KyivPride: Britney, Puppys, Peace
von Conrad Breyer
Als wir zur Deutschen Botschaft laufen, hören wir schon die Lautsprecherdurchsagen. Die Parolen hallen durch die ganze Stadt, begleitet von Musik. „Geht’s schon los?“, frage ich Stas. „Sind unsere Freunde von Tradition und Ordnung schon da?“ Dann aber wird uns klar: Das ist Britney, die da singt. „Rechte hören doch nicht Britney Spears“, sagt Stas. „Du kannst beruhigt sein.“
Wer hätte ahnen können, dass sich der Pride in Kyjiw mal fast so anfühlt wie in München? Jedenfalls, was den Sound angeht. Wir hasten zum Treffpunkt. Vor der Botschaft stoßen wir auf Mitarbeiter*innen der diplomatischen Vertretung, die heute mitlaufen wollen. Die Botschaft hat schon etliche Veranstaltungen im Pride Month finanziert, auch die Tonanlage für den Marsch ist von ihnen. Am Gebäude klebt eine Regenbogenflagge. Sie hängt etwas schüchtern aus einem der Fenster. Immerhin! Noch schnell ein Gruppenfoto, dann ziehen wir los.
Zwei Eingänge hat die Polizei für den Pride vorgesehen; einer befindet sich direkt vor der Botschaft. Frauen werden auf der einen, Männer auf der anderen Seite beim Reingehen kontrolliert. Dazwischen gibt es für die Behörden nichts. Wir öffnen unsere Rucksäcke; ich muss unser Transparent auffalten, dann darf ich durch.
Rebelliere, liebe, gib deine Rechte nicht auf
Vor der Nationaloper stehen bereits Hunderte Menschen in Reih und Glied. Musik. Überall Regenbogenfahnen, Flaggen der örtlichen LGBTIQ*-Organisationen, auf einem Laster tanzen Drag Queens. Die Stimmung ist prima. Hier ist die Jugend des Landes versammelt. Sie singen, rufen Parolen wie „Menschenrechte vor allem“ oder „Rebelliere, liebe, gib deine Rechte nicht auf“. Wir kommen mit unserem historischen Banner von 2013, „München grüßt seine Partnerstadt Kyjiw“, hinter Amnesty International und vor den Puppys auf Posten. Puppys! So vielfältig habe ich den Pride noch nie erlebt; die Fetisch-Community hat sich bislang kaum auf die Straße getraut.
Pünktlich um elf laufen wir los. Polizei sehe ich erstmal nicht. Früher haben die Sicherheitkräfte lange Schlangen rechts und links von den Demonstrierenden gebildet. Mensch ist quasi durch ein Spalier von Polizist*innen gelaufen. Jetzt ist das Gelände selbst weiträumig umzäunt, Polizei steht nur an den Zugängen, am Taras-Schevchenko-Park, um den wir herumlaufen werden, und dem Einstieg zur U-Bahn.
Es nieselt, aber trotzdem sind dieses Jahr über 7000 Menschen im Zentrum der Stadt zusammengekommen. Zuletzt, 2019, waren es 8000, aber ist ja immerhin auch noch Pandemie. Zuschauer*innen sehen wir wie jedes Jahr keine. Hier und da beobachten wir, wie irgendwer aus dem Fenster schaut, wohl um herauszufinden, wer da denn so einen Lärm macht. Jemand winkt, wir winken erfreut zurück. Andere schließen ihr Fenster lieber schnell.
Keine Lust auf Protestieren
Wir reden nicht viel. Die Musik vom Wagen hinter uns ist viel zu laut. Ich genieße die Atmosphäre und erlebe den Marsch mit allen Sinnen. Es ist ein stiller Protest, der mir gut tut. Es war richtig, hierher zu kommen, auch wenn unsere Delegation dieses Mal mit Stas und mir so klein ausfällt, weil wir keine*n Vertreter*in der Stadt so kurzfristig bewegen konnten, mit uns nach Kyjiw zu fahren. Die Pandemie ließ einfach keine langfristige Planung zu.
