PRIDEBLOG Zeitenwende in Kyiw
Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum fünften Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr einen wunderbaren Pride organisiert, mit einer Pride Week, die reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Und einen Pride March, der so viel Unterstützung aus allen Schichten der Gesellschaft erfährt, dass man getrost von einer Zeitenwende sprechen kann. Im Fernsehen und in den U-Bahnen läuft eine Kampagne pro Pride, viele Politikerinnen und Politiker, Künstler*innen, Blogger, ja Soldaten stehen für Menschenrechte ein, die Gegner sind schwach. Wir Münchnerinnen und Münchner haben unseren Anteil an diesem Erfolg; wir beteiligen uns auch am Kulturprogramm. „Unsere persönliche Sicherheit dient der Entwicklung des Landes“ lautet grob übersetzt die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Alles wird gut!
Eine gewisse Euphorie hat die Stadt ergriffen. Ruslana kann kaum glauben, was ihr die Polizei heute angeboten hat, an diesem denkwürdigen Montag, dem 6. Juni. Höchste Sicherheitsstufe für den Pride-Marsch am Sonntag, 5000 Mann mit Einlasskontrolle an einem zentralen Ort. Und das alles nur wegen des Eurovision Song Contest?
Ruslana Panukhnyk gehört dem Organisationsteam des KyivPride an. Sie kümmert sich seit ein paar Jahren mit ihrem Team um das Sicherheitskonzept für den Pride-Marsch. Im vergangenen Jahr noch war sie hart angegangen worden von den Beamten, den Respekt dieser Männer hat sie sich erarbeitet. Am Sonntag wird der „Marsch für Gleichheit“ stattfinden. Er wird groß sein, sichtbar, offen für alle – und hoffentlich sicher. Eine Revolution nach nur fünf Jahren Pride-Bewegung. Natürlich ist ein neuer Polizeichef im Amt, Andrii Kryshenko, der zeigen will, was er kann. Aber die Zeiten haben sich auch geändert im Land, seit dem Maidan und seitdem Jamala für die Ukraine den Eurovision Song Contest gewonnen hat.
Vermutlich werden 2017 Zehntausende nach Kyiw reisen, um das Songspektakel zu verfolgen. Darunter werden schwule Männer sein, sofern sie sich trauen. Denn die Ukraine ist nicht eben als homofreundliches Land bekannt, das wissen inzwischen alle. Die Behörden wollen deshalb unbedingt beweisen, dass die Ukraine ein europäisches Land ist, ein Land, in dem Menschenrechte geachtet, die Rechte von Minderheiten gewahrt werden. Man wittert den großen PR-Coup. Insofern hatte der Gesangswettbewerb in Stockholm dieses Jahr durchaus eine politische Bedeutung, eine große sogar.
Beim Empfang in der Deutschen Botschaft, die die Pride Week einläutet, wirken alle wie elektrifiziert. Botschafter Christof Weil spricht von einem Ruck, der durchs Land geht. Anna Sharihyna, die dem Organisationskomitee des KyivPride vorsitzt, gibt sich beeindruckt von der überwältigenden Unterstützung, die 2016 von allen Seiten komme, sogar von der Front im Osten. Und Svitlana Zalishchuk, Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, preist den Freiheitskampf an, den die LGBT-Community für alle Menschen im Land ausfechte. Die Botschafter der EU, Kanadas und der USA hatten schon im Vorfeld das ihre dazu beigetragen und einen Brief an die Stadtoberen geschrieben, den KyivPride abzuhalten und zu schützen. Im Hintergrund haben sie sicher auch eine Menge Druck gemacht. Groß die Wahl hat das Land nicht, an Russland kann und will sich die Ukraine nicht mehr orientieren, die Westorientierung ist zur Staatsräson geworden.
Bei Wurst und Bier feiert die ukrainische LGBT-Community ihren Erfolg in der Deutschen Botschaft, Ruslana spielt mit, rennt von einem zum anderen, spricht mit allen, bedankt sich. Es ist ein Premiere. Das größte Land in der EU hat den KyivPride zwar immer schon unterstützt, aber nie so ostentativ. Es liegt nicht zuletzt auch an der Münchner Community, das dieser Empfang hier stattfinden kann. Wir von Munich Kyiv Queer, die wir die Kooperation zwischen den Partnerstädten Kyiw und München in LGBT-Belangen koordinieren, haben uns dafür lange stark gemacht. Das Engagement hat sich ausgezahlt.
