Partys gibt es auch, klar! Der Pride March soll in diesem Jahr um die 5000 Menschen in die Kapitale locken. Wir Münchnerinnen und Münchner machen mit und beteiligen uns unter anderem mit einem T-Shirt-Workshop am Kulturprogramm. „Ein Land für alle“, lautet die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Minderheitenrechte sind Menschenrechte und gut fürs ganze Land!
Ich bin zum fünften Mal in Kyiw, um den Pride-Marsch zu unterstützen. Neben mir nehmen noch dreizehn weitere Vertreter*innen der Münchner Szene teil. Mich freut es sehr, dass nicht nur Mitglieder von
Munich Kyiv Queer Jahr für Jahr nach Kyiw fahren, sondern dass auch dieses Mal neue Gesichter dabei sind wie
Vilmos und
Seba vom Sub oder
Martin von Various Voices. In der Münchner Szene hat Munich Kyiv Queer dem zweitgrößten Land Europas auf jeden Fall zu mehr Sichtbarkeit verholfen.
Noch nie war ich vor einem Pride in Kyiw so entspannt wie dieses Mal. Eine Stimmung, die der Leiter der
Heinrich-Böll-Stiftung,
Sergej Sumlenny, offensichtlich teilt, wie mir sein frommer Wunsch „Hoffentlich regnet es am Sonntag nicht“ verdeutlicht. Ist es das, was uns 2017 am meisten bewegt? Ob es regnet oder nicht? Es scheint fast so. Mehrfach hören wir, dass in diesem Jahr in Kyiw erstmals nicht diskutiert wurde,
ob der Pride stattfindet, sondern nur,
wie lange die Wegstrecke sein wird. Ganz analog ist in unserer Gruppe erstmals von Anfang an klar, dass wirklich jeder teilnehmen möchte und niemand noch überlegt, ob es ihm nicht doch zu gefährlich ist.
Pünktlichkeit – ein klassischer, deutsch-ukrainischer Konflikt
Wir Münchner*innen treffen uns am Pride-Tag um 9 Uhr vor dem Restaurant
Borschtsch. Das Lokal liegt nahe an unseren Wohnungen und wir kennen es alle schon von einem gemeinsamen Abend. Der Tag hält noch genug Überraschungen und emotionale Aufs und Abs bereit, da soll die Anfahrt entspannt sein.
Der erste, ziemlich klassische deutsch-ukrainische Konflikt lässt nicht lange auf sich warten. Dass er nicht ausbricht, liegt sicherlich auch an unserer Routine. Der Routine mit dem KyivPride. Mit den Ukrainer*innen. Mit uns.
Ich habe meine ukrainische Freundin
Alla eingeladen, sich der Münchner Gruppe (und damit mir) beim Pride-Marsch anzuschließen, aber sie kommt zu spät zum vereinbarten Treffpunkt. Es sind schon alle da, nur Alla fehlt. Ich rufe sie kurz nach 9 Uhr an und sie meint, sie sei in sieben Minuten da. Eine erstaunlich präzise Angabe, aber ist die auch verlässlich? Wir alle sind extra wegen des Prides angereist, wir wollen dabei und rechtzeitig vor Ort sein. Die anderen werden unruhig, Adrenalin und Anspannung suchen sich ihren Weg und da hilft ein bisschen Bewegung. So sage ich versucht locker: „Geht schon mal los, Alla wird mir den Weg zeigen.“ Und so gehen die anderen, während ich auf Alla warte. Die taucht dann schließlich noch auf und hat ihre heterosexuelle Mitbewohnerin mitgebracht, die den Marsch unterstützen möchte. Klasse.
Die Community erobert den öffentlichen Raum
Es sind diese Details, an denen deutlich wird, dass der KyivPride sich zwischen 2013 und 2017 rasant geändert hat.
2013: Eine kleine, vorab registrierte Gruppe an Teilnehmer*innen, geringe Einbindung der Community, keine Spontanteilnahme möglich, Treffpunkt an einem kurz vorher bekannt gegebenen Ort, Fahrt in kleinen Bussen zum Ort des Geschehens in einem abseits gelegenen Stadtteil. Die Busfahrt wird genutzt, um uns nochmal die Sicherheitsinstruktionen nahe zu bringen.
2017: Jeder kann teilnehmen, die Community weiß Bescheid, der Ort steht schon lange vorher fest und befindet sich ganz im Zentrum, bei der Universität. Wir laufen zu Fuß hin.
Alla, ihre Mitbewohnerin und ich erreichen schließlich die Oper, den diesjährigen Versammlungspunkt. Die Strecke vom letzten Jahr wurde um ein Block verlängert. Das finde ich richtig gut. Es muss vorwärts gehen, die Organisator*innen wollen den unglaublichen Erfolg vom letzten Jahr steigern und haben zusätzlich Wegstrecke ausgehandelt. So erobern sich die Lesben, Schwulen und Transgender in Kyiw den öffentlichen Raum. Schritt für Schritt, Stück für Stück, Meter für Meter.
An der Oper müssen wir die Sicherheitskontrollen passieren, die wir schon vom letzten Jahr kennen. Metalldetektoren, Taschenkontrolle, Leibesvisite. Irgendwie gewöhnt man sich auch ein wenig an die unglaublich starke Präsenz von Nationalgarde und Polizei, die gleichzeitig deutlich macht, dass das alles nicht ganz so normal hier in der Ukraine ist.
Länger, größer, bunter
Bald haben wir die Münchner Gruppe gefunden, was mich froh macht. Ein bisschen war ich mir doch unsicher, ob ich sie unter den 5000 prognostizierten Teilnehmer*innen wiederfinden würde. Neben unserem historischen „München grüßt seine Partnerstadt Kyiw“-Banner setzen wir dieses Jahr auch einen kleinen modischen Akzent mit den München-Käppis, die Stadträtin
Lydia Dietrich mitgebracht hat.
