Geteiltes Leid. Blog aus Schytomyr
Die Probleme, mit denen LGBTIQ* in Osteuropa konfrontiert sind, waren in den vergangenen zehn Jahren häufig Gegenstand der Berichterstattung westlicher Medien. Es ging um fehlende Gleichberechtigung, Gewalt, Selbstablehnung, psychische Erkrankungen, die unweigerlich zu sozialen Problemen führten, im Job, im Umgang mit Freund*innen und Familie, beim Geld.
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Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen ist da vielleicht die einzige, wirksame Möglichkeit, sich für die Rechte schutzbedürftiger Gruppen einzusetzen. Die LGBTIQ*-Organisation „Du bist nicht allein“, die Alexandra S. leitet, wurde 2010 gegründet. Nach einer längeren Pause wurde die NGO im Dezember 2021 wiederbelebt und setzt sich seitdem aktiv für die Entwicklung der Community in der ukrainischen Stadt Schytomyr ein.
Mit der russischen Invasion war die Organisation gezwungen, sich neu zu erfinden. Inzwischen konzentriert sich „Du bist nicht allein“ auf die Unterstützung von LGBTIQ*, die vom Krieg betroffen sind. Menschen also, die ein geringes oder gar kein Einkommen mehr haben und Schwierigkeiten, ihre Grundbedürfnisse zu stillen wie Lebensmittel, Medikamente. Andere überlegen, zu fliehen, und benötigen auch dafür Hilfe.
Geschichten von Trauer und Herzlichkeit
Die Unterstützung aus dem Ausland erwies sich dabei als äußerst hilfreich: Wichtige Geber reagierten schnell, erklärten sich einverstanden mit der Bereitstellung von Finanzmitteln, so dass „Du bist nicht allein“ Hunderte von Lebensmittelpaketen, Medikamenten und natürlich auch Geld an Bedürftige weitergegeben konnte.
Die Menschen, die ihre Hilfe erhielten, haben der Organisation Dankesbriefe geschrieben, die wir hier veröffentlichen. Aber nicht alle wollen ihre Gesichter und Namen bekannt machen. Wir präsentieren hier ihre Geschichten zum Teil anonym; die Namen haben wir geändert. In den Erzählungen der Betroffenen, die mit dieser Hilfe wirklich nicht gerechnet hatten, erfahren wir vom Leid, aber wir finden auch viel Wärme darin und Hoffnung auf ein Leben, in dem wir sein können, wie wir sind.
Valentin, schwul, Psychologe aus Schytomyr
Als in der Nacht zum 24. Februar in der Nähe von Schytomyr die ersten Bomben fielen, mussten viele Menschen die Stadt verlassen. Valentin wurde drei Tage nach Kriegsbeginn nach Dovbysh evakuiert, wo es ihm an Lebensmitteln und Medikamenten fehlte.
Es gab einfach keine Möglichkeit, in den Geschäften etwas zu kaufen. Unsere Organisation „Du bist nicht allein“ erwarb hier in Schytomyr alles, was er brauchte, und schickte es ihm.
Ehrlich gesagt, waren wir, als wir ihm ein Paket mit der Post sandten, nicht sicher, ob es ihn jemals erreichen würde, aber Gott sei Dank tat es das. Wir helfen Valentin und seiner Familie weiterhin, unter den schwierigen Lebensbedingungen zu überleben.
Marta und Olya, ein lesbisches Paar, seit sechs Jahren zusammen. Sie haben zwei Kinder, zwei und 18 Jahre alt. Aus Bila Zerkwa
Marta und Olya leben in Bila Zerkwa und haben zwei Kinder. Die jungen Frauen wohnen in einer Mietswohnung und haben ihre Jobs verloren. Sie haben kein Geld, um ihre Miete und ihren Lebensunterhalt zu bezahlen. Es ist sehr schwer, unter solchen Bedingungen mit einem kleinen Kind zu überleben. In der Nähe der Stadt gibt es ständig Kämpfe und Schießereien.
Unsere Organisation unterstützt Marta und Olya mit Geld, mit dem sie Lebensmittel, Medikamente und das Nötigste zum Leben kaufen können. Vor Kurzem konnte Marta, die Mutter des Kindes, dank Hilfe aus Deutschland ein kleines Zelt kaufen, in dem die kleine Prinzessin sicher sitzt und die Sirenen und Schüsse nicht hört. Das Baby braucht spezielle Nahrung, die schwer zu finden ist.
