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Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum fünften Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr einen wunderbaren Pride organisiert, mit einer Pride Week, die reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Und einen Pride March, der so viel Unterstützung aus allen Schichten der Gesellschaft erfährt, dass man getrost von einer Zeitenwende sprechen kann. Im Fernsehen und in den U-Bahnen läuft eine Kampagne pro Pride, viele Politikerinnen und Politiker, Künstler*innen, Blogger, ja Soldaten stehen für Menschenrechte ein, die Gegner sind schwach. Wir Münchnerinnen und Münchner haben unseren Anteil an diesem Erfolg; wir beteiligen uns auch am Kulturprogramm. „Unsere persönliche Sicherheit dient der Entwicklung des Landes“ lautet grob übersetzt die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Alles wird gut!
So. Jetzt geht es los. Mein erster Blog überhaupt. Ich will Euch von meinen Eindrücken aus Kiew berichten. Es ist das erste Mal, dass ich in Kiew und der Ukraine bin.
Das Land und die Stadt empfangen mich am Samstag (4. Juni; Anm.d.Red.) mit allerbesten Voraussetzungen. Sonniges Juni-Wetter, Pick-Up durch Stas vom Flughafen, problemloses Einchecken in der Unterkunft, welches ich mir selbst über das Internet gesucht habe.
Und der erste Eindruck über Kiew ist sehr gut. Die Innenstadt ist sehr gepflegt und hat eine gute Infrastruktur. Die Architektur ist schön und beeindruckend und das Stadtbild mit den vielen Hügeln und den vielen Parks und Bäumen in den Straßen vermittelt eine schöne und heimelige Atmosphäre.
Im Supermarkt wird es allerdings schon schwieriger, wenn man wie ich, kein Kyrillisch entziffern kann. Mit lateinischen Buchstaben kann man in vielen anderen Ländern das eine oder andere der Inhaltsangaben entziffern und verstehen. Vor dem Milchregal wusste ich nicht, was nun Milch, Sahne, Joghurt oder sonstiges Milchprodukt ist. Die vermeintliche Milchtüte mit der Kuh auf grüner Weide entpuppte sich dann daheim als Kefir.
Viele Straßennamen und auch die Metrostationen sind aber glücklicherweise auch in lateinischen Buchstaben geschrieben. Da fällt einem die Orientierung leichter. Trotzdem ist es eine besondere Erfahrung, sich in einem Land aufzuhalten, in dem man – auf den ersten Blick – die Schrift nicht lesen kann. „Lost in Kyiv“ zu sein, muss man aber trotzdem nicht befürchten.
Ja, Furcht.. Muss man die Teilnahme am Pride March fürchten? Im Vorfeld der letzten Tage gab es über unterschiedliche Medien schon viele fürchterliche Nachrichten, nachdem aus rechten Kreisen ein Blutbad angekündigt wurde. Mit diesem mulmigen Gefühl hat meine Reise begonnen.
Umso überraschender und erfreulich ist allerdings der Eindruck der letzten Tage in Kyiw. Viele der ukrainischen Gesprächspartner sind positiv gestimmt. Es herrscht bei den Pride-Vorbereitungen eine andere Atmosphäre als in den vergangenen Jahren. Es sind erste Anzeichen eines sich beginnenden Wandels zu spüren.
In 2015 hat Präsident Petro Poroschenko erstmals öffentlich das Recht der LGBT-Community auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit unterstützt.
Im Rahmen der Annäherung an die EU und die in Aussicht stehende Visafreiheit hat das ukrainische Parlament mittlerweile ein Anti-Diskriminierungsgesetz für das Arbeitsrecht beschlossen, was auch LGBT mit einschließt. Ein Gesetz an sich ändert zwar noch nicht die Einstellung in der Bevölkerung und den Mitarbeiter*innen in den Behörden. Es ist aber ein erster Schritt.
Die Annexion der Krim und der Krieg mit Russland haben auch indirekte Auswirkungen auf die LGBT-Bewegung. In der Ukraine gibt es dadurch eine starke Bewegung gegen Russland. Man will sich von Russland abgrenzen. Gerade weil Russland mit seinen Anti-Homo-Propaganda-Gesetzen einen restriktiven Kurs gegen LGBT fährt, gibt es in der Ukraine erste Anzeichen, selbst aus manchen Bereichen der rechten Szenen, dies nicht mehr vordergründig zu übernehmen, weil man ja nicht als ein Unterstützer von Russland dastehen möchte. Diese Abgrenzung führt auch bis in die ukrainisch-orthodoxe Kirche hinein, die sich von der russisch-orthodoxen Kirche abgrenzt und die kirchliche Propaganda gegen LGBT nicht mehr so intensiv wie früher in den Vordergrund stellt. Man kann dies ja kaum laut denken, aber Putin scheint der ukrainischen LGBT-Bewegung derzeit viel zu helfen.
Und wer hätte es gedacht: Der ESC Eurovision Song Contest ist doch politisch! Indirekt sozusagen.
Es ist ja allgemein bekannt, dass der ESC sich in den vergangenen Jahren zum Gay-Happening entwickelt hat. Und nun, nach dem Sieg von Jamala, der ESC in 2017 in Kyiw?!
Da können es sich die Stadtverwaltung und die Regierung der Ukraine nicht leisten, wenn vom KyivPride 2016 Bilder eines Blutbads um die Welt gehen. Die Organisator*innen des KyivPride berichten von einer ganz anderen Basis und Zusammenarbeit mit der Polizei und den örtlichen Behörden als in den Jahren zuvor. Am kommenden Donnerstag wird es erstmals im Vorfeld des Pride March eine Pressekonferenz der Kyiwer Polizei geben.
In früheren Jahren wurden Plakate für den KyivPride in der U-Bahn zerstört oder schwarz übermalt. In diesem Jahr sind bisher fast alle Werbeflächen unbeschädigt geblieben.
All das sind Anzeichen (oder auch nur Hoffnungen), dass sich doch langsam in der Ukraine etwas ändert.
Wichtig ist vor allem die Präsenz, Sichtbarkeit und das immer und immer wieder Einfordern des Rechts auf Demonstration und die Einhaltung der Menschenrechte.
Demokratie ist ja nicht, dass die Mehrheit bestimmt, wie sich Minderheiten verhalten sollen und behandelt werden. Demokratie ist, dass sich die Mehrheit darum kümmert, dass Minderheitenrechte wahrgenommen und geschützt werden!
Interessant ist hierbei ein weiterer Bezug zu Jamala und den Sieg beim ESC mit dem Lied des Titels „1944“. Überall in der Stadt hängen Plakate für Ausstellungen und Dokumentationen unter dem Motto „1944“, dem Jahr, in dem die Minderheit der Krim-Tataren durch das sowjetische Stalin-Regime deportiert wurde. Noch nie vorher wurde in der Ukraine eine Minderheit, deren Leiden und deren Schutz, so in der Öffentlichkeit thematisiert. Auch wenn es nicht mit LGBT vergleichbar ist, so ist es doch ein Ansatz in der Wahrnehmung und im Umgang mit Minderheiten. Das gesellschaftliche Klima scheint erste, zarte Pflänzchen von Veränderung zu zeigen.
Hoffentlich reden wir uns alle in Kyiw die Situation mit diesen Eindrücken nicht schön und können nach dem Pride March am kommenden Sonntag wirklich von einem „Happy Pride“ sprechen. Der MKQ-Blog wird weiter berichten.
[Thomas Kaiser, Mitglied von Munich Kyiv Queer]
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