OdesaBlog III: Diskussion am Regenbogen
Treue Seelen, treue Freundschaft. Schon im fünften Jahr unterstützen wir den OdesaPride. Dieses Jahr sind besonders viele Leute aus München vor Ort, denn parallel findet das Chorfestival Q-Fest statt. Unser Projektchor Monadessa singt mit. Aus der Stadt am Schwarzen Meer berichtet Stefan Block.
Also ist es nun endlich so weit: Der Tag der Parade ist da. Auch wenn für mich als Sänger sicher gestern Abend der Höhepunkt hätte sein sollen, ist es in Wahrheit aber die Parade. Sie ist politisch und ernst – nicht von der Stimmung, aber vom Anliegen. Sie schafft Sichtbarkeit und Reibung – Treibstoff für die Transformation der Ukraine.
Aber alles von vorne: Früh aufstehen und um 8.45 Uhr los zum Treffpunkt. Manchmal bin ich froh, dass unsere Gruppe deutsch ist und der Aufbruch ohne Verzögerung und Murren klappt. Ich glaube, weil alle auch verstehen, was sie damit bewirken. Der Treffpunkt ist im griechischen Park auf der Hälfte der Potemkinschen Treppe. Natürlich empfängt uns hier wieder eine „kleine“ Störung.
Wir kommen alle in die Hölle!
„Zufällig“ sind gestern abend Gerüste auf die Treppe gelegt worden, sodass der Zugang versperrt ist. Aber alle quetschen sich durch. Der Treffpunkt ist eine kleine, freie Fläche an einer Steilmauer. Oben das pulsierende Leben der Stadt – wir unten im Schatten. Zum Glück, denn es ist heiß.
Erstmal aufstellen und warten – aus diesem Warten wird eine kleine Party. Es wird gesungen. Es läuft „I will survive“ aus einer improvisierten Verstärkerbox. Von oben schreien alte Frauen, dass wir in die Hölle kommen.
Es sind etwa 500 bis 600 Leute dort unten; ich spreche mit Vertreter*innen der Elternorganisation, der deutschen Botschaft und höre Amerikaner und Kanadier neben mir. Ich sehe die Gay Alliance Ukraine, Liga und – ah, mit etwas Verspätung – nun auch das Banner von Munich Kyiv Queer.
Reden mit dem Feind
Dann passiert etwas, das diesen Pride für mich persönlich beeindruckend macht: die Diskussion am Regenbogen. Ein offensichtlicher Gegner stellt sich direkt an die zirka zehn Meter lange Flagge, die seitlich das Feld der Parade abgrenzt. Erst beschimpft er uns, dann kriegt er Gegenwind. Er ist überrascht, zögert, beginnt zu diskutieren. Eine Debatte entbrennt – für und wider, hin und her. Ein Mann, eine Frau, eine Bahn von sechs langen farbigen Streifen – eine Situation, ein Bild, dass Sergei Eisenstein, Regisseur des berühmten Revolutionsfilms Panzerkreuzer Potemkin, nicht hätte besser kreieren können.
Dann endlich geht es los, die Parade geht hoch auf das Plateau der Stadt. Wir werden links und rechts von einem Polizeiwagen und etwa 100 Polizist*innen geschützt. Die Zugänge hat die Polizei auch abgeriegelt, sogar mit einem Feuerwehrauto auf der rechten Seite. Links die üblichen alten Frauen, die uns in die Hölle wünschen. Ja, natürlich gab es wieder Versuche, die Parade zu stören. Die Polizei hat diese Leute aber zur Seite geschoben oder in dicken Trauben von Einsatzkräften abgefangen.
Meiner Gruppe geht es gut. Die Gesichter sind teils ernst, angespannt – aber auch offen und beschwingt. Ich bin darüber sehr froh, denn ich fühle mich für sie verantwortlich.
Endlich Publikum
Am Ende des Parks sieht man nun schon das Rathaus, auf das wir zulaufen. Dort sind Menschen, Schaulustige, Bürger*innen. Auch das beeindruckt mich. Meist muss man den Pride so sichern, dass er schon fast isoliert ist. Steril. Aber diesmal wollten die Organisator*innen eine Balance von Sicherheit und Offenheit – gute Entscheidung wie ich meine.
Das Ende der Parade ist eine Kreuzung. Vor unserem Hotel. Aber noch wichtiger: vor dem örtlichen Kriminalamt. Die Botschaft: „Es gibt Hate-Crimes in der Ukraine. Ignoriert uns nicht.“
Eine Kreuzung auch deshalb, weil „die Parade nicht nur für das Recht steht, zu gehen, wie und wo man will, sondern auch in der Öffentlichkeit zu sprechen, was man denkt und wen man liebt“, so die Vorsitzende der Gay Alliance Ukraine, Anna Leonova, die den OdesaPride organisiert.
Austausch auf Augenhöhe
Nach so vielen Eindrücken schnell ins Hotel, Duschen und Umziehen. Ein Interview im Radio steht an. Zum Glück um die Ecke. Super nettes Team; bunt, divers – wie wir. Es gibt sogar eine Katze. Was ich sage? Kein Ahnung, alles schon ein wenig mechanisch von den letzten Tagen. Erschöpfung und Orga-Kram. Wichtig ist mir aber noch eins: Die Partnerschaft zwischen Deutschen und Ukrainer*innen ist auf Augenhöhe. Jeder bringt ein, was er kann und sucht, was ihn interessiert. In der Zusammenarbeit sind wir alle gleich.
Der Nachmittag ist kurz erzählt, eine Runde am Strand, schön, klein, zu voll. Urlaub. Nicht denken.
Ein letztes großes Abendessen in der Gruppe. Fast schon familiär. Die Gruppe ist zusammen gewachsen. Über die Musik, über das Erlebte.
Ich bin dankbar, dass sie sich auf das hier eingelassen haben. Sie haben Texte und Melodien einstudiert, sie haben den Vertreter der Botschaft ausgefragt über dieses Land. Und sie haben alle solidarisch am Marsch teilgenommen. Ich bin froh, dass sie da sind.
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