Wir halfen mit Benzin, damit Marta in der Stadt herumfahren konnte, um das richtige Essen für ihr kleines Mädchen zu finden. Wir haben sie auch bei der Miete unterstützt, damit die Familie nicht auf der Straße schlafen musste. Die Wohnung war beschädigt, Marta kaufte alles, was sie für die nötigsten Reparaturen brauchte, da das Baby unter diesen Bedingungen nicht leben kann.
Kürzlich hat Olga, Martas Freundin, beschlossen, nach Polen zu gehen, um Geld zu verdienen. Wir halfen Olga mit Geld, sie kaufte die notwendigen Dinge und Lebensmittel, ging ins Ausland, um ihrer Familie irgendwie zu helfen. Vielleicht wird Olga in Zukunft die ganze Familie an ihren neuen Wohnort holen. Wir helfen der Familie weiterhin und bleiben in Kontakt.
Oleg, schwul, aus Wassylkiw, Region Kyjiw
Olegs Stadt wird fast jeden Tag bombardiert. Er ist dort ganz auf sich allein gestellt. Oleg ist 48, kommuniziert mit seinen Verwandten nicht, da sie seine sexuelle Orientierung nicht akzeptieren. Einige seiner Familienmitglieder leben im Ausland, Oleg hat keine ukrainische Staatsbürgerschaft, nur eine Aufenthaltsgenehmigung.
Vor einigen Jahren wurde bei Oleg Krebs diagnostiziert, der zwar erfolgreich behandelt wurde. Aber Oleg hat Angst, dass der Stress, dem er ausgesetzt ist, einen Rückfall verursacht. Unsere Organisation half Oleg beim Kauf von Lebensmitteln, Medikamenten, notwendigen Haushaltsartikeln. Wir versuchen ständig, mit ihm in Kontakt zu bleiben, um ihm finanziell zu helfen und moralisch zu unterstützen.
Tanya, eine lesbische Frau, ihre Mutter und zwei Kinder, aus Mariupol
Die Familie hat keine Wohnung mehr, sie brannte nach Luftangriffen vollständig nieder. Seit dem 2. März war sie nicht mehr online. Am 23. März schrieb Tanya an Alexandra S., dass sie in einem Luftschutzbunker sitze und es heute eine Evakuierung geben könnte. Ihre Mutter und zwei Kinder seien bei ihr, der Vater vermisst.
Tanya und ihre Familie wurden nach Berdyansk evakuiert. Sie erzählte mir am Telefon, dass sie gerade schliefen, als der Beschuss ihres Hauses begann. Tanya, ihre Kinder und ihre Mutter rannten in ihren Schlafanzügen auf die Straße, ohne Dokumente oder Geld. Sie hatten einfach keine Zeit, etwas mitzunehmen.
Am nächsten Tag wolle Tanya sehen, was mit ihrer Wohnung passiert war, um wenigstens die Ausweise zu holen. Sie rannte hin, und sah die Leichen ihrer Nachbarn. Sie fand keine Dokumente und musste zurück in den Luftschutzkeller.
Unsere Organisation hat Tanya einen Geldbetrag überwiesen, so dass sie Kleidung, Lebensmittel und Medikamente kaufen konnte. Jetzt sind Tanya und ihre Familie in der Schweiz bei ihren Verwandten in Sicherheit.
Victor, schwul, 62 Jahre alt, aus Tschernihiw
Tschernihiw steht unter ständigem Beschuss, fast wie Mariupol. In einigen Stadtvierteln gibt es gar keine Wärme-, Strom- und Wasserversorgung mehr.
Die Menschen können noch irgendwie Lebensmittel kaufen, aber selbst in den Brotschlangen wird oft auf sie geschossen.
Victor hätte schon in den ersten Kriegstagen ausreisen können, da er über 60 ist, aber er konnte seine fast 90-jährige Mutter nicht mitnehmen, und jetzt steckt er mit ihr fest.
Vom 10. bis 21. März hat er sich nicht gemeldet, und wir waren sehr besorgt. Wir halfen Victor und seiner Mutter mit Medikamenten, Lebensmitteln und allem, was sie brauchten. Im Moment ist die Evakuierung eine große Herausforderung für beide, also bleiben wir in Kontakt.
Ljudmila, eine lesbische Frau, ihre Tochter und zwei Enkelkinder. Owrutsch, Region Schytomyr
Ljudmila und ihre Verwandten waren vom 25. Februar bis zum 12. März in einem Keller untergebracht. Die Kinder waren völlig erschöpft. Sie konnten nachts nicht schlafen.
