BERICHT AUS KYIW II – „LIEBE gegen Propaganda“
„Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich glaube aber auch, dass es viel Unterstützung braucht.“ (Naomi Lawrence)
Dass wir improvisieren würden müssen, war klar. Eine
Skype-Übertragung zwischen Kyiw und München macht man nicht alle Tage. Dass aber jetzt – eine Stunde vor der Live-Schaltung ins Sub – Stas’ Computer einknickt, ist eine Katastrophe – eigentlich. Denn so richtig verzweifelt ist niemand, dafür ist heute, an diesem 14. Februar, schon zu viel passiert. Erstmal einen Krim-Sekt.
Naomis Bilder immerhin hängen. In akkurater Maßarbeit haben Barbara und Conrad, beide Mitglieder von
Munich Kyiv Queer, die zwölf Gemälde unterschiedlicher Größe vermessen, mit ganzem Körpereinsatz die Haken hinter die Bilder gepresst, sie an die Präsentationsflächen genagelt; schließlich hat die Künstlerin die passenden Texte dazu an die Wand geklebt. Die Ausstellung „Gay Propaganda“ soll mit Geschlechterklischees aufräumen, mit Homophobie und der Mär von „traditionellen Werten“. Auf zwölf Bildern hat die Münchner Malerin
Naomi Lawrence beliebte Figuren aus Cartoons und Comics neu erstehen lassen – vor ungewöhnlichen Hintergründen, mit spitzen Bemerkungen, Bonmots und viel Humor hat sie die Helden unserer Kindheit neu inszeniert.
Sie stellt viele Fragen: Selbstverständlich liebt Batman Frauen – oder etwa nicht? Ist Wickie, der schlaue Häuptlingssohn, nicht doch ein Mädchen? Und natürlich kämpft Leopold tapfer gegen seine Gegner, die Mäuse – aber überzeugt der arglose Kater nicht eher mit Freundlichkeit?
Für die Ukraine ist diese Ausstellung revolutionär. „Es war nicht einfach, dafür eine Location zu finden“, sagt
Stanislaw Mischtschenko, Vize-Chef der NGO
Gay Alliance Ukraine und Mitglied von Munich Kyiv Queer. Alle nennen ihn Stas. Er betreut das Projekt, das der
CSD München und das
Kulturreferat der Stadt München mit dem
Sub, Munich Kyiv Queer und dem
KyivPride zusammen veranstalten, von Kyiwer Seite aus. 20 Galerien haben seine Leute in ganz Kyiw abgeklappert; nur zwei haben am Ende Interesse gezeigt.
Die Galerie
Karas sitzt am Andreassteig, einem pittoresken Stück Kyiw aus dem 18./19. Jahrhundert mitten im beschaulichen Handwerkerviertel Podil. Das Gebäude selbst ist äußerst schmuck, eine eleganter Rahmen für unsere Ausstellung.
Sich mit Geschlechterfragen und sexueller Identität auseinanderzusetzen, kann in der Ukraine allerdings gefährlich sein. Wiederholt wurden entsprechende Ausstellungen in der Vergangenheit gestürmt und zerstört. Heute Abend wird das nicht passieren. Die Vernissage, zu der in München über 100 Leute, in Kyiw an die 70 Leute kommen, verläuft friedlich. Sie ist sogar ein großer Erfolg, weil sie auch Menschen erreicht, die solche Themen sonst nicht interessieren. Zwar weiß der Bereitschaftsdienst der
Deutschen Botschaft Bescheid, dass wir heute, am Valentinstag, zu diesem ganz besonderen Event einladen. Und in der Galerie hängen Überwachsungskameras, die ihre Bilder angeblich direkt zur Polizei schicken. Gewalt aber ist heute wie gesagt kein Thema, dafür die Technik.
Stas ist angespannt, seine Haare hängen ihm wirr ins Gesicht.
Schon am frühen Nachmittag hat sich abgezeichnet, dass für den Soundcheck der Band zwei Kabel fehlen und eigentlich auch ein Verstärkter. Die Münchner Gruppe QueenBaba ist – nach einigem Hin und Her – eigens nach Kyiw angereist, um „Gay Propaganda“ mit einem Konzert zu begleiten. Zu gefährlich erschien den vier Musikerinnen indes die Kyiwer Revolution, wie sie die deutschen Medien schilderten. Dann aber sind sie doch gekommen, am Donnerstag, für zwei Nächte. Und nach dem Soundcheck sind sie wider Erwarten sofort ab auf den Maidan. Das ukrainische Demokratie-Experiment hat die Frauen schwer beeindruckt. „Das ist wirklich faszinierend und berührend“, sagt Sängerin
Barbara Haupt.
