LGBT* in der Ukraine: Community online
Die COVID-Pandemie dominierte 2020 das Leben der Ukrainer*innen, auch das der LGBTIQ*-Community. Wegen der angeordneten Quarantänemaßnahmen fand die überwiegende Mehrheit der für dieses Jahr geplanten queeren Veranstaltungen online statt.
Doch selbst trotz widrigster Bedingungen gelang es den ukrainischen LGBTIQ*-Organisationen und Aktivist*innen, alle Möglichkeiten für eine effektive Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen.
Präsenz-Pride in Saporischschja
Siehe Prides: Obwohl das größte Event des Jahres, der Equality March in Kyjjiw, 2020 nur virtuell laufen konnte, lenkten die Veranstalter*innen mit spektakulären PR-Stunts die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Probleme der LGBTIQ*-Community im Land. Wir erinnen an die Beflaggung der Mutter-Heimat-Statue mit den Farben des Regenbogens mittels Drohne.
Die Aktionen in Odesa und Charkiw fielen deutlich bescheidener aus als früher. Die Demonstrierenden in Odesa sahen sich zudem gewalttätiger Angriffe ausgesetzt; ein Autokorso in Charkiw verlief dagegen friedlich. Saporischschja schließlich konnte den ersten Gleichheitsmarsch im Sommer als echten Präsenz-Pride durchführen – ein großer Erfolg.
Die Quarantänebeschränkungen führten im vergangenen Jahr naturgemäß zu einem starken Rückgang von Angriffen und Diskriminierung von LGBTIQ*: 188 gegenüber 369 Vorfällen im Vorjahr dokumentiert die NGO Nash Mir in ihrem Bericht. In anderer Hinsicht indes hat sich die Lage nicht grundlegend geändert: Rechtsradikale Gruppen versuchen nach wie vor, Events von LGBTIQ* zu stören. Und die Wirksamkeit der polizeilichen Schutzmaßnahmen war, so sie denn überhaupt zum Tragen kamen, wie stets gering.
Hervorzuheben ist jedoch die professionelle Arbeit der Polizei in Saporischschja, die in Zusammenarbeit mit den Pride-Organisator*innen für einen zuverlässigen Schutz der Veranstaltung sorgte.
Hasskriminalität auf Halde
Was die rechtliche Situation angeht, so hat es das Innenministerium mit einigen Jahren Verspätung endlich geschafft, einen Gesetzentwurf zur Kriminalisierung von Hassverbrechen auf Grundlage der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentitä zu erarbeiten, wie es im Aktionsplan für Menschenrechte für den Zeitraum bis 2020 vorgesehen war.
Sie hat diesen Entwurf jedoch nicht dem Kabinett vorgelegt, wie es eigentlich vorgesehen war. Ein Versuch, das Thema im Parlament zu behandeln, scheiterte ebenfalls: Drei alternative Entwürfe zur Änderung des Strafgesetzbuches fanden im zuständigen Parlamentsausschuss keine Unterstützung.
Der erste ukrainische Aktionsplan für Menschenrechte, der nach der Maidan-Revolution 2014 entstanden war, lief 2020 aus, aber das Justizministerium hat mit der Zivilgesellschaft einen neuen Aktionsplan für den Zeitraum bis 2023 entwickelt, der die wichtigsten nicht umgesetzten LGBTIQ*-Komponenten des vorherigen Dokuments erneut aufführt wie die Kriminalisierung von Hassverbrechen und die Einführung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Dieses Dokument wurde jedoch freilich bislang nicht verabschiedet.
Die Akzeptanz für LGBTIQ* steigt
Im Allgemeinen haben die staatlichen Stellen im Jahr 2020 keine wichtigen Entscheidungen zu LGBTIQ* in der Ukraine getroffen. Von den staatlichen Vertreter:innen schenkte nur das Büro des parlamentarischen Kommissars für Menschenrechte dem Thema größeres Augenmerk. Die Zuständigen reagierten stets prompt auf Hassreden gegen LGBTIQ* in den Medien, von Beamt*innen und Kirchenvertreter*innen.
LGBTIQ*-Themen spielten im Jahr 2020 also insgesamt keine besondere Rolle im öffentlichen Leben. Es ist jedoch erwähnenswert, dass Meinungsumfragen zufolge Toleranz und Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bi, Trans*, Inter* und Queers in der Ukraine langsam steigen.
Quelle: Nash Mir, „Community online„, 2021, Jahresbericht zur Situation von LGBTIQ* in der Ukraine
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