Die ganze Woche über hatte ich keine rechte Lust auf den Marsch. Ich habe mich viel mehr darüber gefreut, die Leute wiederzusehen, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten und die wir nun über viele Monate nicht mehr live gesprochen haben. Wieder gemeinsam Projekte zu planen, macht so viel Spaß und ist so viel leichter. Beim Marsch mitzulaufen, ist dagegen kein Spaziergang. Wer sich einmal darauf einlässt, ist gefangen, muss mitstapfen bis zum Ende. Dann erst transportiert einen die U-Bahn aus der Stadt raus, mit Tausenden anderer Aktivist*innen. Was dauern kann. Aber dazu gleich mehr.
Wir machen das jetzt, wir kämpfen Seite an Seite mit unseren Freund*innen für Menschenrechte in der Ukraine. Sie brauchen diesen Schutz aus dem Ausland, um die Behörden unter Druck zu setzen. Es ist erhebend und bewegend zugleich, in diesem Bewusstsein die Straßen zu durchqueren. Gelegentlich werden wir fotografiert, einmal auch interviewt – Menschenrechte sind für alle und machen das ganze Land freier, sage ich.
Gott mit uns? Gegenproteste beiben friedlich
Und was ist mit den Gegner*innen? Als wir losgelaufen sind, kam Ruslan Kukhartchuk vorbei, berühmt-berüchtigter Gründer der Bewegung „Liebe gegen Homosexualismus“. Der hat uns gefilmt, wir haben ihm den Finger gezeigt, dann hat er sich verzupft. An der Straßenecke vor uns steht ein Typ mit Schild, auf dem steht: „Gott, die ukrainische Verfassung und die Natur des Menschen sind gegen LGBT im Land.“ Viel weiter hinten, an der Uni, hat sich eine ganze Gruppe von Rechten formiert. Sie ist gut abgeschirmt von der Demo, wir kriegen nicht viel mit von ihnen. Gewalt wird es an diesem Tag keine gegen die Teilnehmer*innen geben, selbst nach dem Pride nicht, wie wir erst später aus den sozialen Medien erfahren. Auch das ist neu beim Pride.
Nach einer dreiviertel Stunde ist der Marsch vorbei. „Wie? Das war’s schon?“, fragt ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft. „Ja, 2013 waren es nur 15 Minuten“ sage ich und lache.
Wir machen noch ein paar Fotos, dann werden wir gebeten, unsere Transparente einzupacken und uns Richtung U-Bahn zu begeben, wo schon Hunderte anstehen.
Das jetzt ist der unangenehmste Moment des ganzen Pride. Auch nicht ganz ungefährlich, wie ich finde. Wenn hier Panik ausbricht, wird das ganz schnell wie 2010 bei der Love Parade in Duisburg. Aber die Ukrainer*innen bleiben geduldig, skandieren weiter fleißig ihre Parolen und fangen sogar an zu singen. „Chervona Ruta“ – dieser Ukraine-Schlager, den auch unsere Chorleute in München schon so oft für die Community in Kyjiw, Odesa und München gesungen haben. Es ist bewegend, wie sie da alle geduldig stehen, singen, sich in den Armen liegen. Ja, komisch, aber die Metro ist heute ein safe space. Überall stehen Polizist*innen, hier kann nichts passieren.
Verstohlene Küsse in der U-Bahn
Eine halbe Stunde warten wir auf einen Zug, den man eigens für uns abgestellt hat. Wir werden reingestopft, bis keine*r einen Pieps mehr machen kann. Abstand in Pandemie-Zeiten? Keine Chance. Geduldig ertragen wir unser Schicksal, wieder: überall Polizei, safe space, Umarmungen, aber totale Stille. Alle wollen nur raus aus der Stadt.
Als wir in Obolon ankommen, dem Ort, wo ein Polizist 2015 beim KyivPride fast verblutet wäre, als uns die Rechten mit ihren Fire-Crackern angegriffen haben, steigen wir zügig aus. Damals liefen hier Szenen wie im Bürgerkrieg ab. Überall knallte es, Rauch, Prügeleien; die Jagd auf LGBTIQ* war eröffnet. Ein Strom von Leuten ergießt sich auch jetzt in das Stadtviertel, aber alles bleibt ruhig. Die meisten steuern auf die große Shopping Mall zu, wo sie sich in den Cafés und Restaurant verteilen. Wir folgen ihrem Beispiel und warten, bis sich die Lage beruhigt hat.
Aber eine Safari von Rechtsradikalen sollte es den ganzen Tag nicht geben. Da hat sich doch was verändert, oder nicht? Happy Pride!
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