Prideblog: Von Rechten und Russen
Irgendwie sind alle entspannt hier beim Empfang in der
Schwedischen Botschaft. Und das liegt nicht am Krimsekt den der Botschafter
Andreas von Beckerath unter den Gästen des
KyivPride herumreichen lässt. Es gibt sogar Kötbullar – Erinnerungen an Samstage bei
Ikea werden wach. Nein, dieses Jahr ist alles anders als noch 2013 und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Den KyivPride organisieren in diesem Jahr um die 20 Leute aus ganz Kyiw. Sie kommen von den verschiedensten LGBT-Organisationen, der
Gay Alliance Ukraine ebenso wie von
Insight und
Nash Mir oder dem
Gay Forum Ukraine, vor allem aber aus der Community. Das ist nicht selbstverständlich – denn die Berufsaktivist*innen sind in der Szene nicht unbedingt verwurzelt.
20 Leute also haben – auf Initiative der
Heinrich-Böll-Stiftung in Kyiw hin übrigens – die einwöchige
Pride Week in Kyiw perfekt vorbereitet und alles läuft. Neben dem kulturellen Rahmenprogramm mit Filmen, Empfängen wie diesem hier, einem Konzert, Debatten, Ausstellungen und zwei Partys laden die Veranstaltenden zur LGBT-Dachkonferenz aller ukrainischen LGBT-Organisationen, die am Donnerstag beginnt. Schon jetzt laufen Workshops für LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten aus dem ganzen Land, die den Umgang mit Medien lehren oder etwa zeigen, wie man gute Slogans für die eigene Öffentlichkeitsarbeit findet.
Die Münchner Delegation hat ihr eigenes Programm. Wie besuchen die meisten LGBT-Organisationen, laden selbst zum Konzert mit
Tubbe, debattieren zum Lesben-Aktivismus in München und bringen sogar eine Ausstellung zur Geschichte der Lesben-Bewegung in Deutschland mit. Das meiste davon unterstützt das
Münchner Kulturreferat, worauf die Szene sehr stolz sein kann. Und angeblich stehen auch die Chancen gut, dass am Samstag die Parade stattfinden kann. Alles gut also?
Wie die Gäste das hier eben so einschätzen bei einem Glas Sekt, Fleischbällchen und Würstchen. Sie sind alle hier: Vertreter der EU-Botschaften in Kyiw, darunter auch die deutsche, die Heinrich-Böll-Stiftung, Journalisten und natürlich die wichtigsten LGBT-Organisationen, die mitmachen in diesem Jahr. Selbst ein orthodoxer Priester zeigt sich, einer, der die Community seit Jahren unterstützt und auch die ersten Gäste aus München sind angekommen, Teile der Delegation aus der Partnerstadt Kyiws, die nun peu à peu einfliegen wird.
Werner ist schon jetzt begeistert. „Ich hatte drei unglaublich tolle Gespräche“, sagt er. Die Stadt beflügelt ihn; auf dem Balkon der Botschafterwohnung raucht er eine ukrainische Zigarette. „Die sind so günstig hier.“
Eine Kollegin der
Deutschen Welle stellt mir eine kritische Frage: „Ist es denn sinnvoll und gut, in diesen Tagen, wo Krieg im Osten der Ukraine ist, eine Gay-Parade abzuhalten, um zu feiern?“, fragt sie mich. „Die Leute hier gehen ja nicht auf die Straße, um Party zu machen“, entgegne ich. „Es geht um Menschenrechte, das Recht einer jeden und eines jeden, so zu sein, wie frau und man eben ist. Wir kämpfen für Gleichheit, eine freie Gesellschaft, nicht um Sonderrechte. Das kommt jeder Ukrainerin und jedem Ukrainer zu Gute.“
So gesehen ist die Annäherung an die
EU doch eine gute Sache, oder etwa nicht? Die Community hat sich der Assoziierung des Landes mit der
Europäischen Union offiziell verschrieben. Sie berge die größten Perspektiven für eine zügige Entwicklung in Richtung Rechtsstaat und Emanzipation. „Alles wird jetzt davon abhängen, wie frei sich die Zivilgesellschaft entwickeln kann“, sagt
Stanislaw Mischtschenko, International Secretary des KyivPride. Er kümmert sich um die internationalen Partner des Kyiwer „Christopher Street Day“.
