PrideBlog – Mobbing in der Schule, Gewalt in Podil
von Conrad Breyer
Als wir schon im Bus zum nächsten Termin sitzen, schickt mir Olena Globa noch eine Nachricht auf mein Handy. „LGBTIQ*“, steht da, „werden gewinnen dank Leuten wie Euch in München und Kyjiw und nicht, weil Biden und Zelensky irgendein Agreement abschließen, das am Ende nur auf dem Papier steht“, schreibt mir die Chefin der Elterninitiative TERGO. Der Satz berührt mich und zeigt, wie wichtig das Engagement jedes*, jeder* einzelnen Aktivist*in ist.
Wir haben am Donnerstagnachmittag lange mit TERGO gesprochen. Wir kennen die Mütter um die beiden Leiterinnen der Organisation, Olena Globa und Anna Medko, gut, arbeiten von Anfang an zusammen. Nach zwei Jahren Pause können wir das Update in ihrem Büro gut gebrauchen.
TERGO konzentriert sich inzwischen fast ganz auf die Schulen im Land. Natürlich sind LGBTIQ*-Organisationen dort nicht willkommen; sie dürfen offiziell gar nicht rein. Aber in vielen Städten geben sich die Schulen inzwischen doch einen Anstrich von Vielfalt und setzen sich mit entsprechenden Programmen gegen Mobbing generell ein. In dem Zusammenhang sind auch immer wieder Eltern mit ihren Kindern eingeladen, die den Lehrer*innen über ihre Bullying-Erfahrungen berichten sollen. Das nutzt Tergo geschickt aus: Ihre Töchter und Söhne sprechen einfach über ihre Erlebnisse mit Homo- und Trans*-Phobie, wenn sie gefragt werden. „Living Books“ nennt sich das Konzept, das wir in München inzwischen auch kennen. Es wirkt, weil es Menschen berührt. „Es geht um Akzeptanz“, sagt Olena Globa. Lehrer*innen hätten immer Angst vor der Mehrbelastung. „Sie brauchen hier aber gar keine Agenda, sondern müssen einfach erstmal akzeptieren, was ist.“
Trick 17: Das lebende Buch
Es ist schön zu hören, wieviel Kraft und Inspiration die Mütter von TERGO aus der Liebe zu ihren Kindern ziehen, aber wie sie sich auch von den Erfahrungen der Münchner Community haben leiten lassen. Wiederholt saßen Vertreterinnen der Organisation beim Aufklärungsprojekt München und Diversity@School, um zu verstehen, wie wir in den städtischen Schulen über LGBTIQ* aufklären. Und viele Methoden, die wir gemeinsam durchgespielt haben, nutzen sie auch in der Ukraine. Das ist gelebte Städte- und Szenepartnerschaft.
TERGO ist in der ganzen Ukraine aktiv und besucht überall Schulen. Sie erzählen die Geschichten ihrer Töchter und Söhne in den Medien, lancieren Kampagnen, hier und da konzipieren sie auch mal eine Ausstellung. Eine Studie, die die Organisation vor Kurzem in Eigenregie durchgeführt hat, zeigt, dass sich die Einstellungen der Menschen dadurch ändern – auch in der Schule.
Im Kleinen erreichen wir mehr
Ihren größten Erfolg feierte TERGO jüngst – und Olena Globa wird ganz aufgeregt, als sie das erzählt – als sich der Gemeinderat der Stadt Mykolajiw bereit erklärte, für Tergo eine Aufklärungskampagne zu fahren, die die Organisation mit einer Werbeagentur entwickelt hat. Stadträte und Gemeindevertretungen in 21 Regionen der Ukraine hätten sie angeschrieben, erzählt Globa, die meisten haben ihre Anfrage ignoriert, manche langatmig abgelehnt, nur eine habe zugesagt – Mykolajiw.
„Dass Ihr in München mit dem Stadtrat so eng zusammenarbeitet, hat uns inspiriert“, sagt Globa. Und dieser Erfolg sei historisch! Globa, die für mich übersetzt und deshalb neben mir sitzt, rutscht auf ihrem Stuhl begeistert hin und her. In Mykolajiw hängen jetzt – wenn auch nicht im Zentrum – Plakate mit Texten wie: „Ist Ihr Schüler schwul? Sprechen Sie mit uns.“ Das ist ein großer Erfolg.