(Bild)
Beim Umschauen wird sehr schnell klar: Der Pride 2017 wird größer, bunter, fröhlicher als je zuvor sein. Er übertrifft sogar den Pride 2016.
Amnesty International hat wieder die Sambaband
Rhythm of Resistance mitgebracht, aber man hört sie nur, wenn man in der Nähe steht. Zu viele Menschen sind hier versammelt. Zu sehen sind sehr viele selbstgemalte Transparente, die zu Hause und in den Workshops während der Pride Week entstanden sind. Viele Regenbogenflaggen, Zeichen und Symbole einzelner Gruppen. Dazwischen mischen sich Botschafter verschiedener Länder wie beispielsweise der schwedische, der seine Kinder mitgebracht hat. Und da drüben hat jemand sein Baby dabei. Es wird deutlich: Die Menschen glauben an einen friedlichen Pride. Sie wollen dabei sein, Präsenz zeigen.
2017 gibt es in Kyiw den ersten Wagen. Auf ihm: tanzende Drag Queens. Um den Wagen, fast wie eine mahnende Erinnerung, ist das Motto des diesjährigen Prides als Banner gespannt: „Ukraine is a country for all.“ Und genau das wollen die Veranstalter*innen auch mit den Drag Queens ausdrücken. Auch sie gehören dazu in all ihrer Schrillheit.
Brauchen wir Drag Queens?
Der geplante Auftritt wurde unter uns Münchner*innen intensiv diskutiert. Ich frage mich: Handeln die Organisator*innen damit klug? Ist das die zentrale Botschaft eines Pride-Marsches? Tanzende Drag Queens? Ich zweifle, muss ich ehrlich gestehen. Sollte das Signal an Kyiw und die Ukraine nicht viel mehr sein, dass wir Lesben, Schwule und Transgender nicht anders sind als die Mehrheitsgesellschaft? Ich muss an die Diskussionen um die Presseberichterstattung nach den Münchner CSDs denken, in der es Jahr für Jahr eben meist nur die Drag Queens auf die Titelseiten schaffen und damit ein nicht gerade repräsentatives Bild der LSBTI-Community an die Mehrheitsgesellschaft vermitteln.
Einer der Organisatoren in Kyiw meint auf meine Einwände nur, dass sich die Presse ihre Bilder so oder so sucht und schreibt, was sie möchte. Also könne man auf dem Pride genauso gut das zeigen, was man selbst möchte. Die Argumentation hat natürlich auch etwas.
Aber erst als Alla, meine ukrainische Freundin, den Wagen mit den Drag Queens das erste Mal zu sehen bekommt, verfliegen meine theoretischen Überlegungen und Zweifel instant. Mit großen Augen sagt sie staunend, dass die Ukraine so etwas noch N I E gesehen hat und kann sich selbst gar nicht satt sehen. Es ist einfach dieses unglaubliche Bild, das wirkt. Wenn mitten in Kyjw neben der ehrwürdigen Taras-Schewtschenko-Universität Drag Queens auf einem Wagen fahren können, dann ist alles möglich. Auch das ist eine Botschaft aus dem Jahr 2017.
Ach übrigens, es ist 2017!
Ein einfaches Schild, schwarzer Filzstift auf braunem Karton, sagt mit feiner Ironie: „By the way, we have 2017“. Einerseits revolutionär, was hier passiert, andererseits einfach eine Ansammlung von Lesben, Schwulen, Transgendern und Unterstützer*innen, wie sie in den meisten demokratischen Staaten auf einem CSD zu sehen sind.
Für uns Deutsche schwerer zu dechiffrieren sind die lustigen Lieder, die vorne zu hören sind und zu denen manch einer der Münchner*innen zu wippen beginnt. Alla erklärt uns, dass diese Lieder eine Provokation der Pride-Gegner*innen sind. Es sind Kinderlieder, in denen ein glückliches Familienleben mit Vater, Mutter und Kind besungen wird. Auch die ukrainische Popmusik, die anschließend folgt und die in unseren Ohren so harmlos und nett klingt, ist reine Provokation: Ein glückliches, heteronormatives Familienleben lässt sich in vielen Genres besingen.
Aber doch: Ein Fortschritt auch dies. Während wir 2015 mit brennenden Feuerwerkskörpern angegriffen worden sind, ist der Protest in diesem Jahr kreativer, bunter geworden. Mit Kinderliedern und Popmusik. Sollen sie doch, solange keine Gewalt ausgeübt wird. Von uns unbemerkt umgeleitet werden muss der Marsch dann aber doch für eine kleine Wegstrecke. Um Konfrontation mit den Gegnern zu vermeiden.
Entspannt, glücklich!
Am Ende erfolgt der Abtransport mit Bussen. Nach wie vor ist der Abschluss ein gefährlicher Moment. Wir werden bis an eine Endstation der Metro gefahren, um von dort wieder selbstständig ins Zentrum zurückzukehren. Ein bisschen mühsam das. Erst hier merke ich, dass ich doch angespannt war. Da nämlich lässt sie nach, die Anspannung, und ich weiß: Es ist geschafft, der Pride 2017 war erfolgreich. So ganz selbstverständlich ist das ja nicht.*
Nicht nur als Aktivistin von Munich Kyiv Queer, sondern als Zeitzeugin bin ich sehr gespannt, was 2018 kommen wird.
(Sibylle von Tiedemann)
*Nach dem KyivPride am 18. Juni haben mehrere Gruppen Rechter sechs Teilnehmer der Parade verprügelt und verletzt, allesamt schwule Männer aus dem In- und Ausland.
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