Adventliches Jodeldiplom
Munich Kyiv Queer hat wie beim letzten Lockdown queere Chöre aus Edinburgh, München und Odesa zum digitalen Meet-up geladen.
von Stephanie Hügler
„Danke, dass Ihr diese Probe organisiert habt. Durch Quarantäne und andere Hindernisse haben wir uns so lange nicht mehr zum Singen getroffen“, sagt Olga Rubtsova, als wir uns auf Zoom wie schon im letzten Winter zum virtuellen Weihnachtslieder-Singen treffen. Es ist der 28. November.
Olga ist die Chorleiterin von QWERTY QUEER, einem LGBTIQ*-Chor aus Odesa. Gemeinsam mit ihren vier Sänger*innen sitzt sie auf einer Couch in der Ukraine – und wir anderen rund 45 Chorleute aus Deutschland, Schottland und anderswo in der Ukraine schauen von unseren jeweiligen Bildschirmen aus auf ihren Proberaum.
Beleuchtet von bläulichen Lichterketten (o.) und in ihren bunten Pullis strahlen die fünf mit ihrer Weihnachtsdeko um die Wette. Wir freuen uns so sehr, sie wiederzusehen. Zuletzt haben wir im vergangenen März zusammen gesungen.
Der Gedanke zählt, nicht die Deko
Auch Kathleen Cronie (u.), Chorleiterin von „Loud & Proud“ in Edinburgh, und einige ihrer schottischen Sänger*innen haben sich in Schale geworfen: mit rot-weißen Weihnachtsmannmützen auf dem Kopf, einer festlichen Kerze im Vordergrund und Lichterketten um den Hals versetzen auch sie uns am Bildschirm gleich in adventliche Stimmung.
Nur wir Deutschen kommen im Vergleich leider ziemlich schmuck- und phantasielos daher.
Ganz klischeemäßig deutsch haben wir, Stefan Block, Samantha Seymour und ich, uns besonders auf die Organisation konzentriert und fallen beim Outfit eher durch. Mary Ellen Kitchens (u.), Leiterin des Münchner Regenbogenchors, aber hat dafür ein eigenes Quartett in ihrem Proberaum zusammengetrommelt.
Unter Einhaltung sämtlicher Impfanforderungen und Mindestabstände, aufgenommen von einem zentralen Mikrophon und mehreren Kameras, singen sie für uns zwei wunderschöne deutsche Weihnachtslieder und sorgen für besinnliche Stimmung.
Vereint durch die Pandemie
Und dann wird gejodelt, und zwar von allen. Egal, wo wir sitzen – ob in Bayern, Schottland oder der Ukraine – beim „Andachtsjodler“ spielen Sprachkenntnisse keine Rolle. Tjo tjo-i-ri, tjo tjo-i-ri . Das quält unsere Schott*innen und Ukrainer*innen weniger als schwer auszusprechende deutsche Umlaute. Beim geschmeidigen bayerischen Adamsapfelsport, unterstützt vom einen oder anderen Glühwein, singt man sich außerdem fast ganz von alleine ein.
Das Ziel dieses Meetings: uns gegenseitig unsere volkstümliche, festliche und adventliche Musik und unsere jeweiligen Kulturen nahezubringen, ohne uns an sprachlichen Hürden festzubeißen. Denn wir wollen vor allem eins: Spaß beim Singen haben.
Glühwein, Dopamin und ganz viel Liebe
Es geht nicht darum, uns zu verkünsteln oder einen Sangeswettbewerb zu gewinnen. Wir möchten von einander lernen und uns unserer gegenseitigen Solidarität in diesen für alle schweren Pandemiezeiten versichern.
Das ist bei einer Online-Probe per Zoom zwar nicht so einfach, als wenn man sich trifft: Wegen der zeitlichen Verzögerung müssen wir alle stumm geschaltet sein. An unseren Bildschirmen zu Hause singen wir nur für uns selbst. Doch durch die uns begleitenden Quartette oder Playbacks und die humorvollen Einwürfe unserer musikalischen Leitungen haben wir trotzdem das Gefühl, Teil eines großen Ganzen, einer Gemeinschaft, zu sein.
Unter Mary Ellens Leitung lernen wir das deutsche Volkslied „Vom Himmel hoch o Englein komm“. Dank Google haben wir einen englischen Text dazu gefunden. Wer also beim Deutschen aussteigt, steigt einfach auf die englische Variante um.
Das Gleiche gilt für das ukrainische Volkslied „Schtschedryk“, das Olga und ihr Chor mit uns einstudieren und das in West-Europa als das Weihnachtslied „Carol of the bells“ bekannt ist. Zwischendurch wird viel gelacht, wenn man sich mal verspricht oder der Glühwein zuschlägt oder das Dopamin und andere körpereigenen Glücks-Botenstoffe, die beim Singen ausgeschüttet werden.
Reise ins Weihnachtswunderland
Kathleen Cronie, Leiterin des schottischen Chors „Loud & Proud“ aus Edinburgh, hat sich das Lied „Lady of Autumn“ ausgesucht. Es ist zwar kein Weihnachtslied, besingt aber die warme Sonne, die Platz macht für den Schnee und das Licht, das sich im Winter verändert.
Wie tröstlich, dass auch ein Corona-Winter solche schönen Aspekte hat. Die harmonische Melodie lullt uns ein und verschafft uns vor den Bildschirmen ein warmes, kuscheliges, sehr adventliches Gefühl. Mit „O Tannenbaum“ in unseren verschiedenen Sprachen verabschieden wir uns schließlich voneinander. Wer sich traut, kommt dabei noch zu einem kleinen Solo, indem er oder sie das Mikro kurz anschaltet und den anderen vorsingt.
Eine große queere Familie
Am Ende der gut dreistündigen Probe haben wir alle ein bisschen das Gefühl, in ein anderes Land gereist zu sein und dort einen Weihnachts-Urlaub gemacht zu haben. Wir haben andere Lieder kennengelernt und andere Menschen getroffen.
Wir haben uns mit Glühwein zugeprostet und uns am Kerzenschein und den Lichtern der anderen erfreut. Und wir hatten einmal mehr das Gefühl: Trotz Pandemie und allem, was uns räumlich trennt, gehören wir doch alle als große LGBTIQ*-Familie zusammen.
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