PRIDEBLOG Abends um acht kommt eine Mail
Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum sechsten Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, Trans* und Bi* unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr Großes vor, auch wenn die Umstände widrig sind, mit einer Pride Week, die länger denn je und reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Sie zeigen Filme, diskutieren, unterrichten und Partys gibt es auch, klar! Der Pride March soll in diesem Jahr um die 5000 Menschen in die Kapitale locken. Wir Münchnerinnen und Münchner machen mit und beteiligen uns unter anderem mit einem T-Shirt-Workshop am Kulturprogramm. „Ein Land für alle“, lautet die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Minderheitenrechte sind Menschenrechte und gut fürs ganze Land!
Früher war das so: Da kamen jeden Tag andere Meldungen aus irgendwelchen Behörden, die mal Zuversicht, mal Verzweiflung bei den Beteiligten auslösten. Findet der Marsch jetzt statt oder nicht? Diese Frage hat uns alle begleitet, die wir seit 2012 jedes Jahr nach Kyiw gefahren sind, um die Pride Week zu begleiten und mitzugestalten. Am Ende wollten wir natürlich auch immer mitlaufen beim „Marsch für Gleichheit“. Nicht immer ist das gelungen.
Und jetzt? Kommt schon Montagabend zu Beginn der Pride Week mit all ihren Veranstaltungen eine lapidare Pressemitteilung, in der steht, welche Route der Pride-Marsch nimmt, wieviel Polizisten die Veranstaltung schützen werden und dass man ungefähr 5000 Teilnehmer*innen erwartet. Das Datum, Sonntag, 18. Juni, steht ohnehin schon seit Wochen fest. Den Termin haben die Veranstalter*innen im Rahmen einer Pressekonferenz verkündet. Was ist seitdem passiert? Nichts!
Hat sich die Ukraine so radikal verändert?
Na ja, nichts stimmt nicht ganz.
Zoryan Kis vom
KyivPride gibt unentwegt Interviews, die Journalisten fragen freundlich und geben dem Thema die Sichtbarkeit, die sich die Veranstalterinnen und Veranstalter in den Medien wünschen. Um die Rechten aber bleibt es merkwürdig still, kein Windchen rührt sich in den sozialen Netzwerken, keine Feindseligkeiten, keine Drohungen, kein Blutbad, nichts. Mit einem Typen vom Rechten Sektor hat Zoryan im TV-Kanal
ZIK sogar über den KyivPride diskutiert. Ein ukrainischer Nationalist, der russischer Staatsbürger ist und nur russisch spricht. Klar, wer da gewinnt!
Geht es hier wirklich um den CSD in der Ukraine? Hat sich das Land in nur sechs Jahren, in denen sich die Pride-Bewegung etabliert hat, so radikal geändert, dass sich keine gute Seele mehr über Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* (LSBTI) aufregt?
Ganz so ist es freilich nicht.
Anna Sharyhina, die für den KyivPride das Veranstaltungsprogramm in dieser Woche organisiert und koordiniert, hat bei der Eröffnungsfeier am Montagabend in der
Deutschen Botschaft das Problem klar benannt: „Viele denken ja, dass die Sache mit den Lesben und Schwulen durch ist in der Ukraine, kein Thema mehr.“ Bloß weil es mit dem KyivPride seit zwei Jahren mal einigermaßen läuft. „Aber ich höre jeden Tagen von Menschen, denen körperliche und seelische Gewalt zugefügt wird, die Diskriminierung erfahren, eben weil sie lesbisch, schwul, bi*, trans*, inter* sind.“ Und das stehe natürlich nicht in der Zeitung. Gut: Der KyivPride mache die Community sichtbar; er ist wichtig, aber kein guter Anlass für Pinkwashing. Denn in der Ukraine liegt noch vieles im Argen.
Die zwei Seiten des Landes am Dnipr
Es ist diese Ambivalenz, die die Ukraine ausmacht, die wir fürchten und schätzen, seit wir hier arbeiten. Dieses Einerseits, Andererseits. Einerseits ist das Land sehr tolerant, denn hier haben immer viele Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religion und Sprache gelebt, man toleriert das, kommt durch damit. Das Neben- oder Miteinander hat Freiräume geschaffen in einem immerhin postsowjetischen Land, in dem sich die Menschen andererseits immer schwer damit getan haben, aufzufallen und anders zu sein.
Auf der einen Seite also nehmen viele Menschen Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* einfach so hin, schlicht, weil es sie nicht sonderlich interessiert. Auf der anderen Seite schüren Kirchen und Nationalisten Hass, weil Homosexualität nicht in ihr enges Weltbild passt und wer nicht anecken will, muss sich automatisch einordenen. Sie geben die Norm vor. „Die Kirchen sind unser größter Feind“, sagt
Andrii Kravchuk, einer der Geschäftsführer von
Nash Mir.
