PrideBlog: Rave meets Pride
von Conrad Breyer
Zwei Jahre waren wir nicht in der Ukraine, zwei Jahre haben wir unsere Freund*innen in Kyjiw schmerzlich vermisst. Klar, wir haben einige wirklich gute Online-Projekt durchgeführt, Webinare, Sport-Challenges, eine virtuelle Vernissage, sogar Chorproben, aber hier vor Ort zu sein, gemeinsam mit unseren Leuten für Menschenrechte auf die Straße zu gehen, ist natürlich etwas anderes.
Unsere Delegation ist mit zwei Leuten überschaubar groß – der pandemiebedingt kurzfristigen Planungen konnten nur wenige Münchner*innen etwas abgewinnen. Das gibt uns jetzt aber auch die Freiheit, spontan an Events teilzunehmen und Aktivist*innen zu treffen, wann immer es uns passt, statt ein straffes Delegationsprogramm abzuarbeiten.
Wir freuen uns wirklich darüber, wieder in Kyjiw zu sein, in dieser Stadt, in der vor neun Jahren mit einem gescheiterten Pride alles anfing. Damals kam der Wunsch auf, gemeinsam mit unserer Partnerstadt eine neue Bewegung zu schaffen. Das ist gelungen.
Ein Land wacht auf
Was ist in den vergangenen zwei Jahren LGBTIQ*-technisch in der Ukraine passiert? Eigentlich nichts. Pandemie – sonst war es ziemlich still. Regierung und Parlament hatten alle Hände voll zu tun, um die Corona-Krise in den Griff zu bekommen. Praktischeweise nutzte ihnen die Pandemie auch als Ausrede, wenn es darum ging, Einsatz zu zeigen.
In letzter Zeit aber kommt wieder Bewegung in die Sache. Im Sommer zum Beispiel hat die junge NGO UkrainePride, von der Aktivistin Sofiia Lapina (o.r.) mitbegründet, einen Rave für LGBTIQ* vor dem Amtssitz des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky veranstaltet, der weltweit Beachtung fand. Keine klassische Demo mit Bannern, keine Aktivist*innen, die politische Forderungen stellten – einfach Musik und das sechs Stunden lang.
Forderungen hatten die Organisator*innen zuvor in einer Pressemitteilung gestellt und im Gespräch mit den Medien, die über das Event berichteten. Es ging da um Gewalt gegenüber LGBTIQ*. Aber vor Ort zeigten sie sich vor allem als queere Community, die sich frei entfalten will.
Queer Capital of Europe
Die Botschaft kam an, wie Sofiia erzählt. Ich treffe sie gegen Mittag im Café „What you want“ im Szeneviertel Podil, wo sich inzwischen viele LGBTIQ*-freundliche Lokale niedergelassen haben. Sie spricht von den vielen rave-begeisterten Französinnen, Deutschen, Amis, die nach Kyjiw gezogen sind, um hier – in diesem Berlin des Ostens – ihre Projekte durchzuziehen. Alles geht! So schreibt die KyivPost: „Die Kyjiwer Elektro-Szene ist in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert, mit internationalen DJs, die jedes Wochenende auftreten, und Veranstaltern, die in die Ukraine kommen, um ihre eigenen Events zu organisieren.“
Und Sofiia war – obwohl sie sich Jahre unter anderem beim KyivPride für Menschenrechte eingesetzt hat – selbst erstaunt, als sie kürzlich die Clubszene für sich entdeckt und festgestellt hat, wie frei diese Welt ist – Heimat für viele Queers, die sich nicht auf der Straße für ihre Sache einsetzen wollen. Weil sie Angst haben. Weil es ihnen nicht liegt. Oder weil sie sich von den vielen LGBTIQ*-Organisationen im Land nicht vertreten fühlen.
Die Politik tut ohnehin nichts
For Sofiia aber war klar: Hier liegt ein riesen Potenzial, Verbündete für LGBTIQ* zu finden und so ganz nebenbei PR in eigener Sache zu machen. Mit dem Rave in der Stadt ist das gelungen: Die Politik habe die Veranstaltung durchaus positiv zur Kenntnis genommen, wie sie von Insidern weiß. Sofiia findet es generell sinnvoller, mit der Gesellschaft zu arbeiten, deren Akzeptanz wächst, statt einfach Jahr um Jahr aufs Neue mit Politiker*innen zu sprechen, die ohnehin nichts für LGBTIQ* tun.
