PRIDEBLOG Die Ignoranz der Mächtigen
Aggressiv gebärden sich die Polizisten, sie drohen, murren, schwadronieren. Da sitzen die Veranstalterinnen und Veranstalter des
KyivPride,
Ruslana leitet das Security-Team,
Amnesty International hat im Büro Platz genommen, namentlich
Zoryan Kis, einer der profiliertesten Menschenrechtsaktivisten der Ukraine. Vor allem aber sind die EU-Botschaften zu dem Treffen zwischen KyivPride-Organisierenden und der Polizei eingeladen worden. Es ist 15 Uhr. Die Pressekonferenz zum KyivPride hat bereits stattgefunden. Vertreten sind Norwegen, Schweden, Deutschland und sieben weitere Länder – sie machen Druck. Aber die Kyiwer Polizeioberen interessiert das nicht.
„Der
Rechte Sektor wird angreifen“, sagt einer der Polizisten, oder Swoboda, oder das Asow-Bataillon. Er droht mit Rauchbomben, Granaten. „Es ist Krieg im Land.“ Da ist es wieder – das Totschlagargument. Und so zynisch es ist: Der Mann bekommt dieser Tage ausgerechnet Unterstützung für seine These aus dem Osten, wo die Kämpfe diesen Mittwoch, 3. Juni, wieder aufflammen. Er fragt, warum man denn überhaupt demonstrieren wolle, „diese Leute“ würden in der Ukraine doch nicht diskriminiert. Zoryan Kis fragt: „Sie sagen, wir werden nicht diskriminiert. Warum haben Sie Ruslana und mir zur Begrüßung dann nicht einmal die Hand gegeben?!“.
Es könnte so ein schönes Zeichen sein: Die Ukraine auf dem Weg nach Europa. Was für eine gute PR könnte das Land haben, wenn da am Samstag ab 10 Uhr Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender friedlich auf einer öffentlichen Straße, geschützt von der Polizei, für ihre Rechte auflaufen könnten. Die Regierung weiß das, das Parlament auch – doch mit Lesben und Schwulen sind keine Stimmen zu machen. Da legt man sich mit dem Westen lieber an. Nach dem Motto: Wir haben es ja versucht, aber es ist doch Krieg im Land.
Die LGBT-Aktivist*innen vor Ort nehmen das Szenario stoisch hin. „Das ist jedes Jahr so“, sagt
Stanislav Mishchenko aus dem KyivPride-Organisationsteam. 2013 habe es dann ja doch geklappt, 2014 allerdings nicht. Dafür sei im vergangenen Jahr auch der Druck aus dem Ausland nicht so groß gewesen. Dieses Jahr sind Delegationen aus Moldau, Weißrussland, Georgien, Deutschland, Armenien, Italien, Russland und Kanada vor Ort; Politiker*innen kommen aus dem Europaparlament, dem Bundestag und dem Münchner Stadtrat, Kyiws Partnerstadt. Die Botschaften Schwedens, Norwegens, Dänemarks, der Niederlande, Kanadas und der USA sind dabei. Organisationen wie Amnesty International,
USAID, die
Heinrich-Böll-Stiftung und
PACT beteiligen sich. Parallel läuft eine Bekennerkampagne für den KyivPride mit prominenten Journalisten, Musikern, Künstlern und Politiker*innen. Da müsste doch was drin sein.
Auf dem EU-Gipfel in Riga hat ein LGBT-Aktivist aus Kyiw dem ukrainischen Präsidenten
Petro Poroschenko vor alle Öffentlichkeit einen Brief übergeben mit der Bitte, den KyivPride zu schützen. Poroschenko hat das Schreiben lächelnd beiseite gelegt. Münchens Oberbürgermeister,
Dieter Reiter, hat
Vitali Klitschko, dem Bürgermeister von Kyiw, einen Brief geschrieben. Niemand kann sagen, die Behörden vor Ort wüssten nicht Bescheid.
Und doch: zeigt sich die Polizei unbeeindruckt. Das Treffen mit den Organisator*innen des KyivPride endet ergebnislos. Erst am Freitag will man sich wieder treffen. Das ist ein Tag vor dem Pride-Marsch.
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