FundReise Tag 8 – Odesa
Sibylle hat sich spontan entschlossen, nach Odesa zu fahren. Sie kann eine Freundin von Kyjiw in die Stadt ans Schwarze Meer begleiten und nutzt die Gelegenheit. Odesa ist zuletzt schwer von russischer Artillerie getroffen worden. Über Monate wird es Probleme mit Strom, Heizung und Warmwasser geben. Wie ergeht es den Menschen dort?
Das ist der Blog von Sibylle von Tiedemann, Mitgründerin von Munich Kyiv Queer. Sie wollte nicht mehr nur zuschauen, was in der Ukraine passiert, und fuhr selbst hin. In Münchens Partnerstadt Kyjiw und Odesa besucht sie seit einigen Tagen unsere Freund*innen und Partner, sie berichtet und sammelt Spenden.
Strom: War da was?
Temperatur: überheizt
Spendenbarometer: 4.818,67 von 18.000 Euro
Besondere Vorkommnisse: Generatoren
Alle Blogbeiträge: Sibylles #FundReise nach Kyjiw mitten im Krieg
Jetzt also Odesa. Nachdem in Kyjiw alles so gut geklappt hat, denke ich schon seit einigen Tagen darüber nach, ob ich nicht noch etwas anderes sehen möchte. Jetzt bin ich eh schon in der Ukraine, über 2.000 Kilometer gefahren, und Kyjiw zeigt eben nicht das ganze Bild.
Als ich höre, dass Olha, die erst vor Kurzem bei mir in München zu Besuch war, von Kyjiw nach Odesa fährt, schließe ich mich kurz entschlossen an. In ihrem Nachtzugabteil ist noch ein Platz frei.
Natürlich (!) versuche ich abzuklären, ob eine besondere Gefahr besteht, die über das normale Risiko dieses Angriffskrieges hinausgeht. Ich kann kaum glauben, dass ich das hier so hinschreibe.
Ganz genau kann mir das allerdings niemand sagen. Vermutlich eher nicht, meinen alle. Bis auf die Tatsache, dass Odesa am Samstag erhebliche Schäden der Energie-Infrastruktur erlitten hat und auf Monate mehr oder weniger stromlos sein dürfte…
Am Kyjiwer Hauptbahnhof wird das Gepäck gescannt und die Passagiere müssen durch eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen. Unglaublich eindrucksvoll finde ich die Abfahrtstafel mit den russisch besetzten Städten.
Cherson wurde schon befreit, dorthin kann man bereits wieder fahren. Das ist die eigentliche Botschaft dieser Anzeige. Ein Versprechen für die Zukunft.
Ich teile allen meine Reisepläne mit…
Mit einer guten Freundin wie Olha sind sogar Nachtzüge gemütlich. Olha ist mit einem Kletter-Enthusiasten übers Wochenende ins Kletterzentrum nach Kyjiw gefahren und nimmt nun den Nachtzug zurück. Da ich niemanden im fernen Deutschland beunruhigen möchte, teile ich vorsorglich meinen kurzzeitigen Aufenthaltswechsel mit.
Die Idee: Für den Fall, dass etwas in Kyjiw passiert, sollen alle wissen, dass ich in Odesa bin. Und dann sind sie beruhigt, denke ich. Allerdings ist Odesa nun am Samstag massiv angegriffen worden. Strom, Heizung, Warmwasser fallen vermutlich für Monate aus und anstatt die Leute zu besänftigen, erreichen mich jetzt aufgeschreckte Nachrichten.
…und München ist in heller Aufregung
Den Gedanken, dass der Zug bombardiert werden könnte, stecke ich schnell bei Seite. Das ist unrealistisch und kam auch noch nicht vor.
Es ist schon ein bisschen bizarr. Ich sitze in einem Zug vermutlich mit lauter Menschen, die alle nach Odesa wollen. Ich höre große Geschichten über das Kletterwochenende in Kyjiw und aus München kommen besorgte Kurznachrichten, die mich von dieser Fahrt abhalten sollen.
Ich versuche also, nach München hin beruhigend zu wirken (immer in der Befürchtung, dass es allzu naiv wirkt), während die sportbegeisterte Olha meinen Montag in Odesa plant: Entweder eine Führung durch die Katakomben (als wäre es nicht schon dunkel genug) oder ein Trainingsabend im hiesigen Krav Maga Club. Wanja, ihr Kletterpartner, ist nämlich Exkursionsleiter für die Katakomben, während ich in München mit Hingabe seit Monaten Krav Maga trainiere.
In Odesa kommen wir pünktlich um 6.15 Uhr an, wie ich es von der ukrainischen Bahn nicht anders kenne. Olha nimmt mich zu sich in die Wohnung und merkt schon von Weitem an: „Oh, das sieht ja so aus, als gäbe es Licht in der Wohnung!“ Und tatsächlich, ohne auch nur im Entferntesten zur kritischen Infrastruktur zu gehören, hat ihr Zuhause Licht.