Die Aktion hat jedenfalls für Diskussionen gesorgt – auch innerhalb der Community. Als nächstes stehen Projekte unter anderem mit den Kirchen und Sportverbänden an. Dafür suchen sie punktuell auch etablierte LGBTIQ*-Organisationen als Partner. Womöglich können auch wir die Macher*innen des RavePride mal nach München einladen. Die Jugend spricht das sicher mehr an als klassische Vereinsarbeit, wobei es in der Ukraine genau umgekehrt ist: Raver seien deutlich älter als die Menschen, die mit dem KyivPride durch die Stadt zögen, sagt Sofiia. Sonntag, wenn der „Marsch der Gleichheit“ stattfindet, werden wir das ja wieder sehen. In den vergangenen Jahren war das Event jedenfalls super jung.
Am Nachmittag bin ich mit Anna Leonova und Olena Hanich von der Gay Alliance Ukraine in ihrem neuen Büro verabredet. Stolz führen sie mich in den großen, gemütlichen Räumen herum. Mit der Organisation haben wir von Anfang an kooperiert. Die NGO hat ab 2012 die ersten Prides in Kyjiw durchgeführt; heute übernimmt das eine professionelle NGO. Dafür organisieren die beiden den Pride in Odesa. Der konnte auch dieses Jahr wieder stattfinden; pandemiebedingt waren allerdings nur ein paar Hundert Leute dabei.
Feindin des Volkes
Auch die Opponent*innen entsandten eine Delegation, die allerdings – durch den Rücktritt von Innenminister Arsen Avakov – derzeit eher schwach aufgestellt sind, wie man vor wenigen Tagen auch beim Pride in Charkiw beobachten konnte. Der Politiker hat offenbar stets seine schützende Hand über die rechtsradikalen Organisationen in der Ukraine gehalten. Derzeit stehen die Anführer etwa von „Tradition und Ordnung“ unter Hausarrest. Sie hatten während und im Vorfeld des OdesaPride jede Menge Propaganda-Material in der Stadt verteilt: Ein Flyer zeigte das Konterfei von Anna, darunter standen die Worte „Feindin des Volkes“.
Anna lässt sich nicht anmerken, ob sie das trifft. Sie hat sich über die Jahre ein dickes Fell zugelegt, wenn es um derlei Angriffe auf ihre Person geht. Sie kämpft unentwegt weiter.
Eigentlich kümmert sich die Gay Alliance Ukraine ja schwerpunktmäßig ums Community-Buildung. Vor einigen Jahren hat die Organisation sieben Queer Homes im Land eröffnet; vier davon gibt es bis heute. Sie sind Kommunikations- und Kulturzentren mit Beratungs-, Selbsthilfe- und Freizeitangeboten wie sie in München die Lesbenberatung LeTRa, das Schwulenzentrum Sub oder die LGBTIQ*-Jugendorganisation Diversity im Programm haben. Die Zentren bieten LGBTIQ* eine Heimat, stärken ihre Identität und stellen für die vor allem ehrenamtlichen Aktivitäten einen safe space. Daher auch die neuen Räume – in Kyjiw ist das Queer Home in das Büro der Gay Alliance Ukraine integriert.
Ein Gesetz gegen Hate Crimes?
Weil sie so wichtig für die Community sind, haben Munich Kyiv Queer und die Münchner Szene die Einrichtungen von Anfang an vor allem mit Spenden unterstützt. Zwei der vier Zentren finanziert zwar die NGO COC Netherlands, die übrigen aber bedürfen weiterhin der Hilfe, weil sich mit Corona derzeit keine Geldgeber finden. Dabei ist das Angebot super nachhaltig. Ein neues Zentrum ist in Tschernivtsi geplant, wo die Community bereits stark mobilisiert ist.
Eine Überraschung dann noch zum Schluss: Das Parlament wird im Herbst über einen Gesetzentwurf zu hate crimes beraten, was ein Teil des Aktionsplans der ukrainischen Regierung von 2015 gegen Homo- und Trans*-Phobie ist. Niemand weiß, wer es eingebracht ist, niemand weiß, warum gerade jetzt und ob es durchkommt. In jedem Fall wäre es eine Revolution; nicht einmal in Deutschland gibt es ein solches Gesetz. Es würde mit einem Mal Schluss machen mit der Diskriminierung und der Gewalt gegenüber LGBTIQ* im Land, ist Anna überzeugt. In jedem Fall würden die Täter*innen verfolgt und hart bestraft. Denn Gewaltverbrechen aus Hass zum Beispiel gegenüber LGBTIQ* wögen dann schwerer als andere Übergriffe.
Dafür marschieren wir Sonntag beim Pride gerne mit!
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