Am Schluss spreche ich Olena noch auf das Memorandum an, das US-Präsident Biden und der Präsident der Ukraine, Volodymyr Zelensky, vor Kurzem unterzeichnet haben, als es um die Zusammenarbeit der beiden Länder ging. Darin war auch eine Passage enthalten, in der sich die Ukraine verpflichtet, die Rechte von LGBTIQ* zu schützen. Globas eigener Sohn, Bogdan, der seit Jahren in Amerika lebt und sich im Exil für LGBTIQ*-Rechte in der Ukraine einsetzt, hat das mit initiiert. „Es ist doch diplomatisch ein riesen Erfolg“, sage ich. Olena Globa nickt, lächelt freundlich und sagt: Biden mag das ernst meinen, aber Zelensky vertrauen wir in der Hinsicht nicht.“ Sie halten es alle für sinnvoller, Sonntag auf den Pride-Marsch zu gehen. „Da werden wir eher gehört.“
Kuchen für die Münchner
Wir verabschieden uns. Die Mütter drücken uns Kuchen in die Hand, Kyiv Cake von Roshen, und wir machen uns auf, die Organisation Insight zu besuchen, die in Podil sitzt. Mir scheint, dass immer mehr LGBTIQ*- Einrichtungen dort ihre Büros aufmachen; auch friendly Cafés haben sich im Quartier niedergelassen. Klingt erstmal gut. Später erfahren wir von Insight, dass die queeren Menschen, die im Viertel rumhängen, leider immer wieder angegriffen werden. Da habe Podil nun inzwischen schon eine gewisse Berühmtheit erlangt. Das ist traurig.
Als wir das Büro von Insight betreten, bin ich ziemlich erstaunt. Das Büro ist groß, freundlich, modern – es zeugt vom Erfolg dieser Organisation, die wir nun auch schon seit neun Jahren kennen. An ihrer Spitze steht Olena Shevchenko, die es geschafft hat, Insight durch gute wie schlechte Zeiten zu führen. Einer der seltenen nachhaltigen Erfolge, die die Community vorzuweisen hat.
Insight beschäftigt sich mit Advocacy für LGBTIQ*-Rechte, macht Beratungsangebote für die Community, betreibt aber auch ein eigenes Community-Zentrum mit mehreren Angestellten. Der Fokus liegt ganz klar auf Trans* und Lesben, die wie bei uns daheim eine besondere Sichtbarkeit brauchen, um ihre Anliegen einer breiten Masse verständlich zu machen. Sie veranstalten den Frauen-Marsch, das Equality Festival, den Trans*-Marsch, eine Trans*-Konferenz und sind immer interessiert am Austausch mit Trans*-Communitys in der ganzen Welt. München hat erfahrene Chirurg*innen und Endokrinolog*innen; sie wären hier mehr als willkommen, um ihre Erfahrungen zu teilen.
Sportler*innen für die Gay Games München
Insight ist in neun Regionen aktiv und hat es geschafft, ihre Geldgeber soweit zu erziehen, dass sie sie projektunabhängig unterstützen. Die meisten NGOs leiden ja gerade darunter: Ein Projekt wird gefördert, dann läuft es aus und die Organisation muss die Leute, die sie dafür eingestellt oder mobilisiert hat, wieder ziehen lassen, manchmal sogar aus den angemieteten Büros ausziehen. Nachhaltig ist das nicht.
Wir sitzen im Gemeinschaftsraum und lassen uns erzählen, wie Insight hier der Community das Wochenprogramm füllt: Film- und Spieleabende, Theater, Lesungen, Poetry Slams, Diskussionen, Kreativ-Workshops. Die Projektleiterin Busok spricht Deutsch und ist begeistert von den Möglichkeiten. An der Wand lehnt auch eine Tischtennisplatte. Insight hat viele sportbegeisterte Mitglieder, die Basketball und Tischtennis spielen. Ich erzähle von der Bewerbung Münchens für die Gay Games 2026 und dem geplanten Outreach-Programm. Wir sprechen auch von Team München und dem Sommerfest, zu dem wir 2019 schon einmal Sportler*innen aus der Ukraine einladen wollten, aber dann kam Corona. Insight bietet mit seinen vielen Freizeitgruppen großes Potenzial für eine Zusammenarbeit im Sport – das wollen wir nutzen.
Wir sprechen nach dem offiziellen Meeting, als es draußen schon dämmert, noch lange mit den jungen Aktivist*innen, die vor Ideen nur so sprühen. Wir lassen ihnen den Kuchen da. Zu zweit hätten wir ihn ohnehin nicht geschafft und sie hier haben heute Abend ein Event. Alle freuen sich. Smatschnoho!
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