Vitali Klitschko: „Ich war schon immer lesbisch“ – Ukraines LGBT-Community ist entsetzt über den Oppositionspolitiker
Kyiw, 11. November 2013 – Mit seinen Aussagen über Lesben und Schwule hat der ukrainische Oppositionspolitiker
Vitali Klitschko (UDAR) die Kritik der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Trans (LGBT)-Verbände des Landes auf sich gezogen. Die liberale Partei enttäuscht ihre Wählerinnen und Wähler.
Natürlich dürfe auch in der Ukraine niemand die Rechte einer und eines jeden per Gesetz einschränken – das immerhin gab Vitali Klitschko, Box-Weltmeister und einer der Oppositionsführer im ukrainischen Parlament zu Protokoll.
Sex sei eine Privatangelegenheit und also vom Staat nicht zu reglementieren, sagte er kürzlich auf einer Pressekonferenz. Klitschko, der sich anschickt, 2015 Präsident des Landes zu werden, bezog damit deutlich
Stellung gegen ein Gesetz gegen so genannte Gay-Propaganda, das Werbung für Homosexualität verbieten soll – wie das in Russland bereits der Fall ist. In erster Lesung hat es das ukrainische Parlament schon im vergangenen Jahr passiert.
Trotzdem verstehe er die sexuellen Minderheiten nicht, wo doch „überall so schöne Frauen herumlaufen“.
Er sei ja schon immer „lesbisch“ gewesen, stehe also auf Frauen. Im Übrigen sei auch er
gegen die Propagierung von gleichgeschlechtlichen Ehen. Das Statement des in Deutschland angesehenen Sportlers, dessen Partei von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert wird, hat in der Lesben-, Schwulen- und Transszene des Landes Kopfschütteln ausgelöst. „Der Mann ist eben doch nur ein Boxer“, schreibt eine lesbische Frau enttäuscht in ihrem Facebook-Account.
Deutlich härter gehen Vertreterinnen und Vertreter der organisierten LGBT-Community mit Klitschkos Äußerungen zu Gericht. „Die Stellungnahme zeigt, wie schwer sich unsere Politikerinnen und Politiker mit Menschenrechten tun“, sagt Stanislav Mishchenko, Vize-Chef der ukrainischen Organisation Gay Alliance Ukraine in Kyiw. UDAR gelte ja eigentlich als die progressivste aller ukrainischen Parteien. „Aber die Aussagen Klitschkos zeugen von Unkenntnis; außerdem sind sie
eine Beleidigung für jede Lesbe und jeden Schwulen – nicht nur in unserem Land.“
Zwar freuen sich die Lesben-, Schwulen- und Trans-Verbände darüber, dass mit UDAR wenigstens eine Partei öffentlich gegen das geplante Propaganda-Gesetz aufbegehrt. Kein Politiker sonst tut das – aus Furcht, die eigenen Wähler zu brüskieren und sich selbst um Macht und Ansehen zu bringen. Aber musste Vitali Klitschko so daherreden?
Mit Lesben- und Schwulenrechten wird in der Ukraine in diesen Zeiten viel Politik gemacht – die Debatten zielen vor allem auf den politischen Feind. Erst vor wenigen Tagen haben in der Hauptstadt Kyiw Gegner des von der Regierung eingeschlagenen EU-Kurses an Hausfassaden und Brücken – für Autofahrer gut sichtbar – riesige Regenbogenflaggen befestigt. Darauf war die Inschrift zu lesen: „Europa – ist Freiheit“. Die Regenbogenflagge ist weltweit das Symbol der Lesben und Schwulen.
„Hier versuchen EU-Gegner, die Diskussion um LGBT-Rechte zu instrumentalisieren“, sagt Kyryl Savin, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kyiw. „Das kann gelingen“, sagt er, „denn das Thema ist negativ besetzt. Die Flaggen sind aber ein Fake.“
Ende November will die Ukraine in Vilnius ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Nicht alle wünschen sich das; viele Menschen in der Ukraine stehen Russland näher.
Für die Lesben-, Schwulen- und Transverbände gilt das gleichwohl nicht. Sie erhoffen sich viel von einer europäischen Integration, den Schutz vor Übergriffen zum Beispiel, den ein neues Anti-Diskriminierungsgesetz bringen soll.
Klitschkos Partei UDAR hat sich bislang nicht klar dazu positioniert; das ganze Land tut sich schwer damit. Das Parlament hat die Entscheidung über das Gesetz immer wieder vertagt, obwohl es eine wichtige Forderung der EU für eine Liberalisierung des Reiseverkehrs ist.
Es ist ein regelrechter Kultur-Kampf: Während im Parlament erstmals ein offen schwuler LGBT-Aktivist in einer bewegenden Rede die Einführung dieses Gesetzes fordert, demonstrieren vor der Deutschen Botschaft Menschen gegen die vermeintliche „Gay-Propaganda“ der Heinrich-Böll-Stiftung und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Alles geht im Moment durcheinander. Es zeigt, wie erbittert beide Seiten um den künftigen Kurs des Landes ringen.
„Für die LGBT-Community im Land wäre die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU wichtig“ , sagt Kyryl Savin. Komme es nicht, werde es schwer.
„Wir brauchen bei uns wirksame Mechanismen, um Lesben, Schwule und Transgender gegen Diskriminierung zu schützen“,sagt Bogdan Globa, Chef der LGBT-Organisation Fulcrum in Kyiw.
Er selbst sei als Jugendlicher gehänselt, ausgegrenzt, beschimpft und geschlagen worden. Seine eigene Familie habe ihn zum Arzt geschickt, weil die Eltern dachten, ihr Sohn sei krank. Globa war es, der jetzt als erster offen schwuler LGBT-Aktivist vor Abgeordneten im Parlament gesprochen hat. Auch in der wichtigsten Talkshow des Landes, Schuster Live beim Sender Inter, hat er für das Gesetz plädiert. Ob die Politiker des Landes und die Bevölkerung auf ihn hören werden? Die Mehrheit der Talk-Gäste hat jedenfalls die Ansicht vertreten, man habe ja nichts gegen Schwule, aber so ein Gesetz brauche die Ukraine wirklich nicht. Immerhin hat sich mit Irina Bereshnaja eine Politikerin der Regierungspartei (Partei der Regionen) für das Anti-Diskriminierungsgesetz stark gemacht – und zwar gegen ihre eigenen Parteigenossen.
Stanislav Mishchenko zweifelt trotzdem. „Unsere Politiker verstehen nicht, worum es geht“, sagt der Schwulenaktivist. „Eine liberale Politik gegenüber Minderheiten, eine offene Gesellschaft, wäre gut für alle.“ Klitschko zum Beispiel meine es gut, aber er mache sich ungewollt über Lesben und Schwule lustig. „So nährt er Stereotypen. Für einen Politiker, der sich modern und liberal gibt, ist das inakzeptabel.“
UDAR habe die Lesben und Schwulen im Land enttäuscht, sagt Mishchenko. Die Partei kooperiere mit den dezidiert homophoben Volksvertretern der Oppositionspartei Swoboda („Freiheit“). Da frage man sich doch, ob es um Inhalte oder Machtsicherung gehe. Wir hatten die Hoffnung, dass mit UDAR ein neuer Politikstil einzieht“, sagt er. „Aber unsere Hoffnungen wurden bislang nicht erfüllt.“
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