PRIDEBLOG Wir schreiben Geschichte
Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum fünften Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr einen wunderbaren Pride organisiert, mit einer Pride Week, die reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Und einen Pride March, der so viel Unterstützung aus allen Schichten der Gesellschaft erfährt, dass man getrost von einer Zeitenwende sprechen kann. Im Fernsehen und in den U-Bahnen läuft eine Kampagne pro Pride, viele Politikerinnen und Politiker, Künstler*innen, Blogger, ja Soldaten stehen für Menschenrechte ein, die Gegner sind schwach. Wir Münchnerinnen und Münchner haben unseren Anteil an diesem Erfolg; wir beteiligen uns auch am Kulturprogramm. “Unsere persönliche Sicherheit dient der Entwicklung des Landes” lautet grob übersetzt die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Alles wird gut!
Das hat dieses Land noch nicht gesehen. Hunderte, ja offenbar Tausende Menschen finden sich heute Morgen vor der Taras-Shevchenko-Universität ein, um mitten im Zentrum der Stadt für Sicherheit und LGBT-Rechte zu protestieren. 6000 Polizisten, U-Bahnen und Zufahrtsstraßen gesperrt, Drohnen in der Luft, für den Abtransport stehen Busse bereit. 750 Meter sind es nur von der Uni bis zum Tolstoi-Platz, nach einer halben Stunde ist alles vorbei. Und doch: Es ist eine Zeitenwende!
Aber der Reihe nach. Als nachts um halb eins die letzten Sicherheitsinstruktionen per Mail reinkommen, ist vor lauter Aufregung an Schlaf nicht zu denken. Ich packe meinen Rucksack, zwei Schokoriegel, zwei Flaschen Wasser, ein bisschen Erste Hilfe, ein T-Shirt zum Wechseln, ein Handtuch, falls jemand Tränengas sprüht, Sonnencreme und unser Banner mit dem Maskottchen „MucKie“. Das ist inzwischen legendär, seit 2013 ist es im Einsatz und hat noch keine Schramme, obwohl man ihm auch in diesem Jahr übel mitspielen wird. Aber dazu später.
Als alles fertig ist, lege ich mich schlafen, wälze mich, denke an vergangenes Jahr. Da ist doch vieles schiefgelaufen 2015 und der Schreck über die Attacken sitzt noch tief, auch wenn ich das übers Jahr so gar nicht wahrnehmen will. Ein lautes Geräusch, ein Knall, jemand rennt – schon bin ich in Gedanken beim Marsch 2015, da uns im Obolonviertel Rechtsradikale attackiert und durch die Stadt gejagt haben. Es war furchtbar und es ist nicht auszuschließen, dass das dieses Jahr wieder passiert, auch wenn noch so viele Polizisten zu unserem Schutz kommen sollten, auch wenn die Ukraine das unbedingt schaffen will in diesem Jahr! Die Rechten haben ihre Safaris angekündigt, sie konnten ihre Touren ja auch besser planen dieses Jahr, jetzt, da Polizei und Veranstalter die Route vor Tagen in einer Pressekonferenz öffentlich gemacht haben.
Als wir am Morgen gegen 8.30 Uhr loslaufen, Treffpunkt wie immer McDonald’s am Maidan, sind unsere Gegner ebenfalls unterwegs. Wir fahren mit der U-Bahn zur Universität. Dort sollen wir von Volunteers empfangen werden, ehrenamtlichen Helfern, die sich um uns Münchnerinnen und Münchner kümmern. Vor der U-Bahn-Station steht eine Gruppe Soldaten oder Teile eines Bataillon aus dem Kriegsgebiete im Osten, so genau wissen wir das nicht. Sie sehen verroht aus, begrüßen sich, indem sie ihre Ellbogen ineinander verschränken, sie blicken düster drein. Auf der anderen Seite drängen sich junge Männer in Dreiviertelshosen, ganz offensichtlich Anhänger des Rechten Sektors. Ein bizarres Stelldichein, dennoch bleibt alles friedlich. Da der Rechte Sektor, dort das Bataillon und wir mittendrin. Wie sich später herausstellen sollte, sind zumindest die Soldaten auf unserer Seite. Sie halten nicht viel von Schwulen, sagen sie uns, aber sie seien gekommen, um uns zu schützen. Weil es hier um unsere Rechte gehe, gegen den Rechten Sektor haben sie was. Wir können das kaum glauben, vielleicht auch, weil wir uns ertappt fühlen in diesem Moment, weil wir selbst so oft in Stereotypen denken. Wie peinlich.