Am 13. März wandte sich Ljudmila an uns und bat um Hilfe. Seit diesem Tag ist es in der Stadt etwas ruhiger geworden, Lebensmittelgeschäfte und Apotheken haben wieder geöffnet. Wir halfen mit Geld, so dass Ljudmila Lebensmittel und Medikamente für zwei Wochen kaufen konnte. Am 24. März half unsere Organisation Ljudmila und ihrer Familie, nach Polen zu gehen. Sie sind jetzt in Sicherheit.
Nowohrad-Wolynsky: 19 Personen, darunter zwölf Schwule, vier Lesben, drei Heteros
Alexander bat uns in einer Nachricht um finanzielle Unterstützung für Lebensmittel, Medikamente und Benzin, um sich auf die Evakuierung vorzubereiten. Sie lebten eine Woche lang in einem Haus (19 Personen), schliefen auf dem Boden und versteckten sich bei Luftalarm im Keller.
Wir unterstützten sie mit Geld. Damit haben sie Lebensmittel, Medikamente, Matratzen und Benzin für drei Autos für den Fall einer Flucht gekauft. Sie haben viel geweint und waren sehr dankbar für unsere Hilfe. Am 28. März wurden vier Mädchen nach Polen gebracht, acht Personen gingen an einen sicheren Ort und mieteten ein Haus. Wir versorgten sie mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs.
Die anderen sind in der Nähe von Novograd Volynsk untergebracht, wo sie mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt werden. Wir bleiben mit allen in Kontakt und helfen ihnen ständig.
Vadim und Andrey, schwules Paar, aus Kyjiw, lebten früher in Schytomyr
Unsere Organisation begann ihnen bereits in den ersten Kriegstagen zu helfen, als Kyjiw zwei Tage lang blockiert war und keine Lebensmittel dorthin geliefert werden konnten. Die Jungs hatten keine Vorräte, sie konnten einfach nicht glauben, dass so etwas wie Krieg und Hunger möglich sind.
Die nächste Hilfstranche teilten sie mit einer lesbischen Freundin, die ebenfalls Lebensmittel benötigte. Das Leben in Kyjiw wurde immer unerträglicher und sie beschlossen, nach Kropyvnytskyi zu fahren. Leider haben wir auch von dort sehr schlechte Nachrichten bekommen. Wir versuchen weiterhin, Vadim und Andrey mit Lebensmitteln und allem, was nötig ist, zu helfen.
Ira, Masha, ein Ehepaar, und ihre drei Kinder, aus Schytomyr
In den ersten Kriegstagen zogen sie in ein Haus, 15 Kilometer von Schytomyr entfernt. Sie hatten keinerlei Lebensmittel bei sich, eigentlich nichts. Wir organisierten die Versorgung mit Essen und Medikamenten.
Etwa zwei Wochen lang lebten das Ehepaar und seine Kinder dort, und wir halfen ihnen ständig mit allem, was sie brauchten. Als die Bombardierung der Außenbezirke von Schytomyr begann, beschlossen sie, zu ihren Verwandten in der Region Lviv zu fahren.
Wir kauften alles, was sie dafür brauchten, besorgten ein Transportmittel und leisteten finanzielle Hilfe, um sie an einen sicheren Ort zu evakuieren. Die Familie ist jetzt in Sicherheit.
Alyona, Oksana, Valya, Sasha, zwei lesbische Paare
Die Frauen stammen aus Tschernihiw. Sie kamen erst vor Kurzem nach Schytomyr und wollten mindestens einen Monat hier bleiben, um sich zu erholen und zur Ruhe zu kommen. Fast einen Monat lang lebten sie in einem alten Haus zehn Kilometer von Tschernihiw entfernt, wo es keine Heizung gab und der Strom regelmäßig abgeschaltet wurde.
Ständig flogen Kampfjets in der Nähe des Hauses herum und bombardierten es. Diese ganze Zeit haben wir versucht, ihnen zu helfen, auch wenn es Probleme mit der Lieferung gab.
Gestern mieteten wir eine Wohnung und kauften den jungen Frauen alles, was sie brauchen: Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsartikel, Medikamente. Die vier werden sich ein wenig erholen und planen, nach Polen auszureisen.
Geschichten aus der Hölle mit Happy End
Wir sind wirklich glücklich, wenn es uns gelingt, Menschen aus dieser Hölle zu befreien. Und es gibt tatsächlich Hunderte solcher Geschichten; wir werden sie jede Woche weitergeben.
Wir danken Euch allen für Eure finanzielle Unterstützung, die gute Zusammenarbeit und die schnelle Reaktion auf die Bedürfnisse der LGBTIQ*-Community in Schytomyr und der ganzen Ukraine.
Ohne Euch wären all diese Geschichten ohne Happy End geblieben.
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