PRIDEBLOG Britisches Role Model, Lachs aus Norwegen und ein Regenbogen-Award
Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum sechsten Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, Trans* und Bi* unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr Großes vor, auch wenn die Umstände widrig sind, mit einer Pride Week, die länger denn je und reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Sie zeigen Filme, diskutieren, unterrichten und Partys gibt es auch, klar! Der Pride March soll in diesem Jahr um die 5000 Menschen in die Kapitale locken. Wir Münchnerinnen und Münchner machen mit und beteiligen uns unter anderem mit einem T-Shirt-Workshop am Kulturprogramm. “Ein Land für alle“, lautet die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Minderheitenrechte sind Menschenrechte und gut fürs ganze Land!
Nichts im Leben ist in Stein gemeißelt. „Alles kann sich rasend schnell ändern“, sagt
Judith Gough, britische Botschafterin in Kyiw und offen lesbisch. Sie begrüßt das Organisationsteam des
KyivPride hier auf der Treppe vor der Norwegischen Botschaft neben ihren Kollegen aus Norwegen und Schweden. Alle drei unterstützen sie den KyivPride 2017 mit diesem Empfang. Gough sagt, als sie vor 26 Jahren ihr Coming-out hatte, hätte sie im Traum nicht daran gedacht, einmal ausgerechnet in Kyiw als Botschafterin Großbritanniens den Pride zu eröffnen. Sie hat sich vieles nicht vorstellen können. Judith Gough lebt mit einer Frau zusammen, hat zwei Kinder. Ihr Sohn tobt in Socken, kurzer Hose und Wishiwanka über den Rasen der Norweger, Gough verliert ihn nie aus dem Blick. Die Wishiwanka ist ein traditionelles ukrainisches Hemd für Männer.
Judith, wie sie hier alle nennen, ist für die ukrainische Community in der Ukraine das große Vorbild, ein
role model, wie sie selbst sagt. „Wir brauchen mehr davon.“ Außerdem positive Botschaften, Aktivismus, viel sichtbaren Aktivismus und Durchhaltevermögen. Dann wird sich auch die Ukraine weiter Richtung Minderheitenrechte bewegen.
Keine Zwangssterilisation mehr
Einiges ist ja schon erreicht worden in den vergangenen Jahren: ein Antidiskriminierungsgesetz im Arbeitsrecht, Transition ohne Zwangssterilisation, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften bis 2020, so steht es jedenfalls im Aktionsplan für Menschenrechte und, Sensation, die
Taras-Schewtschenko-Universität bietet ab diesem Wintersemester erstmals Gender-Studies an. Die Community hat das alles aus eigener Kraft geschafft und doch: Ist das alles so fragil. Schon debattiert die Ukraine wieder über ein neues Arbeitsrecht ein, aus dem die Parlamentarier*innen den Diskriminierungsschutz für sexuelle Minderheiten am liebsten wieder rausstreichen würden. Und der Aktionsplan mit seiner Homo-Ehe ist eben auch erstmal nur Papier. Die Vorbehalte gegenüber Homosexuellen in der patriarchalen ukrainischen Gesellschaft sind riesig; die Zivilgesellschaft muss schon ordentlich dagegen halten. Die EU hilft ihr dabei (und auch Großbritannien freilich).
Martin Hagström, Botschafter aus Schweden, versichert den Zuhörenden, dass man genau hinschauen werde, wie die Abgeordneten hier mit dem Arbeitsrecht umgehen – echte Sanktionsmöglichkeiten gibt es aber nicht. Vielfalt, sagt er noch, sei der Gradmesser für eine funktionierende Demokratie. Keine komme ohne sie aus und die Ukraine sieht er da auf einem guten Weg. „Auch wenn noch viel zu tun ist.“ Das Reisen ohne Visum, das die Kyiwerinnen und Kyiwer gestern Nacht auf dem Europaplatz gefeiert haben, trage das Seine dazu bei. Die neue Reisefreiheit wird die Menschen offener machen – sofern sie sich die Trips in die EU leisten können.
In Norwegens Botschaft, einem kleinen, schmucken, rosa Gebäude des 19. Jahrhunderts, eröffnen die Veranstalter*innen die Pride Week. Es ist ein intimer Empfang für das Organisationsteam selbst, das nun schon seit Monaten unter schwersten Bedingungen den Pride vorbereitet. Größer, schöner, bunter und auch sicherer soll dieses Jahr alles werden, schließlich ist der KyivPride jetzt offiziell eine Nichtregierungsorganisation und den 5000 Leuten, die dafür eigens nach Kyiw reisen sollen, wollen sie etwas bieten. Das Problem ist nur: Noch ist kein Geld da. Die Botschaften, die Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, die Zusagen gemacht haben, sind im Rückstand mit ihren Auszahlungen. Die Bürokratie macht alles sehr zäh und so hat man angefangen, Spenden einzusammeln, per Crowdfunding, unter Freund*innen im In-und Ausland. An die 10.000 US-Dollar sind so schon zusammengekommen, es braucht aber mindestens doppelt so viel.