Es geht los. Unser Betreuer lotst uns Richtung Universitätsgebäude. Wir laufen am Taras-Shevchenko-Boulevard entlang. Links überholt uns ein Kleinbus, auf dem steht: „Die Ukraine ist nicht Sodom“. „Das ist mal wirklich kreativer Protest“, sagt Naomi und lacht. Unsere Künstlerin, Mitfrau von Munich Kiev Queer, war eben fast eineinhalb Wochen in der Ukraine unterwegs und hat im Vorfeld des Pride in den Queer Homes der Gay Alliance Ukraine so genannte Creative Protest Workshops gegeben. Sie kennt sich mit kreativem Protest also aus, auch wenn sie ihn sonst pro LGBT auslegt.
Eine lange Schlange bildet sich vor uns. In der Ferne erkenne ich einen Metalldetektoren, wie am Flughafen, denke ich. Wir müssen anstehen, die Polizisten checken die mitgebrachten Taschen, sie öffnen Wasserflaschen und riechen daran, dann geht’s durch den Detektor. Bei mir piepst nichts und ich bin durch. Die Polizei macht ihre Arbeit wirklich gut. Die Männer tragen schwarze Schutzkleidung, sind freundlich und zuvorkommend. Die Regierung hat eine große Polizeireform durchgeführt, neue Beamten eingestellt, alte entlassen. Polizisten werden jetzt viel besser bezahlt als früher, sie sind von Profis aus den USA ausgebildet, von Menschenrechtlern trainiert worden.
Wir betreten den Platz vor der berühmten Taras-Shevchenko-Universität, da ist das rote Gebäude, das wir gestern noch besichtigt haben nach unserem Treffen mit Elena Kotlyarova von der Stadtverwaltung, um unseren „Marsch“ ein wenig einzustudieren, den Weg zu üben. Jetzt ist alles ganz anders, auf einer Seite grenzen Polizeibusse das Areal ab. An den Straßenrändern stehen in zwei Reihen die Polizisten, sie halten sich Schulter an Schulter, damit niemand durchdringen kann, der hier nichts zu suchen hat. Sie belagern den Park vor der Uni, wachen in den Innenhöfen der angrenzenden Häuser, sie schirmen das Gelände ab. Das Ganze wirkt höchst professionell und nicht so massiv bedrohlich, wie noch 2013 und 2015, obwohl heute just 6000 Polizisten vor Ort sind, 5000 reguläre und 1000 von der Nationalgarde.
Die Menge sammelt sich, es sind Hunderte, nein Tausende, 1000 Leute hatten sich im Vorfeld registriert, gekommen sind um die 2000. Die Sonne scheint, die Stimmung ist gut. Es sind nicht nur Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle da, auch viele Heteros, die Freundinnen und Freunde der Community, Menschen, die begriffen haben, vereinzelt auch Politikerinnen und Politiker, Abgeordnete des Parlaments, ganze fünf in diesem Jahr. Wir sehen Soldaten von der Front, Journalisten natürlich, und jede Menge Unterstützer aus ganz Europa, den USA und Kanada und wir Münchnerinnen und Münchner mit unserem Banner mittendrin.
Die Anspannung lässt freilich nicht nach. Die Drohnen über uns wirken bedrohlich mit ihrem Surren. An der Seite verhaftet die Polizei gerade einen Mann vom Rechten Sektor, der hatte sich reingeschmuggelt, das ist ja einfach, wenn man keine Bombe mitbringt, gibt einem der Metalldetektor den Weg frei. Der Mann aber hat sich auffällig verhalten, er ist vollkommen schwarz gekleidet, trägt einen Mundschutz, schwarze Kapuze und Sonnenbrille. Vor den Augen der Polizei muss er seinen Rucksack entleeren, er holt einen Apfel raus, das ist alles, was ich sehen kann, denn schon geht der Marsch los. Es ist punkt zehn Uhr.
Die Organisatoren laufen in der ersten Reihe, das ist für mich besonders schwer, denn mein Freund Stas ist da besonders gefährdet, Stanislav Mishchenko vom Organisationskomitee des KyivPride. Die Rechten halten mit ihren Kameras drauf. Es folgen die Trommler, für die Atmosphäre, dann Amnesty, die Gäste aus München, dem Ausland und die Diplomaten dahinter, schließlich die ganze Community. Fotografiert man die Menge von vorne, kann man hinten das Ende gar nicht sehen. Wir tragen unser Banner vor uns her. „München grüßt seine Partnerstadt Kiew“ steht da drauf, völlig unverfänglich die Botschaft, und MucKi, unser Maskottchen, ist auch zu sehen. Trotzdem steht plötzlich ein älterer Herr vor uns, er geifert, blockiert den Weg, fragt: „Welche Rechte wollt Ihr?“, „Welche Rechte fehlen Euch?“. Wir verstehen kein Ukrainisch, rufen nach der Polizei. Doch die hört uns nicht, schnell sammelt sich Presse um uns herum. Der Mann vor uns fühlt sich jetzt ermutigt und versucht, unser Transparent zu zerreißen. Doch MucKi ist ein deutsches Qualitätsprodukt, nicht aus Papier, aus Kunststoff ist das Banner aus München. Damit hat unser Angreifer nicht gerechnet. Lydia Dietrich – unsere Stadträtin vertritt Oberbürgermeister Dieter Reiter in Kyiw – reißt das Transparent an sich, ruft: „Go away“. Dann endlich kommt die Polizei, nimmt den Mann fest. Ein kritischer Moment.
