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EHRENAMTLERBLOG Anna Sharyhina – Bayern, das alte Klischee

24.05.2015 | cb — Keine Kommentare
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Am Abend bin ich wieder in der U-Bahn verloren gegangen. In der Stadt, in der ich in der Ukraine lebe, gibt es etwa zwei Millionen Einwohner, aber die U-Bahn ist kleiner als in München. Gewöhnlich lese ich in der U-Bahn, aber in München analysiere ich lieber die Werbung. Mir geht es darum, wie sie Geschlechterrollen konstruiert. Die Werbung beeinflusst unsere Lebensauffassungen so unendlich zärtlich, dass wir keine Zeit haben zu überlegen, ob wir das, was wir sehen, mögen oder nicht.

Heute konnte ich in der Münchner U-Bahn einige interessante Geschlechterüberzeugungen kennenlernen, die man den Einwohnern der bayerischen Hauptstadt so ganz heimlich andreht. Drei Motive, die sich abwechselten, zeigen die Bilder einer Frau, eines Mannes und einer Familie. Da ist die weiße, schlanke Frau in der großen, fremden Stadt, die versucht, vom 19. ins 21 Jahrhundert zu gelangen. Damals hatten sie fast keinen Sex, sogar das Haar ist verdeckt. Jetzt steht sie fast nackt an der Straße.

Der Mann ist reich genug für dieses teure Auto. Seinen Sex-Appeal macht der Preis aus, die Größe des Wagens und seine Geschwindigkeit. Das sind sehr deutliche Erfolgskriterien. Das nächste Bild zeigt die moderne Familie, die „richtige“ Familie“. Also, das weiße heterosexuelle Paar, das vermutlich eine „gesunde Lebensweise“ hat und zwei Kinder unterschiedlichen Geschlechts aufzieht. Der Mann ist ein bisschen älter und größer. Die Frau steht hinter ihm; offensichtlich ist sie in dieser Verbindung weniger wichtig.

Aber welche Rollen leben Frauen und Männer im modernen München tatsächlich? Und welche „Familienwerte“ sind immer noch unbestreitbar.

Ich sammle auch gerne Postkarten – nicht nur die, die man mit der Post verschicken kann, sondern auch Poster, Aufkleber, Kalender, auf denen Frauen dargestellt sind. In jeder neuen Stadt schaue ich mir an, wie sie ihre Frauen zeigt, zum Beispiel in der Werbung. Für mich ist es die Seele der Stadt, ihr weiblicher Teil.

Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung der Erde aus und es ist sehr wichtig, wie die Gesellschaft diese Menschen sieht. Es freut mich, wenn ich „normwidrige“ Beispiele treffe, denn für mich ist Vielfalt sehr wichtig. Jede Stadt hat ihre eigene „durchschnittliche“ Frau und andere Frauen, die man nicht sehen kann. Es gibt nicht so viele Frauenbilder in München, aber die Mehrzahl der Werbeprodukte zeigt Frauen doch in einer Rolle, die einheitlich heteronormativ zu nennen ist. Die Frau ist Mutter und Gastgeberin, der Mann meistert erfolgreich das Leben.

Unglaublich: Sollte sogar hier, in der entwickelten Region eines fortschrittlichen Landes, die Kultur heteronormativ sein und die Leute in patriarchalische Stereotype packen? Es sieht fast so aus.

[BLOGPROJEKT: Stanislav Mishchenko; ÜBERSETZUNG: Olena Semenova]

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