700 Euro aus Kyiws Partnerstadt München
Auch aus München kommt Geld, der Partnerstadt, die mit ihrer Community seit 2012 regelmäßig nach Kyiw zum „CSD“ fährt. 14 Leute sind es heuer. Nicht immer fand der auch statt, 2013, 2015 und 2016 hat es bislang geklappt, 2012, am Anfang, und vor allem 2015 kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit den Rechten und Orthodoxen. Es gab Verletzte, ein Polizist wäre vor zwei Jahren fast gestorben, so viel Blut hatte der verloren. Das ist vorbei. Seit dem vergangenen Jahr sind die Sicherheitsstandards hoch – 2000 Leute kamen in die Stadt, beschützt von 6000 Polizisten – und auch der politische Willen ist da, (Regenbogen-)Farbe zu bekennen. Da wundert es auch niemanden, dass es um den KyivPride in diesem Jahr so ruhig ist in den Medien, der Stadt, der Community. Es läuft einfach. Münchens Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* spenden 700 Euro. Das Geld haben Privatleute aufgebracht, aber auch Vereine wie
TransMann.
Die Reden sind vorbei, die Leute unterhalten sich. Die Botschaft reicht ordentlich Fingerfood, Kaviar, Lachs und Drinks, nein, kein Wodka. Man merkt den Organisator*innen nicht an, wie gestresst sie sind. Sie plaudern sich professionell durch den Abend. Sie sind dankbar, dass ihnen so viel Unterstützung widerfährt, aus den eigenen Reihen, aus dem Ausland. Deshalb wollen sie sich dieses Jahr sichtbar erkenntlich zeigen, mit einem eigenen Award, dem
KyivPride Award. So was von neu.
Wie sich die Zeiten ändern. 2012 noch bestgehasst, geschasst, vertrieben und verprügelt, heute fühlen sich die Macher*innen des KyivPride so frei, selbst einen Preis zu verleihen. Ruslana überreicht ihn mit Zoryan.
Ruslana Panukhnyk ist die Geschäftsführerin des KyivPride,
Zoryan Kis sitzt im Vorstand des Vereins. Beide halten sie den Award in Händen, ein stilisierter Regenbogen auf grauem Granit, und rufen
Tanya Mazur zu sich. Mazur hat viele Jahre
Amnesty International in der Ukraine angeführt und sich von Anfang an für den KyivPride stark gemacht.
Inspiration aus Minsk, Weißrussland
Zoryan sagt: „Ich habe nie an den KyivPride geglaubt.“ Sagt ausgerechnet er, der ukrainische Vorzeigeaktivist. Tatsächlich hatte der Kyiwer CSD anfangs viele Gegner in der Community.
Taras Karasiichuk,
Stanislav Mischenko, beide damals bei der
Gay Alliance Ukraine, und
Olena Shevchenko von
Insight hatten 2012 die Idee, einen Pride in Kyiw zu veranstalten, sie waren die Initiatoren. Inspiriert von einem Pride in Minsk übrigens. Die Frauen und Männer, die heute das Sagen haben, waren damals eher zurückhaltend, um nicht zu sagen: Sie haben von einem CSD in der Ukraine überhaupt nichts gehalten. Die Gesellschaft sei noch nicht soweit. Tanya Mazur aber hat ihre Hilfe angeboten. „Wir sind eine starke Organisation, wir können viel bewegen“, hat sie damals gesagt und das haben sie dann auch.
Mazur fällt da eine Anekdote von 2013 ein, als der Pride noch unter Präsident
Viktor Janukowitsch erstmals tatsächlich stattfand. „Der Polizeichef hat mich die ganze Zeit angeschrien“, erinnert sie sich. Er war überhaupt nicht kooperativ, sauer wegen der vielen Arbeit, die auf ihn und seine Kollegen zukommen sollte und so überhaupt nicht freundlich. Mazur entgegnete nur: „Sie können mich gerne weiter anschreien, ich kann auch gerne zurückschreien und ich versichere ihnen: Ich werde in diesem Wettbewerb gewinnen.“ Sie hat ihn gewonnen, der Pride 2013 in Kyiw mit seinen 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war ein historischer Erfolg. Den Award hat sie sich allemal verdient.
Happy Pride!
Es gehen in dieser lauen Sommernacht nach zwei Stunden Empfang alle zufrieden nach Hause – wahlweise an die Arbeit. Die meisten müssen noch was tun. Die Pride Week läuft ja schon seit Freitag, angefangen hat sie mit einem dreitätigen Filmfestival, und morgen am Montag laufen die Veranstaltungen im Pride House an. Alles läuft smooth, die Polizei kooperiert, die Events können alle stattfinden, und auch die Gäste von auswärts fliegen langsam ein. Sie verändern die Welt. Happy Pride!
(Conrad Breyer)
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