PRIDE WEEK Münchner unterzeichnen Kooperationsvereinbarung mit Kyiw

Signees Declaration of Cooperation

Kyiwerinnen und MünchnerInnen vereint im Kooperations-Glück. Nach einem Jahr ist die Zusammenarbeit jetzt auch offiziell besiegelt. Foto: Bernd Müller.

München, 09. Juli 2013 – Jetzt ist es offiziell, besiegelt und erledigt. Die Münchner LGBT-Organisationen haben am Dienstag, 9. Juli, während der Pride Week die Declaration of Cooperation mit Kyiw unterzeichnet. Kurz vor Beginn der Podiumsdebatte „Pride but not proud“ hatten sich im Sub 19 Gruppen eingefunden, um den Vertrag zu unterschreiben. Weitere haben Interesse angemeldet wie die Philhomoniker. Die Kyiwer LGBT-Organisationen hatten das Papier schon im Mai während der Kyiwer Pride Week signiert. „Das ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für die Bewegung“, scherzte Moderator Peter Jungblut vom Bayerischen Rundfunk. Der Mann hat recht: Seit einem Jahr kooperiert die Kyiwer und Münchner Lesben- und Schwulen, Bisexuellen- und Trans-Szene, koordiniert von der Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer. KyivPride und CSD München sind eine gesonderte Beziehung eingegangen.
Declaration of Cooperation

19 Gruppen aus Deutschland, acht aus der Ukraine haben die Declaration of Cooperation unterzeichnete – ein Versprechen an die Zukunft. Bild: Conrad Breyer

Zu den Kooperationspartnern gehören in München die CSD-Trägervereine Lesbentraum LeTRa, Münchner Aids-Hilfe, Rosa Liste und das Schwulenzentrum Sub. Das Daneben (Subkultur für Frauen und Transgender), Diversity (Jugend), das Forum Homosexualität (Geschichtswerkstatt), der Gay Outdoor Club GOC, Gay & Gray, der Tennisclub InsideOut Munich, der MLC inklusive Bavarian Mr. Leather, Team München (Sport), TransMann, Queeramnesty, die StudentInnen-Gruppe QueerCampus, das Film-Netzwerk Queerelations und VelsPol Bayern (Polizei) stehen den Kyiwer*innen ebenfalls zur Seite. In Kyiw sind in erster Linie die Organisationen Fulcrum (Männer: Öffentlichkeitsarbeit, HIV-Prävention), Gay Alliance (Männer: Zentrum, HIV-Prävention, Beratung), Gay Alliance Ukraine (LGBT: Mobilisierung, Öffentlichkeitsarbeit, HIV-Prävention), Gay Forum Ukraine (LGBT: Mobilisierung, Öffentlichkeitsarbeit/PR), Insight (Frauen/Transgender: Zentrum, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit) und Nash Mir (LGBT: Öffentlichkeitsarbeit, Forschung, Trainings, Dokumentation) eingebunden. Auch mit New Wave aus Kherson (Frauen/Regenbogenfamilien: Mobilisierung, Gesundheit, Beratung, Öffentlichkeitsarbeit/PR) arbeiten die Münchner*innen zusammen.
Pride but not proud

Nach der Unterzeichnung widmeten sich die Aktivistin und die Aktivisten aus Kyiw in einer Podiumsdebatte den Fragen des Publikums. Grafik: Frank Zuber.

Dass sich jetzt alle dazu bereit erklärt haben, dies auch schriftlich zu fixieren, zeigt, dass das Thema Kyiw der Münchner Szene ein Anliegen ist. „Wir wollen die Menschenrechtssituation in beiden Ländern verbessern“, sagt Conrad Breyer von der Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer, vor allem aber natürlich in der Ukraine. Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender leben versteckt; aus Angst vor Übergriffen, Benachteiligungen am Arbeitsplatz haben sie sich eingerichtet, sind so aber jederzeit der Willkür einer homophoben Gesellschaft ausgesetzt. Mit dem KyivPride, der am 25. Mai 2013 erstmals – auch mit Unterstützung einer Delegation aus München – stattfinden konnte, hat sich die Situation zweifelsfrei ein wenig geändert. Ukraines Präsident Viktor Janukowitsch lobt die LGBT- als Menschenrechtsbewegung, die Menschenrechtsbeauftragte des Landes will Lesben und Schwule gesetzlich besser schützen. Dieser Tage kursiert außerdem das Gerücht, der Gesetzesentwurf gegen so genannte Gay-Propaganda (0945/8711) sei zurückgezogen worden. Das wäre, sollte es sich bewahrheiten, eine Sensation und eine großer Erfolg der LGBT-Bewegung im eigenen Land. Auf der anderen Seite hat das Parlament die Verabschiedung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes verschoben, das auch sexuelle Minderheiten am Arbeitsplatz schützen soll. Im Zuge der Verhandlungen über eine Visa-Erleichterung mit der EU ist dieses Gesetz Pflicht. Auch ist die Gegnerschaft aus Nationalisten und Kirchen nach wie vor stark. Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer wissen schlicht nichts über Homosexualität, glauben, Lesbisch-, Schwul-, Transsein sei ein Lifestyle, eine Ideologie vielleicht, die man annehmen und ablegen kann, wie frau oder man will.
2013-05-27_Komsomolskaja_Pravda_Perwej_Gay_Parad

Die ukrainische Presse berichtete wohlwollend über den KyivPride.