Noch hat
Vitali Klitschko, neuer Bürgermeister der Stadt Kyiw, aber keine eindeutige Ansage gemacht. Aus München immerhin, der Partnerstadt, kriegt er Druck. Oberbürgermeister
Dieter Reiter (SPD) hat einen Brief an seinen Kollegen geschrieben, er solle bitte die Sicherheit beim Pride-Marsch gewährleisten. „Verrückte laufen in dieser Stadt genug herum“, sagt einer auf dem Empfang. Nationalisten und Orthodoxe freuten sich schon auf die Party. Reiter hat außerdem Stadträtin
Lydia Dietrich von den Grünen als seine Vertreterin entsandt. Und der Politikerin ist die Kyiw-Kooperation eine Herzensangelegenheit. Sie reist Freitag an.
Nicht alle LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten sind zufrieden. „Wir müssen alles, was wir schon unter Präsident
Janukowitsch erreicht hatten, neu aufbauen“, hat
Olena Semenova von der LGBT-Organisation
New Wave in Kherson noch vor wenigen Wochen gesagt. Inzwischen ist sie optimistischer, aber dennoch: Das Land hat sich verändert.
Vordergründig strahlt Kyiw heute an diesem Sommertag, die Leute wirken offener, freundlicher, die Stadt scheint sauberer. Die alten Kampfplätze haben sie renoviert, am Maidan erinnern nur noch wenige Zelte an die Revolution und ihre Toten. Vom Krieg im Osten, den Russland verdeckt führt, spürt man in Kyiw wenig. Gut, unser Filmemacher
Lorenz, der für
Munich Kyiv Queer eine
Dokumentation über LGBT in der Ukraine dreht, muss aus seiner Wohnung früher raus. Seine Vermieterin quartiert Flüchtlinge aus dem Osten ein.
Und die Faschisten? Sind die nicht auch eine Gefahr? Es gibt sie natürlich; noch immer stehen am Maidan Zelte mit der Flagge des
Rechten Sektors. Aber seit der Präsidentschaftswahl ist die Bewegung marginalisiert. Keine Gefahr also? Sind die Patrioten nicht die neuen Homo-Feinde neben den Fans russischer Familienpolitik und überhaupt allen, die Homo- und Transsexualität für eine westliche Erfindung halten? Vergessen wir nicht, dass auch im ukrainischen Parlament noch immer ein Gesetzentwurf gegen so genannte
Gay Propaganda in den Schubladen liegt.
Für den Pride-Marsch haben sich die Kyiwer jedenfalls etwas einfallen lassen, was alle Feinde – vor allem aus dem rechten Lager – schon jetzt schwer beeindruckt hat. Sie treten in traditionellen, ukrainischen Hemden auf und skandieren: „Die Ukraine ist ein Land und wir sind Teil davon.“ Auf Ukrainisch ist das ein originelles Wortspiel. Die Gegner hat der Slogan einigermaßen verwirrt, zitiert Stanislav Kommentare von Leser*innen ukrainischer Nachrichtenportale: „Jetzt leben in Russland Schwuchteln und ‚unsere‘ Schwulen sind wenigstens patriotisch.“ Er lacht gequält. Die russische Presse dagegen sieht im KyivPride eine Aggression gegen Russland.
Als LGBT-freundlich kann man das zwar insgesamt kaum bezeichnen, aber „Schritt für Schritt“, sagt der Aktivist Stanislav. „Es ist ein Anfang“ – wenn auch vielleicht kein guter? Nach zwei Stunden beschließt Botschafter von Beckerath den Empfang. Er wünscht allen viel Glück für Samstag. Das können wir gebrauchen.
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