Die technischen Probleme hat
QueenBaba mithilfe von Vova schnell überwunden. Der Galerie-Chef hat lange selbst in Bands gespielt. Die Boxen überbrückt er mit einem selbst gebastelten Draht, einem „ukrainischem Adapter“, wie ihn Bassistin
Barbara Lux scherzhaft nennt, obwohl ihr heute Nachmittag nach Witzen nicht zumute war. Die Improvisationskunst der Ukrainer ist nicht zu unterschätzen, die Band hat dann noch ein wenig geprobt.
Also alles gut: Die Bilder hängen, die Musik steht, der Infotisch auf dem Kamin sieht schick aus. Auch das deutsche Bier ist schon da, echtes Paulaner aus München.
Sibylle von Tiedemann und
Thomas Rappel, er Bavarian Mr. Leather, beide Mitglied von Munich Kyiv Queer, haben dankenswerterweise den Sekt besorgt. Wenn da nicht, wenn da nicht der Beamer wäre. Stas‘ Laptop und der Projektor können und wollen nicht miteinander. Alle möglichen Leute versuchen sich an den unterschiedlichsten Lösungen, bis am Ende Stas‘ Rechner gar nicht mehr mag. Der erste Skype-Test mit München ohne Beamer hatte gegen 17 Uhr noch gut funktioniert; Moderator
Thomas Lechner im Sub und wir haben uns prima unterhalten. Nur für die Übertragung mittels Beamer sollte eben noch eine Idee her und jetzt das.
Inzwischen treffen die ersten Gäste ein. „Everything will be fine“ – lautet – wie immer die ukrainische Losung des Tages. Alle telefonieren nach Laptops herum,
Kira Shavchenko, eine Freundin der Moderatorin
Olena Semenova in Kyiw, versucht, den Rechner zu reparieren. Drei weitere Computer sind im Anmarsch. Wird schon noch klappen.
Thomas und Conrad denken sich derweil telefonisch einen Plan B aus. Sollte die Live-Übertragung nicht klappen, kann Kyiw völlig autark gestalten. Die Moderatorin ist ja da, die Künstlerin, auch die Übersetzerin.
Anna Dovgopol von der
Heinrich-Böll-Stiftung ist spontan eingesprungen, nachdem die Kyiwer*innen den Münchner*innen klar gemacht haben, dass es ohne Übersetzung für die eigene Community gar nicht geht. Bis Donnerstagabend war keine Übersetzung aus dem Englischen vorgesehen.
Thomas simst: „Wir hoffen alle, dass es noch klappt.“ Das Sub ist voller Leute, Stadträtin
Lydia Dietrich ist da. Ohne Live-Schaltung allerdings – ohne Künstlerin – wäre der Abend nur halb so schön. Wir verschieben die Eröffnung um eine halbe Stunde und basteln weiter.
Und dann: geschieht ein Wunder. Über ein Ersatzlaptop lässt sich die Skype-Verbindung aufbauen. Zwar kann der Beamer noch immer kein Bild an die Wand werfen; aber immerhin. Die Notlösung: Wir filmen den Laptop-Bildschirm einfach mit einem Tablet ab. Vovas Kollege Konstantin, ein heterosexueller Techniker, hilft uns aus. „Wenn ich gewusst hätte, dass das hier eine Veranstaltung zum Thema Homophobie wird“, sagt er, „wäre ich nicht gekommen. Aber es ist toll hier, die Ukraine braucht solche Events. Wir wollen ein unabhängiges, demokratisches Land sein.“
Stas geht erstmal eine rauchen und taucht auch später nicht wieder auf.
Es wird spannend: Wir gehen jetzt online. Ob es funktioniert? Jawoll! München und Kyiw sind live. Jubel am anderen Ende; die Menge im Sub tobt. Der Abend beginnt emotional; die ersten Tränen.