Die Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Münchens Partnerstadt und in der Ukraine bleibt insgesamt bedrohlich. Das berührt alles Münchnerinnen und Münchner; sie wollen helfen, sich solidarisch zeigen, sich engagieren. Allein am Dienstag sind wieder 160 Euro an Spenden für die Arbeit der Kontaktgruppe eingegangen. Wir danken allen Geber*innen ganz herzlich dafür. Mit dem Geld finanziert Munich Kyiv Queer gemeinsame Münchner-Kyiwer Kulturprojekte, den fachwissenschaftlichen Austausch und eine gemeinsame PR- und Öffentlichkeitsarbeit. Eine Übersicht über unsere Projekte und Aktionen findet Ihr hier. Die Podiumsdiskussion „Pride but not Proud“ die am 9. Juli in der Müllerstraße 14 in Kooperation zwischen Munich Kiev Queer, KyivPride, CSD München, forumNet.Ukraine und Sub stattgefunden hat, verfolgten etwa 50 Leute. Die Münchner Regenbogenstiftung hat den Abend gefördert. Ein herzliches Dankeschön gebührt allen Partnern. Nach einer Einführung in das politische System der Ukraine vom LMU-Lehrbeauftragten Peter Hilkes gab Conrad Breyer eine Übersicht über die rechtliche und gesellschaftliche Situation für LGBT in der Ukraine, die – wie beschrieben – nach wie vor zweischneidig ist. Bilder und ein Film vermittelten schließlich die ganze Atmosphäre und, wie Stadträtin Lydia Dietrich (Grüne) später auf dem Podium sagen sollte, die „emotionale Achterbahn“, die die anwesenden LGBT-AktivistInnen und die Delegation aus München während der PrideWeek in Kyiw durchfuhr. Immer ging es um die selben Fragen: Findet der Pride statt, wann und wie, wird die Polizei ihn schützen, wie reagieren die Gegnerinnen und Gegner, werden wir verletzt?
LFT

Eines der Projekte für die Zukunft: Die Ausstellung von Natalia Roi, „Kein Recht, sie selbst zu sein“, noch vom Lesbenfrühlingstreffen bekannt, soll bald im Gasteig laufen.

Die anschließende Debatte, frisch moderiert von Peter Jungblut, brachte Klarheit über den historischen Erfolg des Pride, in der Gesellschaft und der Kyiwer Szene. Die Diskussion, an der neben Lydia Dietrich auch die Künstlerin Naomi Lawrence teilnahm, die wie Lawrence im Mai in Kyiw war, und die Pride-MacherInnen Olena Semenova, Taras Karasiytschuk, Stanislaw Mischtschenko und Volodymyr Naumenko, zeigte aber auch, dass sich die LGBT-Community in der Ukraine erst noch finden, innere Konflikte überwinden muss. Nicht alle Lesben und Schwulen sind ja mit dem Phänomen Pride einverstanden, ziehen einem freien ein vermeintlich ruhiges Leben im Versteck vor, weil sie einen „Krieg“ mit der Gesellschaft fürchten. Nicht alle Aktivist*innen waren auch dafür, den Pride im geschlossenen Rahmen ausschließlich für registrierte Teilnehmer*innen zu veranstalten. Dies geschah 2013 aus Sicherheitsgründen, 2014 soll er für alle offen sein.
KyivPride

Auf Antrag der Grünen und Rosa Liste (im Bild: Lydia Dietrich und Hep Monatzeder) soll die Kyiw-Arbeit in München vom Stadtrat finanziell unterstützt werden.

