BERICHT AUS KIEW – Tag 1 „Die Ruhe vor dem Sturm“
Heiß wie im Sommer – Kiew begrüßt seine Gäste aufs Angenehmste. Blick vom Andreassteig.
Kiew, 19. Mai 2013 – Im Community Center der Gay Alliance steht die Luft. Taras Karasyitschuk wischt sich mit einem Taschentuch von Zeit zu Zeit den Schweiß von der Stirn. Stanislaw Mischtschenko sitzt an seinem Rechner. Er will mir die Postkarten zeigen, die er für den KyivPride entworfen hat.
Das Zentrum liegt tot in der drückenden Sommerhitze. Fast niemand ist hier, es ist Sonntag. Taras und Stas sind erschöpft. Seit Monaten organisieren die beiden Aktivisten zusammen mit vielen anderen nun schon den KyivPride, den Kiewer „CSD“. Fünf Tage Programm haben sie auf die Beine gestellt; eine große Eröffnungszeremonie, Ausstellungen, Debatten, Film-Screenings, Empfänge und Partys gehören dazu. Und natürlich der March of Equality, die Kiewer „Politparade“, am Samstag, den 25. Mai. Sie wird das Aufregendste an der ganzen Pride Week. Noch immer steht nicht fest, ob er überhaupt stattfinden kann. Der Stadtrat wehrt sich dagegen, die Polizei. Mehrere Tausend Gegendemonstranten, durchaus gewaltbereit, haben sich für den Tag angekündigt. Die Stadt erwägt ein gerichtliches Verbot der Veranstaltung, ist doch am selben Tag Stadtfest in Kiew.
Einige Klienten stecken ihren Kopf ins Büro, in dem wir sitzen. „Hallo, wie geht’s“, fragt einer – ein kurzer Schwatz. Das Schwulenzentrum der Gay Alliance hat sonntags regulär geöffnet. Man trifft, unterhält sich, wer will, kann sich beraten lassen – in Sachen HIV, aber auch, wenn er persönliche Probleme hat.
Postkarten zum Nachdenken
Trügerische Idylle – Homophobie ist in der Ukraine ein ernstes Problem.
Endlich hat sich der Ordner mit den Bilddateien auf Stas‘ Rechner geöffnet. Stas zeigt auf eine Illustration mit zwei küssenden Männern, beide tragen einen Haarkranz aus Blumen. Mädchen flechten sich in der Ukraine zu besonderen Anlässen Blumen ins Haar, Männer eher nicht. Wer sonntags in den Botanischen Garten geht, kann das hier und da beobachten. Der ukrainische Künstler Anatoly Belov hat den Veranstalterinnen und Veranstaltern vom KyivPride dieses provokative Motiv überlassen. „Die Leute sollen ein Andenken an diese Woche haben“, sagt Stas.
Dann gibt es aber noch etwas anderes. Stas zeigt stolz auf seinen Bildschirm. Zu sehen sind auf dem Computer Portraits von Lesben- und Schwulen-Aktivist*innen, allerdings teilweise verdeckt von Händen. Die Finger sind mit Regenbogenfarben bemalt, die Hände gestikulieren. „Das soll unsere Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken anregen“, sagt der 29-Jährige, der selbst auch fotografiert. Sprüche wie „Es ist Zeit zu reden“ und „Alles liegt in Deinen Händen“ stehen unter den Motiven. „Die Community soll ihr Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen“, sagt Stas und blickt ernst. Noch sprechen wenige Dutzend für viele Tausende.
Taras winkt ab: „Wie oft hab ich diese Story schon gehört“, sagt er. Taras und Stas lachen, sie kennen sich schon seit Jahren und necken sich ständig, wie ein altes Ehepaar. „Lass uns lieber essen gehen.“ Eine halbe Stunde laufen wir durch das drückend heiße Kiew, ein Juli-Tag im Mai. Der Wind fegt Blüten durch die Straßen. Vor dem Staromak bleiben wir stehen, einem tschechisches Restaurant. Ein Blick auf die Karte verrät: Es gibt vor allem Fleisch. „Ohne könnte ich nicht leben“, gibt Taras zu und lacht schon wieder. „Du bist ja heute bester Laune“, sagt ich. „Nein, ist mehr eine Psychose“, entgegnet er. Wir bestellen Pils, reden über den Pride.
Die Hölle auf Erden
Aktivist Stas zeigt uns die Postkartenmotive, die während des Pride verteilt werden sollen.
„Wie geht es Euch denn“, frage ich, „nach all den harten Wochen?“. „Es ist dieser Tage ziemlich ruhig“, sagt Taras. „Die Monate davor waren die Hölle“. Erst die Sache mit der niederländischen Botschaft, die plötzlich kein Geld mehr für den Pride hatte. Jetzt kommt der Stadtrat, der die Veranstaltung verbieten will. Und die ganze Zeit: Drohungen. Im russischen Facebook, vKontakte, ruft die Gruppe KyivSafari „aufrechte“ ukrainische Nationalisten zum Schwuchtel-Klatschen auf. Der Pressesprecher der rechtsradikalen Partei „Swoboda“ („Freiheit“) will den „liberalen Faschismus“ (sic!) stoppen, sich mit seiner Partei verbal und körperlich den Perversen entgegenstellen. „Verteidigen wir unsere traditionellen Familienwerte“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Taras, der im vergangenen Jahr schon einmal zusammengeschlagen worden ist, sich zuletzt ständig Übergriffen in der Stadt ausgesetzt sah, bewegt sich in Kiew nur noch im Taxi.
Taras Karasiytschuk und Stanislaw Mischtschenko freuen sich über 2000 Euro aus München.
Kein Wunder, dass unsere Freunde müde sind. Trotzdem sind sie auch stolz. In kürzester Zeit hat es Taras trotz der widrigen Umstände geschafft, 37.000 Euro zusammenzusammeln. „Ich bin ein guter Fundraiser“, sagt er grinsend. Jetzt finanzieren vor allem die Botschaften Schwedens und Norwegens den KyivPride; 2000 Euro kommen aus München. Und das Programm für die Pride Week steht. Für den Pride-Marsch selbst hat das Organisationsteam nochmal alle möglichen Kräfte mobilisiert: Sämtliche EU-Botschaften in der Stadt, der US-Botschafter, haben ein Statement abgegeben, aus der Partnerstadt München kommt nun schon das dritte Unterstützer-Schreiben vom Rathaus, die britische Botschaft hat die Regenbogenflagge gehisst.„Mit dem Flashmob zum IDAHO hat Samstag alles gut geklappt“, sagt Stas: Die Polizisten haben uns geschützt, Journalisten waren da, Gegner nicht – hoffen wir, dass es Samstag auch so gut läuft. Darauf trinken wir. Budmo, Prost!
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