Aus München reisen dieses Jahr zwölf Leute nach Kyiw, angeführt von Lydia Dietrich. Die Stadträtin der Grünen vertritt jedes Jahr offiziell den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter in der Stadt. Empfangen hat sie Reiters Kollege Vitali Klitschko aber trotzdem noch nie; die Münchner Delegation wird seit Jahren konsequent ignoriert. Wir haben in der Stadt unser eigenes Programm, besuchen die wichtigsten LGBT-Organisationen des Landes, die politischen Stiftungen, pflegen den Kontakt zu den deutschen Korrespondenten, treffen unsere Freunde. Längst hat der gegenseitige Austausch etwas von einer Familienfeier – einmal im Jahr sehen sich alle in Kyiw zum Pride und dann, nur vier Wochen später, in München zum CSD. Alle haben sich ihre eigene Unterkunft gesucht, wir kennen die Stadt, integrieren neue Gäste aus Deutschland schnell.
Zum Besuchsprogramm gehören in diesem Jahr – auch das ist neu – einige Aktionen von Kyiv Munich Queer, das ist der Kyiwer Ableger der Münchner Gruppe. Mit Yuri Yourski, Jan Gubski, Sviatoslav Sheremet und Xenia Smolientsova sowie Stanislav Mishchenko haben sich einige ukrainische Aktivisten zusammengetan, um eigene Projekte in Kyiw zu stemmen.
Mit ihnen treffen wir uns am Dienstag, 7. Juni, zu einer Tour durch die Stadt. Yuri und Yan sitzen auf einem Mäuerchen vor der Metrostation Arsenalna. Es ist 10 Uhr morgens. Die beiden Aktivisten warten auf die Münchner Gruppe. Die Sonne scheint, Sommer in Kiew, alle haben Zeit. So entspannt hat das Besuchsprogramm für die Gäste aus Bayern selten begonnen. Als alle Teilnehmerinnen und auch die Teilnehmer eintreffen, beginnen Yuri und Yan ihre Führung. Die beiden haben sich für eine etwas ungewöhnliche Route entschieden, die von der U-Bahn-Station über das Höhlenkloster Lavra, das Holodomor-Denkmal zum Mutterland-Denkmal führt. Nur wenige Touristen laufen hier. Zwei Stunden sind veranschlagt.
Von Mal zu Mal werden die Orte, die wir besuchen, bedrückender. Da ist das Denkmal für den Großen Vaterländischen Krieg, den Nazi-Deutschland vom Zaun gebrochen hat. Die Holodomor-Gedenkstätte verweist auf die drei großen Hungersnöte, die die Ukraine unter Stalin ertragen musste. Vor dem Höhlenkloster Lavra erfahren wir von Yuri, dass die Orthodoxen einst ein Hospiz für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke auf dem Gelände beherbergten, das sie dann aber ausgelagert haben. Mit HIV und AIDS haben sich ja schließlich nur Menschen infiziert, die sich selbst versündigt haben. Und im Weltkriegsmuseum unter der Statue Mutter Heimat geht es abermals um Krieg und Barbarei und den Sieg der Sowjets über Deutschland. Um sie herum stehen etliche weitere Soldaten- und Kriegerdenkmäler, eines heroischer als das andere. Trotzdem ist die Tour interessant, zeigt sie doch, worauf sich die ukrainische Geschichtsdeutung stützt, den Kampf, das Leiden. Bis heute prägt das die Menschen.
Erst jetzt merken unsere beiden Führer, dass sie mit ihrer Tour etwas auslösen in uns, Trauer und Wut. Doch haben sie richtig gehandelt. Zur Geschichte der Ukraine, ihrer Gegenwart, gehört eben mehr als LGBT-Rechte und letztlich sind wir glücklich darüber, dass wir, Ukrainer und Deutsche, heute zusammen unter dieser Statue stehen dürfen, freundschaftlich verbunden. Gemeinsam machen wir ein Selfie. Im Hintergrund: Mama Ukraine, so nennen wir sie jetzt. Unsere ganz persönliche Drag Queen für die Woche. Happy Pride!
Nachmittags treffen wir die Organisation T-ema im Coffee House am Maidan. Roxana und Angelia warten schon vor dem Haus. Sie verziehen keine Mine, als wir ankommen. Auch die Tafel Schokolade, die wir ihnen zum Geschenk überreichen, weisen sie zurück. Wir betreten die Kaffeehauskette, suchen uns irgendwo in der Ecke einen Platz und bestellen Cappuccino und Torte Napoleon, ein altes Sowjektgebäck. Dann wird es schnell still, denn die beiden Frauen sprechen kein Englisch, wir kein Russisch und Barbara, die uns beim Übersetzen helfen könnte, hat sich verspätet. Mühsam beginnen wir eine Konversation. Angelia spricht immerhin Holländisch, aber das hilft uns auch nicht weiter. Und ich habe im Russischen nur Grundkenntnisse. Wie das persönliche Befinden ist, ob der Kaffee schmeckt und wie die Arbeit – das hat sich schnell erschöpft.
