BERICHT AUS KYIW I – „LGBT in Bedrängnis“
Die Verlierer der ukrainischen Revolution stehen offenbar schon fest: Die
LGBT-Community wird es treffen – ganz gleich, ob sich nun die jetzige Regierung an der Macht hält oder die Oppositionellen übernehmen, unter denen viele Nationalisten sind.
Nach fast einem Jahr sind wir wieder in Kyiw. Wir wollen in der
Karas Gallery die Ausstellung
Gay Propaganda von
Naomi Lawrence eröffnen. Im Mai 2013 waren Vertreterinnen und Vertreter der Münchner Lesben-, Schwulen- und Transszene zuletzt hier, um unsere Freunde auf dem
KyivPride im Kampf um Gleichstellung und Akzeptanz zu unterstützen. Der Kyiwer
CSD war bekanntlich ein großer Erfolg. Aus München waren Bürgermeister
Hep Monatzeder und zwei Stadträte mitgekommen; die Polizei hat die Demo mit Hundertschaften geschützt. Die Ukraine war guten Willens damals und noch auf dem Weg nach Europa. Schließlich sollte im November 2013 das Assoziierungsabkommen mit der
Europäischen Union unterzeichnet werden. Das ist lange her.
Von Europa hat sich die Ukraine unter Präsident
Viktor Janukowitsch längst verabschiedet und sich Russland zugewandt. Seitdem strömen Wochenende für Wochenende Zehntausende Demonstrierende auf den Maidan, den Unabhängigkeitsplatz im Zentrum der Hauptstadt. Seit Monaten harren Widerstandskämpferinnen und -kämpfer bei Schnee und Regen aus. Sie belegen den Platz selbst und die benachbarten Straßen mit Zelten und komplexen Barrikadensystemen aus Reifen, Sandsäcken, Schnee, Holzgestellen und Steinen. Es gab auch Gewalt, einige Tote, etliche Verletzte; noch immer werden zahlreiche Leute vermisst. Zurzeit ist es ruhig.
Was geht das alles die LGBT-Community in Kyiw an? Sieben große Organisationen gibt es in Kyiw, sie alle arbeiten eng mit den Münchner Lesben-, Schwulen und Trans-Vereinen zusammen. Am Maidan demonstrieren sie nicht – jedenfalls nicht mit der Regenbogenflagge. „Natürlich unterstützen wir die pro-europäische Maidan-Bewegung“, sagt
Stanislaw Mischtschenko, Vize-Chef der NGO
Gay Alliance Ukraine in Kyiw. Er selbst war auch schon auf dem Unabhängigkeitsplatz. „Aber wir gehen nicht mit unseren Symbolen hin oder werben mit Parolen für unsere Rechte. Das Thema ist derart umstritten; wir wollen nicht provozieren und die Masse der Protestierenden auseinander bringen. Uns selbst würde es überhaupt nichts bringen.“
Einer Umfrage der LGBT-Organisation
Nash Mir aus dem Jahre 2010 zufolge sind 72 Prozent aller Ukrainer*innen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender gegenüber negativ eingestellt. Gegen gleichgeschlechtliche Ehen wenden sich laut einer eine Erhebung des Gorschenin-Instituts 48 Prozent der Bevölkerung. Und nach einer Umfrage der Online-Zeitschrift Objective sind 63 Prozent der Ukrainer*innen durchaus dafür, Propaganda für „Homosexualismus“ zu unterbinden.
Eine Erklärung zur
Maidan-Bewegung hat der Dachverband („Rada“) der ukrainischen LGBT-Vereinigungen schon vor Wochen herausgegeben. Darin heißt es unter anderem, Hassreden gegen Menschen egal welcher Rasse, welchen Glaubens, welcher sexueller Orientierung oder sonstwedem Grund sind zu verurteilen – egal ob sie vom Maidan kommen oder von der Regierung. Die Rada hat sehr genau erkannt, dass die Ziele der LGBT-Bewegung jederzeit und von allen Seiten für ihre Zwecke missbraucht werden können.
Das zeigen die vielen Fake-Proteste, die es im vergangenen Jahr gegeben hat. Bezahlte Obdachlose mit Regenbogenflaggen, ein hübsches Regenbogenzelt auf dem Maidan – bislang sind die Demonstrierenden auf die Provokationen nicht eingegangen. Sie durchschauen, dass hier Leute am Werk sind, die die Protestbewegung diskreditieren wollen („EU gleich Homo-Ehe“), denn auch unter den Pro-Europäischen gibt es viel Homophobie oder schlicht Ignoranz dem Thema gegenüber.
Ein Problem sind die Nationalisten. Zwar spielen sie bei den Protesten ebenso wenig eine tragende Rolle wie der Oppositionsführer
Vitali Klitschko – die deutschen Medien berichten häufig verzerrt aus der Ukraine. Sie stellen nicht die Mehrheit der Gruppen, die auf dem Unabhängigkeitsplatz seit Monaten für ein neues Land kämpfen. Da sind Frauenverbände, Student*innengruppen, Gewerkschaften, Linke, Ärzte, Rentner, Expats, aber eben auch: der rechte Block. „Und die sind nicht Ihre Freunde“, sagt ein deutscher Diplomat hinter vorgehaltener der Hand. „Dieser Tage sind viele fiese Typen in der Stadt unterwegs.“
Auf dem Maidan und im Ukrainischen Haus, das die Demonstrantinnen und Demonstranten am Europaplatz besetzt halten, haben die Nationalisten eine Bleibe gefunden. Um das System Janukowitsch zu stürzen, haben sich alle Regierungsgegner*innen zusammengeschlossen: Es herrschst Waffenstillstand zwischen Linken und Rechten. Im Ukrainischen Haus, dem Zentrum der Protestbewegung, sitzt man möglichst weit auseinander. Alle haben freien Zugang in das Gebäude, ein vermummter Mann prüft die Ausweise, sagt „Welcome“, das war’s.
