PRIDEBLOG Panik beim Pride
Es ist unwirklich. In der Nacht kommen Mails mit Details für den Treffpunkt morgen und Sicherheitshinweise. Morgen soll der „March of Equality“ stattfinden. Mir geht vieles durch den Kopf. Schlafen kann ich kaum und das auch nur schlecht. Zum Frühstück stell ich auf Obst um, etwas Leichtes. Mehr verträgt mein Magen nicht. Um kurz nach acht gehen wir zum vereinbarten Treffpunkt, der bis jetzt geheim war. Was wird uns erwarten?
Auf der Fahrt mit der U-Bahn herrscht Schweigen. Ab und an schauen wir uns an, nicken, lächeln. Alles wird gut, denke ich. Wir haben
Vova mit dabei, den besten Sicherheitsmenschen vom
KyivPride. Ich fühl mich gut. Wir fahren mit der U-Bahn raus in den Norden, müssen danach zu Fuß durch ein Wohngebiet mit Plattenbauten, runter an den Dnepr. Es ist schön hier.
Da stehen sie: Hundertschaften von Polizisten. Hier soll also der Pride March stattfinden. Recht glücklich schauen die Polizisten nicht drein und auch nicht freundlich, aber vertrauen muss ich ihnen. Das Gelände ist abgeriegelt. Drei Reihen Polizisten.
Plötzlich muss es schnell gehen. Die Reihe geht auf und wir sollen ans andere Ende des leergeräumten Platzes laufen, dorthin wo der Marsch beginnt. Wir werden jubelnd begrüßt und herzlich aufgenommen. „Wir begrüßen unsere Gäste aus München“. Wir schauen uns wieder gegenseitig an und werden langsam entspannter.
Plötzlich höre ich: „Problem – run“. Eine Horde dunkel Bekleideter rennt auf uns zu. Da sind sie nun die Rechten, die Hetze auf uns machen. Es knallt, Leuchtraketen fliegen.
Wir rennen nach hinten. Fast hatte ich meinen Buddy Kerstin verloren. Jeder von uns muss einen solchen Buddy haben; damit jeder jemanden hat, der auf einen aufpasst und weiß, wo der gerade ist. Panik macht sich breit.
Die Polizei stürmt nach vorne und riegelt ab, weitere Knaller, noch eine Rakete. Wir stehen da. Haben Angst. Aber raus hier oder weg von diesem Fleck können wir nicht. Das ganze Wohngebiet kann von braunem Mob durchsetzt sein. Wir müssen ausharren, zusehen, wie ein schwer verletzter Polizist erstversorgt wird. Er hat eine Verletzung an der Halsschlagader. Ist wohl mit einem Metallstück angegriffen worden.
Es gibt Festnahmen. Auf die Frage: „Wie kommen die durch drei Reihen Polizisten durch?“ erhalten wir keine Antwort. Manche sagen, die Polizisten hätten sie durchgelassen. Andere behaupten, sie hätten sich Zugang verschafft. Die Szenerie beruhigt sich, die Veranstalter machen das gut. Sie reden auf uns ein. „Die Polizei macht ihren Job“, sagen sie. Sie haben recht. Sie können das.
Wir gehen zurück in Formation.
Der Marsch beginnt. Wir sind glücklich darüber, dass wir endlich loslaufen. Und doch sind wir erschüttert über das, was gerade passiert ist, erschrocken und trotzdem fühlen wir uns sicher ob der Polizei, die uns begleitet. So marschiere ich. Wir rufen: „Human Rights are my Pride“.
Hinter mir läuft die Gruppe von
Amnesty International und davor mit Trommeln und Trillerpfeifen die Truppe
Rhythms of Resistance. Emotionen schießen hoch. Meine Augen werden nass. Der March ist zu Ende. Gelöst stehen wir da und fragen uns: „Wie kommen wir hier weg? Werden wir zur U-Bahn geleitet? Kommen Busse?“ Der Plan ist, geschlossen zur U-Bahn zu gehen. Es dauert nicht lange, bis ein paar hundert Meter entfernt vor uns der schwarz gekleidete Mob auftaucht.
„Run“, heißt es, „Run“. Nur wohin? Wir laufen ins Wohngebiet Richtung Hauptstraße. Aber auch hier sind wir nicht sicher, denn von der anderen Seite kommen wieder andere Typen auf uns zugelaufen. Wir splitten uns, wissen aber nicht recht wohin gehen. Uns rettet eine Poststelle. Andere von uns laufen in ein Café; die Besitzerin sichert uns Schutz zu.
Klaus von der Berliner Band
Tubbe, die heute Abend im
Lift-Club auftreten sollten, versteckt sich im Supermarkt. Andere sitzen schon in Taxis.
Wir eilen in die Post, verstecken uns – zum Leidwesen der Angestellten. Wir sehen die Polizei anrücken, die die Rechten in Zaum halten wollen. Später erfahren wir, dass es für einige Aktivisten zu spät war. Es gibt Verletzte. Wir warten. Oder besser: Wir harren aus, eingesperrt in einer ukrainischen Poststelle. Zum Glück sind
Olena und
Taras bei uns, zwei der Hauptorganisatoren des KyivPride. Wir bestellen uns Taxis. Wir sind 13 Leute und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis die Fahrzeuge kommen. Draußen tobt weiterhin der Mob, Polizei überall: Sie rennen hin und rennen her, da sind Rauch, Lärm, Chaos. Die Situation ist völlig unübersichtlich.
In kleinen Gruppen rennen wir auf die Straße, wenn ein Taxi kommt. Schnell Tür zu und los. So kommen wir Stück für Stück zurück in die Innenstadt. Eine gute halbe Stunde später sitzen wir alle wohlauf in einem Café in der Innenstadt, dem New York gegenüber der
Deutschen Botschaft. Aktuelles tickert rein: Fünf verletzte Polizisten, Tausende waren vor Ort. 200 Leute haben am Pride-March teilgenommen. Es gab 25 Festnahmen, die Rechten hatten Messer dabei, Feuerwerkskörper und Schraubenzieher. Sie waren unglaublich brutal und hasserfüllt. Die Posts im Netz überschlagen sich, die Medien berichten. Für heute sind alle Veranstaltungen abgesagt. Wir beginnen das Erlebte zu verarbeiten.
[Text: Thomas Rappel]
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