Was eine Aufregung. Wir geben ein paar Interviews, ziehen dann weiter. Es muss jetzt schnell gehen. Die Polizei drängt. Von der Seite wirft jemand plötzlich Flugblätter in die Menge. „Stoppt die LGBT-Propaganda“, steht da drauf. „Für eine gesunde Gesinnung. Gegen europäischen Werte.“ Nonsense. Alles bleibt friedlich.
Jetzt geht es vom Platz vor der Universität nach links in die Tolstoi-Straße hinein, den Berg runter, vorbei am Park. Die Polizeireihen schließen sich, wir haben Zuschauer. Von den Balkons der angrenzenden Häuser winken uns die Menschen zu. Es ist dies sicher der bewegendste Moment dieses Marsches. Die Menschen freuen sich mit uns, wir laufen mit unseren ukrainischen Freundinnen und Freunden mitten durchs Zentrum dieser schönen Stadt. Ein Meilenstein, wir sind Teil davon. Fast fühlt sich der KyivPride an wie der CSD in München. Als der Marsch nach einer halben Stunde Laufwegs zum Halten kommt, johlt die Menge, Applaus brandet auf. Es ist vollbracht. Welch ein Triumph!
Wir laufen zu den Bussen, die in einer Seitenstraße bereit stehen. Wir steigen ein, erleichtert, erschöpft auch. Gegenseitiges Schulterklopfen, jemand weint, alle sind glücklich. Dann fahren wir los, begleitet von Polizeiwagen. Was jetzt kommt, kennen wir schon vom 2013. Umziehen, eine Stunde lang fahren wir in Begleitung mehrerer Polizeiwagen durch die Stadt, im Zickzack, eine Verwirrungstaktik, bis zum Messegelände. Dort lassen uns die Polizisten aussteigen, wir laufen zur U-Bahn, die Polizei ist immer und überall dabei, auch in der Station, zum Teil mit Hunden. Auf die Züge warten dort Hunderte Teilnehmer, alle fahren in die Stadt, zurück in ihre Wohnungen und Hotels. Jetzt lauert Gefahr. Die Rechten sind in der Stadt unterwegs, überall, sie sind wütend, weil sie uns nichts anhaben konnten und wollen sich rächen. Unsere Busse haben sie beobachtet bei der Abfahrt, einer hat uns den Stinkefinger gezeigt.
Wir fahren zum Maidan, ins Zentrum der Stadt. Dort stehen sie schon. Naomi und ich geben uns als Heteropaar aus, die anderen tun es uns nach. Vor dem McDonald’s stehen jetzt Gruppen von Rechten, die die Leute ansprechen. Sie sind auf der Suche nach den Aktivisten, die sie während des Marsches fotografiert haben. Sie suchen nach Ausländern aus „Gayrope“, die ihnen ihre Moral und Werte nehmen wollen. Doch um Moral und Werte geht es ihnen gar nicht, sie kennen nur Hass.
Auf dem Chreshatyk, dem Prachtboulevard der Stadt, rennen die Nazis in Horden hin und her, eine bewährte Taktik ist das. Sie tun das ohne Ziel, sie wollen einfach sehen, wie die Leute reagieren. Wer zuckt, weil er Angst hat oder gar wegläuft, verrät sich und wird verfolgt. Bis zum Nachmittag ist von einem Zwischenfall zu hören. Einen Aktivisten haben sie nach dem Marsch erwischt, er wurde erkannt. Es geht ihm gut.
Als ich in meiner Wohnung am Maidan ankomme, fange ich an, die Erlebnisse aufzuarbeiten. Von unserer Gruppe werden die meisten diesen sonnigen Tag zuhause verbringen. Wir haben keine andere Wahl, es ist zu gefährlich. In den Biergarten zu gehen oder auch nur in ein Restaurant, könnte zu Übergriffen führen. Zum Fußballspiel Ukraine – Deutschland dürften heute Abend weitere Hooligans anreisen. Ich lade unsere Gruppe deshalb zum Abendessen in meine Wohnung ein.
Dann werden wir feiern. Denn wir können stolz sein auf das, was die Community hier vor Ort geleistet hat, wie sie dieses Land verändert hat. Auf diesem Weg werden wir sie weiter unterstützen mit aller Kraft und großem Engagement und viel Herzblut – im Kampf für Menschenrechte!
[Conrad Breyer]
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