Die Community vor Ort wird sich im kommenden Jahr, so KyivPride-Chairman Karasiytschuk, besser mobilisieren lassen. 2013 waren noch 50 Prozent der Teilnehmer*innen aus dem Ausland. „2014 werden mehr vor Ort sein, denn sie haben gesehen, dass uns die Polizei schützt. Auf der anderen Seite muss klar sein, dass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer das Risiko eingeht, sich schlagen zu lassen.“ Neben dem Pride, da waren sich alle DebattandInnen einig, müssen die sieben großen LGBT-Organisationen des Landes unbedingt auch unter dem Jahr mit Demonstrationen und Aktionen – auch kultureller Art – bemerkbar machen. „Wir wollen zeigen, dass es uns gibt“, sagt Olena Semenova, Pressesprecherin des KyivPride. Schon zum International Day against Homophobia am 17. Mai sei das ganz gut gelungen. In verschiedenen Städten der Provinz gab es Flash Mobs und Pressekonferenzen; die Medien berichteten neutral bis wohlwollend – „Das ist ein großer Erfolg“, sagt Semenova. Überhaupt habe der Pride schon übers ganze Jahr die Zusammenarbeit mit Aktivist*innen in den unterschiedlichen Regionen des Landes deutlich verbessert und so positive Abstrahleffekte auf die Bewegung gehabt. „Hier müssen wir weiter machen“. Im September beginnen nun die Vorbereitungen für den KyivPride 2014. Im kommenden Jahr soll das Event offen für alle Teilnehmer*innen sein; um die 500 könnten es sein. Die Polizei hat sich in diesem Jahr sehr engagiert und hoch professionell gezeigt; das Thema passte zur politischen Agenda der Ukraine, die im Herbst ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen will. Wird es auch 2014 so sein? „Das kann man nie sagen“, betont Volodymyr Naumenko, der im Organisationsteam des KyivPride die Sicherheits-Leute angeleitet hat. „Aber sie haben in diesem Jahr viel von uns gelernt und nehmen uns jetzt ernst. 2012 hat die Polizei noch gefragt, warum wir mit Stöckelschuhen und rosa Boas auf die Straße wollen. Jetzt wissen sie, worum es wirklich geht: um Menschenrechte.“ Mit der Stadt Kyiw sei es ein bisschen anders – der Stadtrat traut sich nicht, klar Stellung zu beziehen. Er war es ja auch, der vor Gericht gezogen ist, um den KyivPride in der Innenstadt zu verbieten, weil dort zur gleichen Zeit das Stadtfest stattfand.
Declaration of Cooperation 2

Ein kleiner Schriftzug für die Menschheit…

Gerade hier, sagt Lydia Dietrich, könne München ansetzen. Wenn die Landeshauptstadt, insbesondere auch der Stadtrat, den Pride immer wieder unterstützt, immer wieder hinfährt, wenn man die Kyiwer Stadtvertreter*innen ins Gespräch einbezieht, vielleicht sogar nach München einlädt, könne sich vieles ändern. „Viele sind jung, interessiert, wissen schlicht nichts über Homosexualität“, sagt die Grünen-Politikerin. Das Engagement der Münchnerinnen und Münchner, von Dietrich und dem Sub-Berater Sascha Hübner 2012 angestoßen, habe sich in diesem Jahr voll ausgezahlt. „Das größte Lob gebührt aber unseren Kyiwer Freundinnen und Freunden“, betont Dietrich. „Sie haben das alles organisiert, sie leben auch vor Ort. Wir fahren ja immer wieder nach Hause.“ Mehrmals brandete an diesem Abend im Publikum Applaus für die tapferen KämpferInnen aus Kyiw auf.
Gruendungsurkunde_1989_Kronawitter_und_Sgurski

Offiziell hat alles 1989 so angefangen zwischen den Bürgermeistern Georg Kronawitter und Sgurski. Heute unterzeichnen die LGBT-Gruppen.

Der Münchner Stadtrat unterstützt die Kyiw-Arbeit der Münchner Szene auf Antrag von Grünen/Rosa Liste seit diesem Jahr im Übrigen auch finanziell; das Engagement kann also weiter gehen – auch unterhalb des Jahres. Die CSD München GmbH und die Kyiw-Kontaktgruppe haben konkrete Pläne, erstmals für den Münchner CSD am Samstag (Lawrence: „Das ist eine Überraschung“), für eine Ausstellung mit Naomi Lawrence in Kyiw nebst Konzert mit QueenBaba, eine weitere Foto-Schau einer ukrainischen, lesbischen Künstlerin in München, einer Schulung von Ehrenamtlern und psychosozialen Berater*innen aus Kyiw in München, gemeinsamen Sportveranstaltungen uvm. Wie sich eigentlich die Klitschko-Partei UDAR verhalten habe, will schließlich noch jemand aus dem Publikum wissen. Die gelte ja als europafreundlich und ausgesprochen liberal. „Wir sind enttäuscht“, sagt Stanislaw Mischtschenko, International Secretary des KyivPride. Er übrigens hat während des KyivPride sein ganz persönliches Coming-out erlebt; seine Mutter hat ihm im Fernsehen gesehen. Anfangs habe die Community ihre Hoffnungen auf den ehemaligen Boxer gesetzt, der ja in Deutschland höchste Wertschätzung genieße. „Jetzt aber paktiert er in der Opposition mit der rechtsradikalen Partei Swoboda und äußert sich nicht zu LGBT-Rechten.“ Ein Thema, dass die Kontaktgruppe in Deutschland mal aufgreifen sollte, schlägt er noch vor. Eine gute Idee, findet das Publikum. Auf die Kontaktgruppe, mit ihren vielen engagierten und ideenreichen Mitfrauen und Mitgliedern, kann da noch einige Arbeit zukommen. „Warum auch nicht; wir haben große Freude daran“, sagt Breyer. „Einstweilen steht für uns aber fest: Im kommenden Jahr werden wir wieder nach Kyiw zum Pride fahren und auch davor. Viele Münchnerinnen und Münchner haben uns dafür schon unsere Unterstützung zugesagt.“ Denn auch zwischen CSD und KyivPride gilt: „Human Rights are my Pride“. Zurück zur Übersicht