OdesaBlog IV: AKTIVist*innen URLAUB IN ODESA
Treue Seelen, treue Freundschaft. Schon im fünften Jahr unterstützen wir den OdesaPride. Dieses Jahr sind besonders viele Leute aus München vor Ort, denn parallel findet das Chorfestival Q-Fest statt. Unser Projektchor Monadessa singt mit. Aus der Stadt am Schwarzen Meer berichtet Lorenz Kloska.So, es ist vollbracht: Der OdesaPride hat stattgefunden, er war erfolgreich und wir, Sibylle und ich, hatten Teil daran.
Unser Start war etwas schwierig: Das Uber-Taxi kommt nicht, die App teilt uns mit: Fahrt wurde storniert. Hm, heißt ein neues rufen. Wir kommen also „kurz vor knapp“ an und dann auch noch am falschen Ort, nämlich oben am Boulevard, wo wir nach kurzem Taschencheck die Polizeikette passieren.
Der Treffpunkt jedoch, stellt sich heraus, war unten vereinbart. Aber so haben wir, wie etwa 30 Neugierige auch, wenigstens einen guten Blick auf die etwa 300 Teilnehmer, die bereits den Auftaktreden lauschen.
Jubel, als wir zu spät kommen
Nun aber schnell zur nächsten Treppe, das Banner von Munich Kyiv Queer ausgepackt und aufgeschlossen. Na, das ist mal ein Empfang, als wir verspätet endlich eintreffen: Jubel und Applaus schallen uns entgegen und noch sind wir nicht zu spät, denn die Auftaktkundgebung dauert noch an. Was mir auffällt: Es sind die Frauen, die hier sprechen, die Lesben*, die nicht nur die Leitung übernommen haben, sondern auch die Mehrheit der Demonstrant*innen stellen.
Der einzige Störer, der sich unter die Gruppe gemischt hat, ist hingegen ein junger Mann: „Keine Genderideologie an ukrainischen Schulen!“ schreit er immer wieder, auf Russisch und Englisch, und wirkt dabei etwas verloren, denn er ist zwar hartnäckig und lästig wie eine Fliege, aber nicht wirklich eine Bedrohung, also schenkt man ihm keine weitere Beachtung.
Als Monadessa, der angereiste Münchner Projektchor, dann ein ukrainisches Volkslied anstimmt und er prompt mit „Singt keine ukrainischen Lieder!“ reagiert, wird natürlich auch das ignoriert. Der junge Mann kann einem in seiner anachronistischen Vereinzelung schon fast leid tun. In der Reihe vor uns mit dem MunichKyivQueer-Banner hingegen dreht sich ein Hetero, der mit seiner Freundin gekommen ist, zu uns um und sagt: „Danke, dass ihr gekommen seid“. Auf Russisch. Was soll ich sagen? Das macht schon stolz, in aller Bescheidenheit.
Auf in den Kampf?
Doch dann geht es los, die Treppe hoch zur Uferpromenade und nun stellt sich – nach meiner Erfahrung vom KyivPride 2015 – doch ein leicht mulmiges Gefühl ein: Auf in den Kampf? Damals haben uns die Nationalisten quer durchs Stadtviertel Obolon gejagt.
Doch dazu kommt es nicht. Erstens sind die Gegendemonstrant*innen am Zugweg an zwei Händen abzuzählen und zweitens machen die etwa 500 Polizist*innen, die uns beschützen, einen hervorragenden Job. Überhaupt: Alles scheint hier so friedlich unter der südlichen Sonne und auch die Staatsmacht präsentiert sich nicht behelmt und bis an die Zähne bewaffnet, sondern einfach in ihren normalen Uniformen.
Was mich etwas erstaunt: Die meisten Losungen während der Demo werden auf Russisch skandiert, ganz wenige auf Ukrainisch, unter anderem: „Familienwerte sind auch unsere Werte“, als direkte Antwort auf die Propaganda der hiesigen „Besorgten Eltern“.
Was ist das? Publikum, wow!
Doch dann gerät der Demozug ins Stocken. Wir haben eine Position sehr weit vorne und können so mitkriegen, dass es den Versuch einer ernsteren Störung gibt. Umgehend schiebt sich das Begleitfahrzeug dazwischen, die Störer werden eingekesselt und es kann weiter gehen. Wie, weiter? Wir haben das Ende der Uferpromenade doch schon erreicht, dachten, damit sei der Marsch beendet. Aber nein, es geht weiter, in die Stadt hinein auf der abgesperrten Straße. Wow, also das ist jetzt wirklich mal eine Demonstration, nicht nur ein bewachter Gruppenspaziergang.
Da entdecke ich Olena Globa, die Leiterin der Elterngruppe Tergo. Ach, ist das schön, hier immer wieder auf Menschen zu treffen, die ich kenne, sei es von meinen Dreharbeiten her, sei es von den Austauschen aus München. Und als der Zug dann erneut ins stoppen gerät, da sich ihm eine Kleinstgruppe von Gegendemonstrant*innen in den Weg gestellt hat mit dem Slogan „Homopropaganda ist eine Bedrohung der nationalen Identität“ sind es eben diese Mütter, die sich den Störer*innen in vorderster Front entgegenstellen und sie von Angesicht zu Angesicht entschieden in die Schranken weisen.
Doch halt – das ist ja gar keine Unterbrechung des Zugweges, wir sind einfach am Ende angekommen und werden aufgefordert, die Provokateure zu ignorieren und uns umzudrehen, denn nun gibt es: eine Abschlusskundgebung. Ich bin sprachlos. Anna Leonova von der Gay Alliance Ukraine, die den Pride federführend organisiert hat – in Zusammenarbeit mit vielen, die ich schon von den MunichKyivQueer-Workshops her kenne – spricht einige organisatorische Dinge an und bittet dann jene ans Mikrophon, die sich berufen fühlen, etwas persönliches mitzuteilen über die Beweggründe zu ihrer Teilnahme. Besonders ergreifend: die Ansprache von Olena Globa.
Nach Beendigung der Demo diffundieren die Teilnehmer*innen dann in kleinen Gruppen ins Stadtgetümmel. Ein Abtransport in Bussen, irgendwohin in die Außenbezirke der Stadt, scheint unnötig. Ein Kleidungswechsel, um für eventuelle rechte Aggressoren nicht so leicht wiedererkennbar zu sein, wird hingegen auch heuer angeraten. Ich folge dieser Empfehlung, doch im Nachhinein scheint mir auch das leicht übertriebene Vorsorge, denn beim anschließenden Stadtspaziergang stelle ich fest, dass die Nationalgarde ihr Versprechen hält: Überall in der Stadt begegnet man patrouillierenden Dreiergruppen.
Alles wird gut
Es hat sich also – zumindest in Odesa – enorm viel zum Besseren bewegt in den vergangenen Jahren und man kann nur wünschen, dass es in dieser Richtung weitergeht.
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