Die LSBTI-Organisation, deren Namen sich auf deutsch mit „Unsere Welt“ übersetzen lässt, sammelt seit 20 Jahren alles an Diskriminierungsfällen, was Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* in der Ukraine widerfahren kann und sie beobachtet Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Hinblick auf Menschenrechte. Einmal im Jahr publiziert sie ihre Ergebnisse in einer großen Studie. Wir haben Andrii und seinen Mann im Zentrum der Stadt in einem Biergarten am Goldenen Tor getroffen, wo sich Kyiw an diesem sonnigen Montagnachmittag wie eine Stadt am Meer anfühlt, so lau ist der Wind, so schön singen die Vögel um uns herum.
Die Kirchen also. Die Nationalisten seien zwar viel aktiver als die Kirchen, auch gewaltbereit, sagt Kravchuk. Sie spielen im Parlament aber keine Rolle, sie sind wenige, ihr Revier ist die Straße. Die Kirchen dagegen sind eine große, moralische Instanz. Homosexualität ist in deren Augen eine Sünde. Das sickert ein, verdunkelt die Gedanken und Gefühle der Gläubigen. Wenigstens halten sich die Kirchen heute zurück mit ihren hasserfüllten Statements, ihren Aufrufen zu Gewalt und Ausgrenzung, seit die Ukraine im Osten Krieg gegen prorussische Separatisten führt. Denn der russischen Welt fühlt man sich dann doch nicht zugehörig. „Wir nutzen das für unsere Zwecke“, sagt Kravchuk.
Progressive Trans*gesetze treffen auf Alltagsdiskriminierung
So kann sich die Ukraine nun also – einerseits – mit einem großen Pride in Kyiw und einem kleineren in Odessa schmücken. Die Regierung hat einen Aktionsplan für Menschenrechte verabschiedet, der unglaublich ambitioniert ist. Ein bisschen was davon wurde ja schon umgesetzt. Die neuen Gesetze zur Transition etwa. „Eine Beratung beim Hausarzt genügt und schon kann man seine Papiere umschreiben lassen“, berichtet
Svitlana Malysheva von der LSBTI-Organisation
Insight, die sich um Trans* und Lesbenrechte kümmern. Die Aktivistin, die uns ebenfalls Montag empfangen hat in ihrem Büro, freut sich darüber. Früher musste man sich zwei Monate zwangseinweisen lassen in irgendeine Kyiwer psychiatrische Klinik; wer neue Papiere wollte, musste sich operieren, sterilisieren, scheiden lassen. Das alles ist vorbei. Sogar gleichgeschlechtliche Ehen sind nach einer Namensanpassung so im Prinzip möglich – wenngleich registrierte Lebenspartnerschaften selbst noch gar nicht eingeführt sind. Svitlana fragt sich, wie Regierung und Parlament diesen Konflikt wohl lösen werden.
Gleichzeitig werden – andererseits – jeden Tag Lesben und Schwule, Trans* und Bi* angefeindet, überfallen, aus dem Job gedrängt, weil die Vorbehalte doch groß sind, weil bis heute nur wenige Menschen verstehen, dass LSBTI kein Lebensstil ist, sondern ein Wesenszug, über den sich nicht verfügen lässt.
Als am Dienstagabend im
Pride House in der Kleinen Oper die Pride Week offiziell eröffnet wird, steht vor der Türe eine Gruppe von Christen, die skandieren: „Kyiw ist nicht Sodom“. Sie blockieren den Eingang, um sie herum: Polizei. Die meisten Besucher*innen laufen einfach hinten an ihnen vorbei und gehen rein. Da sind sie also: die Feinde der Community, gläubige Christenmenschen, die Gender-Mainstreaming für eine Krankheit halten. Zoryan Kis spricht in diesem Moment drinnen im Pride House auf der Bühne. Er sagt: „Die Atmosphäre hier drin ist ganz anders als da draußen. Draußen – das ist die Vergangenheit, der Kleinmut, der unsere Herzen eng macht. Hier gestalten wir die Zukunft unseres Landes, mit Liebe, Respekt. Hass hat keinen Bestand.“ Es gehört viel Mut dazu so zu reden. Nicht nur, weil die da draußen vor der Oper vielleicht auf die Besucher*innen der Veranstaltung warten werden, wenn sie später das Haus verlassen. Sondern auch, weil jede und jeder, die und der sich öffentlich zu seine sexuellen Orientierung und Gender-Identität bekennt, um seine Existenz fürchten muss.
So bleibt also viel zu tun in diesem Land, in dem alles gleichzeitig so schwierig und gleichzeitig alles möglich ist. Heute mehr denn je! Der Eurovision Song Contest zum Beispiel, der hat eine Fröhlichkeit in die Stadt Kyiw gebracht, die bis heute nachwirkt. Hier ein Lächeln, mehr Englisch im Supermarkt, weniger Wildparker, moderne Bushaltestellen, saubere Parks. Die meisten Menschen lassen noch immer mit sich reden, sich mitnehmen. Und das wird die Ukraine verändern, langsam aber sicher. Happy Pride!
(Conrad Breyer)
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