PrideBlog IV – Vereitelte Fäkalienattacke auf den KyivPride
Wie jedes Jahr schickt München eine Delegation zum Pride nach Kyjiw, unserer Partnerstadt. Wir marschieren mit, wir machen mit bei der PrideWeek. Und jeden Tag schreiben wir in unserem Blog über unsere Erlebnisse. Heute von Conrad Breyer
Als ich um ein Uhr ins Bett gehe, fangen plötzlich meine Beine an zu zittern. Ob es an der Hitze in der Stadt liegt, dem Stress im Vorfeld? Morgen findet der
KyivPride statt; vermutlich ist das eher der Grund. Wie oft war ich jetzt schon hier? Zum siebten Mal bin ich beim Kyjiwer „CSD“ und doch ist der „March of Equality“ jedesmal ein Act. Ich ärgere mich über mich selbst: Sollte sich das Ganze nicht routinierter anfühlen nach all den Jahren? Tut es nicht.
Seit 2013 leiten wir unsere Gruppen aus München für den KyivPride an. Alles wird gut: Wir müssen nur lächeln, „nice people“ sein und aufpassen. Aber allein das Rucksackpacken am Abend davor und die minutiösen Sicherheitsanweisungen, die in der Nacht per WhatsApp eintreffen, machen einen unruhig. Wechselkleidung einpacken, Sonnencreme, Wasser, etwas zu essen, die Kopie vom Reisepass nicht vergessen, etwaige Medikamente, eine Liste mit Telefonnummern, Geld, ein Tuch fürs Gesicht im Fall von Pfefferspray-Attacken.
Erschöpft eingeschlafen
Schon in München hat man uns geschult.
VelsPol, der Verein lesbischer und schwuler Polizeibediensteter, hat uns eine Lektion in Sachen Sicherheit erteilt und wie wir uns in kritischen Situationen am besten verhalten. Ich kann es schon auswendig runterbeten, aber ja, ich bin trotzdem nervös.
Ich liege und schlafe wider Erwarten einfach ein. Muss die Erschöpfung sein.
Um sechs wache ich schlagartig auf. Draußen zwitschern die Vögel, alles ist so still und frisch, ein wunderbarer Morgen.
Stas und ich machen uns rasch fertig. In der Anspannung über das, was kommt, gibt es dann doch einen Streit darüber, wer was anzuziehen hat, um nur ja nicht aufzufallen. Wieso soll ich denn keine schwarze Jacke über meinem Regenbogen-Teil tragen, bis ich beim Pride bin? Weil es so aussieht, als würde ich etwas zu verstecken haben, sagt Stas. Gerne füge ich mich nicht: Aber gut, das ist irgendwie einzusehen.
Gegen acht Uhr stehen wir am Treffpunkt Goldenes Tor. Nach und nach treffen die anderen unserer Gruppe ein; wir sind 20. Stas verteilt Bändchen. Wir sind als Gruppe angemeldet,
Munich Kyiv Queer, und dürfen deshalb vorne mitlaufen, müssen dafür aber auch früher rein. Die Leute aus Frankfurt und Berlin, die diese Woche zu uns gestoßen sind, kommen zu spät. Die waren gestern noch im
Lift, dem Gay Club der Stadt. Wir werden nervös. Wer nicht rechtzeitig kommt, darf nicht mehr rein. Die Sicherheitskontrollen am Einlass sind streng.
Protest hinter Gittern
Klappt dann doch alles.
Julian und seine Freunde kommen gerade noch rechtzeitig und wir marschieren gut gelaunt los, fünf Minuten zur Oper. Am Eingang zum Pride stehen hohe Gitter, die die Polizei am Vortag aufgestellt hat. Demo im Käfig, könnte man es beschreiben. Wir passieren die Metalldetektoren. Der Polizeibeamte lässt sich den Inhalt meines Rucksacks zeigen, prüft Flüssigkeiten und lässt mich dann durch. Das ging schnell.
Es ist durchaus beruhigend, dass niemand der zu Tausenden erwarteten Demonstrant*innen Waffen, Flüssiggas oder Pfefferspray mit in das abgesperrte Areal schleusen kann. Es beunruhigt mich aber schon, dass jeder Zutritt hat, der will. Niemand wird ja darauf abgecheckt, ob er lesbisch, schwul, bi, trans* oder inter* ist. Und am Vorabend soll sich eine Truppe von Ultranationalisten und Religiösen im Park verschanzt haben, an dem wir gleich vorbei laufen werden. Es heißt, sie hätten die ganze Nacht für uns gebetet.
Wir stellen uns auf, Position 25. Das wurde so ausgelost, wie das auch in München gemacht wird beim
CSD, da haben wir unsere Freund*innen in Kyjiw doch ein bisschen inspiriert. Wir sollen uns zu acht in eine Reihe aufstellen, aber leider sind wir so undiszipliniert, dass die Ordner geradezu verzweifeln an diesen Münchnern. Wir denken halt, bei 20 Leuten ergeben zwei Reihen mit je acht Leuten wenig Sinn, sieht nach so wenig aus. Aber das lassen sie uns nicht durchgehen.
Gefahr von links, rechts und vorn
Und dann kommen sie. Von links schleicht sich so ein bärtiger Typ an mit einem Schild in der Hand, auf dem steht: „Sodom ist ein Greuel“. Er hält es hoch, so dass es jede*r lesen kann. Er steht da einfach. Zwei Reporter versuchen, ihn auf das Schild anzusprechen, aber er will nicht reden. Er will einfach da stehen. Man merkt ihm an, wie angespannt er ist. Der Typ hat Mut, das muss man ihm lassen, hat sich direkt in die Höhle des Löwen gewagt.
