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PRIDEBLOG Der Pride bringt alle zusammen – außer Klitschko

05.06.2015 | cb — Keine Kommentare
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Tochka Opori hat heute in gewisser Weise Geschichte geschrieben. Die LGBT-Organisation, eine der größten im Land, postete auf Facebook ein Foto mit dem Logo vom KyivPride. Das ganze Team stelle sich hinter den Kyiwer CSD  und den Kampf für Menschenrechte, sollte das heißen. Und es ist ein historischer Akt.

Lange Jahre stand Tochka Opori, oder Fulcrum in der englischen Übersetzung, der Pride-Bewegung eher skeptisch gegenüber. In diesem Jahr ist das zum ersten Mal anders. Die Organisation hat begriffen, dass es beim KyivPride um Menschenrechte geht, nicht um eine Parade mit Boas und Stöckelschuhen. So angelegt war der KyivPride zwar nie, aber manchmal müssen sich gute Ideen eben erst durchsetzen.

Die Münchner Delegation, Sibylle, Stefan und Conrad, seit Donnerstag auch Thomas, Phil und Eric, hat Tochka Opori heute in Kyiw besucht und sehr viel über die Projekte von Tochka Opori erfahren. Die eingetragene „allukrainische Organisation“ kümmert sich um HIV-Prävention unter Männern, die Sex mit Männern haben, ums Lobbying, politische Aktionen, Diversity-Programme in Unternehmen; auch die Elterninitiative Tergo sitzt mit unter dem Dach von Tochka Opori. Wir sprechen zwei Stunden und erfahren, wie viel dann doch im Kleinen auch in der Ukraine möglich ist, wenn man es nicht an die große Glocke hängt.

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Die Aktivistinnen und Aktivisten haben beispielsweise landesweit den Service „Friendly Doctor“ etabliert. LGBT-freundliche Ärzte beraten schwule Männer vorurteils- und kostenfrei. Tochka Opori hat „Friendly Doctors“ erst im vergangenen Jahr eingeführt, dafür Ärzte finden müssen und 2015 gibt es das Angebot schon in fünf verschiedenen Regionen des Landes. Ein anderes Beispiel ist der „Corporate Equality Index“, der Arbeitgeber nach ihrem Diversity-Engagement beurteilt. Da geht es um LGBT-, aber auch um Frauen- und  Rechte für Menschen mit Behinderung. Um die 20 Unternehmen machen bereits mit – nicht wenig in einem Land wie der Ukraine, in dem Toleranz und Weltoffenheit keine Tugenden sind, wie uns die LGBT-Aktivist*innen vor Ort immer wieder erklären.

Besonders berührend aber sind die Mütter, die sich seit etwa einem Jahr in der Initiative Tergo zusammengefunden haben. Mütter kämpfen für die Rechte ihrer homosexuellen Kinder. Olena Globa leitet die Gruppe; Sven Stabroth hat sie mit Mitteln des Centrums für internationale Migration und Entwicklung CIM aufgebaut. Inzwischen setzt sich Tergo auch in anderen Städten fest. Die Frauen kämpfen für die Gleichstellung ihrer Kinder in der Gesellschaft, sie wollen Vorurteile abbauen, aufklären, die Herzen bewegen und so auch Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen, die Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender vor Diskriminierung bislang nicht schützt – nicht einmal im Arbeitsrecht. Sie tun das, indem sie ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen. Am 8. Juli wird Olena Globa das übrigens auch in München tun, im Rahmen eines vom Münchner CSD organisierten Erzählcafés zusammen mit der Münchnerin Birgitta Haug, Mutter zweier lesbischer Töchter. Globa hat einen schwulen Sohn: Es ist Bogdan Globa, der Tochka Opori leitet.

Am KyivPride Samstag nehmen die ukrainischen Mütter nicht teil – das ist ihnen zu gefährlich. Doch schon nächste Woche reisen sie nach Warschau, um dort beim Pride mitzulaufen. Die Bewegung bringt alle zusammen! Viele von ihnen sind überhaupt zum ersten Mal im Ausland.

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Wir ziehen weiter zum Queer Home, dem Kultur- und Kommunikationszentrum der Gay Alliance Ukraine, das in der Hauptstadt erst kürzlich neue Räume bezogen hat. Die Gay Alliance Ukraine ist der große Konkurrent von Tochka Opori und doch begegnet man sich inzwischen kollegial, auch wenn der Kampf um die besten Ideen fortbesteht. Es ist auch ein Wettbewerb um die Geldgeber, die nur die besten Projekte fördern.

In den Queer Homes, sieben gibt es davon in der ganzen Ukraine, bringt die Gay Alliance Ukraine die Community zusammen. Hier debattieren sie, gestalten sie gemeinsam ihre Freizeit; hier machen sie Kultur. Heute hat die Münchner Künstlerin Naomi Lawrence die Bilder der Münchner Fotografin Andrea Sömmer dort aufgehängt, die in der Fotoreihe RandGruppe die Ausgrenzung lesbischer Frauen in der eigenen Community thematisiert. Sonntag gibt es dazu auch eine eigene Diskussion im Rahmen der Pride Week, an der Naomi Lawrence teilnimmt, außerdem Olena Semenova, Mitfrau von Munich Kyiv Queer, und Anna Sharigina, die Chefin des diesjährigen KyivPride, eine bewundernswerte Feministin.

Es hat lange gedauert, bis wir den Ort gefunden haben. Das lag nicht etwa daran, dass das Queer Home versteckt in einem Hinterhof liegt – aus Sicherheitsgründen, versteht sich. Wir haben uns schlicht verlaufen. Conrad hat uns in die falsche Richtung geführt. Ermattet sitzt die Truppe jetzt auf den Sesseln im „Wohnzimer“ des Queer Home. Es gibt Kaffee, Tee und Wasser – auch ein paar Kekse waren noch aufzutreiben. Wir treffen Stas vom Organisationsteam des KyivPride, der uns erzählt, dass Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kyiw, auf seiner Website ein Statement zum geplanten „Marsch der Gleichheit“ abgegeben hat.

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Von solchen Events rate er ab, schreibt Klitschko. Sie seien geeignet, das Land zu spalten und die Menschen zu provozieren, jetzt, da doch Krieg im Land herrsche. Er bittet die Veranstaltenden eindringlich, die Sache abzublasen. Unsere Leute sind verärgert, manche nehmen die Sache einfach hin. Im Grunde hat niemand etwas anderes erwartet. Wir mobilisieren noch einmal alle politischen Kräfte, die wir haben. Allein vier Abgeordnete bringen ja wir mit nach Kyiw: Lydia Dietrich vertritt Münchens Oberbürgermeister, Stadtrat Dominik Krause ist da; heute kam Beate Walter-Rosenheimer, Abgeordnete im Bundestag. Freitag begrüßen wir den Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Brunner. Wir warten ab, was morgen passiert, wenn sich Polizei und die Pride-Macher*innen noch einmal treffen. Wut und Frustration packen wir ein.

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