LGBT-Aktivist*innen wie
Bogdan Globa, Chef der NGO
Fulcrum, sagen: „Wenn die Revolution siegt, und Nationalisten mitreden, ist das schlecht für uns.“ Und was, wenn alles beim Alten bleibt? Dann könnte sich die Regierung, die sich so lange zum Schein europafreundlich gegeben hat, an Moskau orientieren. Ein Gesetz gegen so genannte Gay Propaganda ist im Parlament seit dem 2. Oktober 2012 ja bereits anhängig. Im Zuge der Annäherung an die EU hat das Parlament den Gesetzesentwurf irgendwie vergessen; er liegt auf Eis. Das könnte sich bald wieder ändern. Globa sagt, im Frühjahr werde die Volksvertretung erneut über das Gesetz debattieren. Er macht sich keine Illusionen darüber, dass es durchkommt.
Wir haben sie dieser Tage alle besucht: Fulcrum kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit und die HIV-Prävention für schwule Männer, die Gay Alliance Ukraine ist aktiv in der LGBT-Aufklärungsarbeit, Beratung und Prävention und
Insight beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Transleuten und Flüchtlingspolitik. Unsere Freunde und Partner sind erstaunlich unbetroffen von der Situation; sie arbeiten einfach weiter, nehmen die Sache mit Humor. Was bleibt Ihnen schon anderes übrig?
Dass die Regierungsmehrheit im Parlament, bestehend aus der
Partei der Regionen und den
Kommunisten, wenig Skrupel hat, ihre persönlichen Interessen vor die der Bevölkerung zu stellen, haben zuletzt die Gesetze vom 16. Januar dieses Jahres gezeigt. Im Handstreich hat die Koalition damals Gesetze erlassen, die das Versammlungsrecht und die Meinungsfreiheit massiv einschränken wollten. NGOs sollten – nach russischem Vorbild – zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden, wenn sie Geld aus dem Ausland beziehen. Das hätte unsere Partner und Freunde in der Ukraine hart getroffen. Die Gesetze sind nach massivem Druck von der Straße inzwischen vom Tisch – damals sind die friedlichen Proteste nach Monaten in Gewalt umgeschlagen . Der Entwurf über NGOs soll aber schon in den kommenden Wochen wieder im Parlament gelesen werden. Die Regierung hat sich vorgenommen, den Einfluss aus dem Ausland deutlich zu beschneiden.
„Und sie werden damit durchkommen“, fürchtet
Olena Shevchenko, Chefin der Trans-Organisation Insight. Sie lacht: „Bis es soweit ist, machen wir einfach unsere Propaganda weiter.“ Auch sie geht davon aus, dass das Gesetz gegen so genannte Homo-Werbung durchgehen wird.
Alle arbeiten weiter. „Everything will be fine, do not worry“ – lautet der Slogan dieser Tage. Alle sagen ihn ständig. Auch den
KyivPride plant die Community hier sehr akribisch weiter mit dem Unterschied, dass er dieses Jahr auf breiteren Füßen steht. Aus der Community machen mehr Leute mit; Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, beteiligen sich. „Wir haben die Kritik aus dem vergangenen Jahr ernst genommen und mobilisieren jetzt die Szene“, sagt Chairman
Taras Karasiichuk. 2013 konnten aus Sicherheitsgründen nur registrierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Protestzug mitmarschieren. Es wird ein Kulturprogramm in der Pride Week geben, die für den 26. Mai bis 1. Juni angesetzt ist, und am 31. Mai die Parade. „Natürlich wissen wir nicht, wie die politische Situation bis dahin ist, aber wir müssten ja gewappnet sein. Ändern können wir unseren Plan immer noch“, sagt der LGBT-Aktivist, der selbst schon böse Erfahrungen mit Homophoben gemacht hat. Er ist 2012 überfallen und zusammengeschlagen worden.
Auch Taras sieht die Lage kritisch, mit ungewissem Ausgang. Hoffnungslos ist er nicht.
Ein Theater ist diese Revolution nicht, auch wenn alle ihre Witze darüber reißen. Sie kann Gewalt bringen, sie schafft aber auch Platz für Ungewöhnliches. Rund um den Maidan zum Beispiel hängen so viele Bilder und Zeichnungen zur aktuellen politischen Lage wie sie in all den Galerien der Stadt am Andreassteig keinen Platz fänden. Im Ukrainischen Haus bemalen ältere Damen, auch sie Aktivistinnen, Helme – aus Anlass eines Behelmungsverbotes vom 16. Januar. Das ist ein leiser, kreativer Protest. „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt die Frau und schenkt uns einen blauen Helm mit Szenen vom Maidan. „Sprühen Sie noch ordentlich Haarlack drüber. Dann halten die Farben besser.“
Wir nehmen ihn dankbar an. Jetzt sind auch wir Teil dieser Revolution geworden, einer Bewegung, die uns doch aber so offensichtlich gar nicht haben will. Oder doch nicht? Machen wir einfach weiter.
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