Jetzt übernehmen Olena und Thomas die Moderation. Im Sub sind Ton- und Bildqualität spitze, in Kyiw leider nicht, dafür haben wir die Original-Gäste! Auch wenn das Bild auf der Leinwand zwischen Naomis Bildern mehr nach „Krieg der Sterne“ denn nach einer Übertragung aus dem Münchner Schwulenzentrum aussieht: Wir sind glücklich darüber. Nach einer kurzen Begrüßung ergreift die
Grünen-Stadträtin
Lydia Dietrich das Wort. Sie hat schon davor im Sub, allein auf sich gestellt, viel über ihre Erlebnisse in Kyiw erzählt. Sie engagiert sich seit zwei Jahren intensiv in der LGBT-Arbeit der Partnerstädte Kyiw und München; 2013 war sie mit Bürgermeister
Hep Monatzeder und ihrem Kollegen,
Reinhard Bauer von der
SPD, beim KyivPride.
„Hallo Kyiw“, sagt sie. Und Kyiw johlt zurück. Dietrich brandmarkt das Gesetz gegen so genannte Gay-Propaganda, das in Russland schon in Kraft ist, in Kyiw nach erster Lesung bald wieder auf die Agenda kommt. Sie spricht ihre Solidarität aus mit allen Lesben, Schwulen und Transgender in der Ukraine und verspricht, sich weiter für die Sache zu engagieren. Anna übersetzt akkurat, Kyiwer*innen und Münchner*innen werden ganz still.
Taras Karasiichuk, Chairman des KyivPride, sagt noch etwas. Er habe nie geglaubt, dass man das Thema Homophobie auf so ästhetische, ansprechende Weise behandeln könne. „Ich bin sehr glücklich darüber!“
Jetzt beginnt Olena damit, die Künstlerin selbst zu befragen. „Naomi, was ist das Besondere an Deinen Bildern?“ Sie erklärt, dass sie dem Publikum schlicht vor Augen führen will, dass es gerade die Besonderheiten sind, die Andersartigkeit und die Macken unserer Kindheitshelden, die sie in unseren Augen so liebenswert machen. „Dafür akzeptieren und mögen wir sie. Im Alltag aber, in unserer realen Welt“, glaubt Naomi, „hätten sie große Schwierigkeiten, so leben zu dürfen, eben weil sie anders sind.“
Nicht jeder im Publikum will verstehen, was Naomi damit meint. In die Galerie haben sich zwei Leute unter die Gäste gemischt, eine Frau und Mann, die jetzt anfangen, Fragen zu stellen. Aus ihrer Gesinnung machen sie keinen Hehl; sie vertreten homophobe Positionen. Der Mann, der selbst nicht per Skype aufgenommen werden will, hat zuvor jeden einzelne/n Besucher/in fotografiert, auch die Seiten im Katalog, den er haben, aber nicht kaufen wollte.
Warum die Künstlerin denn diese unschuldigen Comic- und Cartoon-Figuren so sexualisiere, fragt der Herr, der anonym bleibt. Hier gehe es doch nur um Unterhaltung. Eine Frau mit Handtasche, ebenfalls namenlos, unterstützt ihn dabei. Umständlich, erst auf ukrainisch, dann auf russisch, erklärt sie den Unterschied zwischen Liebe und Sex, mit der klaren Botschaft: Lesben und Schwule können nicht lieben, da gehe es nur um Sex.
Naomi Lawrence fragt die beiden, warum sie denn immerzu nur an Sex denken. Das Publikum in Kyiw und München lacht. Doch die zwei Ausstellungskritiker animiert das zu immer neuen, verquasten Fragen, die Stimmung wirkt angespannt. An der Sekttheke haben sie sich zuvor Mut angetrunken. „Sie lieben uns nicht, aber unseren Champagner“, wird Olena später sagen. Mit klugen Worten schafft es Thomas in München, die Situation zu deeskalieren.
Jetzt kommt auch die Community zu Wort. Fragen an Naomi wechseln mit Fragen zur aktuellen Situation in der Ukraine. Beide Seiten interessieren sich sehr füreinander. Valia zum Beispiel, Psychologin der Gay Alliance Ukraine, kritisiert, dass so viele rechte Gruppen an der
EuroMaidan-Bewegung beteiligt sind; eine Debatte entwickelt sich.
Leider läuft uns die Zeit davon. So kommt noch die Bassistin Barbara von QueenBaba zu Wort. Sie will sich einsetzen für Menschenrechte und kündigt eine Überraschung an. Dann startet das Konzert: Zwei Lieder hört München mit; eines davon ist ein ukrainisches Liebeslied. Ganz Kyiw singt mit – noch mehr Tränen, dann bedankt sich München und geht offline, um weiter zu diskutieren.
In Kyiw aber geht die Party weiter. Auch Stas ist inzwischen wieder da, er tanzt.
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