Olha macht mir zum Frühstück Kascha, einen warmen Getreidebrei. Das finde ich unglaublich lieb von ihr und deshalb nehme ich ein kleines VIDEO auf. Auch in der Hoffnung, mit dem Filmchen in München die Lage etwas zu beruhigen, wenn man dort sieht, dass wir hier letztlich auch nur einem normalen Tagesablauf nachgehen.
Olha fährt dann in die Arbeit und ich zu meinem Hotel. Der Bus ist unglaublich voll, da die elektrisch betriebenen Straßenbahnen ausfallen. Olha hat, nachdem sie ausgestiegen ist, noch einen Fahrgast instruiert, mir Bescheid zu geben, wann ich aussteigen muss. Der winkt mir dann noch freundlich durchs Busfenster hinterher.
Die Junior Suite kostet 18 Euro
Für Odesa wollte ich ein Hotelzimmer nehmen. Strandnähe oder WiFi sind allerdings in Kriegszeiten nicht so interessant für mich wie die Frage, ob es Licht gibt und wie es mit Bunkern aussieht. Auf den Hotelseiten finde ich nichts dazu. Also nehme ich einfach ein zentral gelegenes Hotel. Die Junior Suite gibt es für 18 Euro die Nacht. Kriegspreise.
„Ich weiß nicht, seit wann Sie im Land sind“, sagt der freundliche Rezeptionist und ergänzt: „Wenn Sie duschen möchten, sollten Sie das gleich tun. Gerade haben wir Strom, damit auch Licht und warmes Wasser, das kann sich aber schnell ändern.“ Kurz, aber wirklich nur kurz zucke ich zusammen. Das ist einfach ein Fakt, den man hinnehmen muss.
Odesa hat keine U-Bahn und verfügt deshalb auch nicht über ein Bunkersystem. An den Schaufenstern von diversen Geschäften wird daher auf die nächstgelegenen Schutzräume hingewiesen.
Seit den russischen Angriffen von Samstag hat Odesa vermutlich auf Monate hinaus ein erhebliches Problem mit der Stromversorgung. Da kann es schonmal passieren, dass man im Restaurant sitzt und plötzlich die Lichter ausgehen. Das zeigt das VIDEO hier.
Odesa hat aber auch Generatoren. Die bringen Licht, die machen Lärm, zum Teil stinken sie. Unser Spaziergang ist, wie hier im VIDEO zu sehen, nicht unbedingt lauschig, die Straßen trotzdem stockdunkel.
Stört mich das? Ehrlich gesagt schon. Sage ich etwas? Nein. Olha ist eine gute Gastgeberin und zeigt mir nach der Arbeit ihre Stadt.
Mit Stirnlampe schlendern wir so durch den Generatorenlärm und zumindestens ich verfluche die Russen inbrünstig.
Denke ich an den bevorstehenden Winter, wird mir Angst und Bange.
#FundReise #MunichKyivLove #18.000 Euro
Sibylle sammelt Spenden für
EINZELFALLHILFE Munich Kyiv Queer unterstützt mit einer eigenen, privaten Spendenaktion über www.paypal.me/ConradBreyer die Menschen in der Ukraine, mit denen wir in den vergangenen zehn Jahren eng zusammengearbeitet haben. Das ist direkt, schnell und gebührenfrei, wenn Ihr die Option „Geld an einen Freund senden“ wählt. Kennwort #FundReise. Wer kein PayPal hat, kann alternativ an das Privatkonto von Conrad Breyer, IBAN: DE42701500000021121454, Geld schicken. Wir helfen unsere Freund*innen und Partnern. Wir kennen sie persönlich und wir vermissen sie schmerzlich.
HILFE FÜR KRIEGSOPFER: KINDER, ALTE UND KRANKE MENSCHEN IN KYJIW UND UMGEBUNG Der Verein „Brücke nach Kiew“ unterstützt hilfsbedürftige Personen, insbesondere Kinder und kinderreiche Familien, finanziell schwache, gering verdienende und/oder auch Tschernobyl-geschädigte Personen in der Ukraine und hier insbesondere in Kyjiw – insbesondere über ein Pat*innen-Programm. Das Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe.
Empfänger: Brücke nach Kiew e.V.
Bank: Raiffeisenbank München Süd eG
IBAN: DE74 7016 9466 0000 0199 50
BIC: GENODEF1M03
Kennwort: #FundReise
Ab 200 Euro kann eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden.
HILFE FÜR LGBTIQ*-ORGANISATIONEN Wir haben zum Schutz von LGBTIQ* aus der Ukraine das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine mitgegründet. Ihm gehören um die 40 LGBTIQ*-Organisationen in Deutschland an. Sie alle haben ganz unterschiedliche Kontakte in die Ukraine und sind bestens vernetzt mit Menschenrechtsorganisationen vor Ort, die Gelder für die Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen brauchen. Spendet hier
Mehr Informationen: www.MunichKyivQueer.org/helfen
Zurück zur Übersicht