Als Barbara Grabski kommt – sie spricht nicht nur Russisch, sondern auch Holländisch (!) – entspannt sich die Münchner Delegation zusehends. Da sitzen wir nun, Naomi, Stefan, Thomas, ich und hören zu. Barbara übersetzt und wir erfahren: T-ema ist eine Trans-Organisation, die sich um die Belange von Transgendern kümmert, sie macht PR und Öffentlichkeitsarbeit für sie, berät und hilft weiter in rechtlichen Dingen. T-ema ist neben Insight die zweite wichtige Trans-Organisation in Kyiw, mit der Munich Kyiv Queer kooperieren möchte. Allein – die Bedarfslage ist nicht klar.
Roxana und Angelia, zwei Transfrauen, erzählen von ihrer Arbeit. 20 Leute arbeiten ehrenamtlich für T-ema, in einem kleinen Büro außerhalb der Stadt. Geld verdienen sie keines. Ich erwähne, dass auch Munich Kyiv Queer ehrenamtlich unterwegs ist. Angelia lacht und fragt mich, wie viel ich verdiene. Ich wechsle irritiert das Thema. T-ema wünscht sich Unterstützung beim Ausfüllen von Förderformularen, am Arbeitsplatz, in der Beratung von Ärzten und der psychosozialen Betreuung von Klienten. Vage bleibt das alles und Angelia verspricht, eine Mail zu schreiben, in der sie alles zusammenfasst, auf Russisch wohlgemerkt. Wir könnten es in der Tat übersetzen und darüber mit TransMann, Viva TS und der Trans*konferenz in München in Austausch kommen. Wir sind trotzdem immer noch ratlos, als wir uns verabschieden. In zwei Stunden beginnt die Eröffnungszeremonie. Die wollen wir nicht verpassen.
Ein gutes Dutzend Polizisten steht vor der Kleinen Oper im Zentrum der Stadt. Die kleine Oper ist eigentlich keine Oper mehr, sie war es einmal. Die Stadt hat aus ihr eine Event-Location gemacht, ein kleines, rosa Gebäude der Jahrhundertwende inmitten von Verkehr und Glaspalästen. Stas begrüßt uns am Eingang. Es war immer sein Traum, hier einmal den KyivPride hinzubringen. „Aber die Stadtverwaltung hat am Ende immer eine gute Ausrede gefunden, uns fern von hier zu halten“, sagt er. Stanislav Mishchenko ist Mitglied im Organisationskomitee des KyivPride. Er kümmert sich um die Kommunikation mit den Partnern des Pride im In- und Ausland. Dieses Jahr hat es geklappt. An der Tür prüft die Security unsere Taschen, wir dürfen rein, nehmen Platz unter dem historischen Gewölbe. Die Atmosphäre ist angespannt, der Sicherheitsmaßnahmen wegen, die Spannung löst sich aber, als das Programm beginnt. Bald fühlen wir uns gut aufgehoben hier unter unseren Freundinnen und Freunden, den vielen Bekannten und unbekannten Gesichtern, alle verbindet ein wärmendes Band der Solidarität und Partnerschaft. Es ist eben alles anders dieses Jahr. Klar, es gibt auch in diesem Jahr wieder viele Reden, vom Organisationskomitee, eine Solidaritätsadresse aus den USA vom LGBT-Beauftragten der Regierung Obama, Randy Berry, auch von Munich Kiev Queer übrigens, Stefan Block stand auf der Bühne – das allein wäre schon bewegend genug. Doch: So heimelig, so familiär war die Eröffnungszeremonie beim KyivPride noch nie. Das mag an den Sicherheitsmaßnahmen liegen, dem unbedingten Willen der Behörden, das Land westwärts zu treiben, der Solidarität, die der KyivPride von allen Seiten erfährt. Es mag an diesem Ort liegen, an den Liebesliedern, die die offen lesbische Sängerin Agata Wiltschik mit Schmelz vorträgt. Organisierende wie Teilnehmende tragen eine Zuversicht, wie wir sie in Kyiw selten erlebt haben.
Gegen zehn Uhr verlassen die Polizisten das Haus, wir alle ziehen mit. Die Gegner des Pride, der Rechte Sektor, die Kirchen, haben sich fürs Erste nicht blicken lassen, aber das kann auch Taktik sein. Morgen sehen wir weiter.
[Conrad Breyer]
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