Dann von rechts: Eine paar Religiösen, die sich hinter schwarzen Planen verschanzen und Ähnliches skandieren: Sodomie ist der Weg zur Hölle. Sogar auf Englisch, danke dafür, aber dann hat es sich auch mit dem kreativen Protest. Sie werden die nächsten eineinhalb Stunden nicht von unserer Seite weichen. Die Veranstalter*innen gehen entspannt damit um.
Langsam formiert sich der Marsch. Allein die angemeldeten Gruppen machen wohl um die 1000 Menschen aus. Und wie bunt das ist: Vor uns sind die Veranstalter*innen des KyivPride, dann die Diplomat*innen, ein paar Gäste aus dem Ausland, Amnesty, Pop-Stars, ein paar Politiker*innen, schon kommen die Gruppen: Lesben, Schwule, Bi, Trans* und Inter*, Bären, Fetischruppen, Drag Queens, wir…
Crying beauty
Und hinter uns dürfen jetzt all die anderen rein, die Einzelbesucher*innen strömen in Scharen, sie schwenken Regenbogenfahnen, singen, lachen, tanzen, sie sind so jung. Ein überwältigendes Bild, das mir die Tränen in die Augen treibt. Wie sehr sich dieses Land verändert hat! 2013 haben noch 150 Leute irgendwo draußen im Park einen Pride inszeniert, die Hälfte davon Ausländer*innen. Heute werden es über 8000 Menschen, aber das können wir jetzt noch nicht erahnen.
Jetzt hör‘ ich es von vorne schreien. Nein, krächzen. Jemand brüllt übers Megaphon. Der Mann muss schon ganz heiser sein. Was er sagt, kann ich nicht verstehen. Ein paar Jungs aus unserer Gruppe kommen gerade von den Dixies-Klos zurück, die vorne stehen, und zeigen Fotos, die sie gemacht haben. Erst jetzt verstehe ich: Die da reden, sind nicht Leute vom KyivPride, sondern die Rechten. Hunderte sollen da stehen mit ihren schwarzen Fahnen und ihren feisten Gesichtern. Das Militär schirmt sie in mehreren Reihen ab, davor berittene Polizei. Hier und da stehen noch Militärfahrzeuge rum, streckenweise wirkt das Ganze wie eine Wagenburg.
Wir marschieren trotzdem los. Großes Hallo, die Ukrainer*innen rufen Slogans wie „Menschenrechte über alles“ oder „Alle verschieden, und doch gleich“ oder „Freiheit ist unsere Tradition“. Wir laufen schweigend mit, weil wir uns die komplizierten Satzfolgen nicht merken können. Ukrainisch ist nicht so einfach. Rings um uns rum schreit, lacht, klatscht und tanzt es, wir schweigen. Es macht mich ein bisschen traurig, wie wir da so still die Straße abschreiten, obwohl das doch ein historischer Moment ist. Wieder so einer.
Angst bremst aus
Wieder ist der Pride ein bisschen größer und bunter geworden. 8000 Leute! Hier und da winken von den Balkonen, unter denen wir vorbeilaufen, Menschen runter. Zuschauer*innen sind hier ja sonst selten. Leider gibt es keine Musik. Es heißt, der Fahrer habe sich kurz vor dem Marsch davongemacht, weil er Angst hatte, die Gegendemonstrant*innen würden ihm den Wagen anzünden. Die hatten ihm damit gedroht und offenbar Erfolg.
Nun erst sehe ich, wie kreativ auch unsere Feinde ihren Protest aufziehen. Überall am Straßenrand haben sie ihre Parolen aufgehängt, „Mama, Papa, me, happy family“ und „Keine Gay-Propaganda in der Ukraine“ – vermutlich bezahlt das alles. Manche laufen seitlich hinter der Polizei dem Zug nach, das ist immerhin unterhaltsam. Autsch, da kommt ein Ei geflogen. Zum Glück hat es uns nicht erwischt. Wer das wohl geworfen hat?
Der Zug nimmt kein Ende. Vor zwei Jahren, als ich das letzte Mal mitgelaufen bin, ging das noch viel schneller, weil kürzer. Jetzt zieht sich der Marsch . Wir können froh sein, dass die Polizei ihren Job gut macht. Neun Störenfriede hat sie aus dem Geschehen entfernt und verhaftet. Einige hatten tatsächlich geplant, die Demonstrierenden mit Fäkalien zu bewerfen. In wochenlanger Vorarbeit hatten sie dafür Kondome mit Scheiße gefüllt. Die Ware hat die Polizei rechtzeitig am Vorabend beschlagnahmt. Es kursieren Bilder davon im Netz. Sah richtig professionell aus.
Einmal umdrehen, Hymne singen
Aufs Mal ist Schluss. An der U-Bahn-Station Teatralna bleiben alle stehen, einmal umdrehen, Nationalhymne singen und klatschen. „Danke“, „wir danken“, rufen alle. Dann geht es aber in die U-Bahn.
Sämtliche Teilnehmer*innen werden jetzt nach unter Tage gelotst. Die Stationen sind für den öffentlichen Verkehr gesperrt, die Züge fahren nur für uns. Wir drängen in den Schacht, es ist stickig, eng; ich denke sofort an Duisburg. Draußen ist nichts passiert, aber wenn hier eine Panik ausbricht, wird es richtig gefährlich. Indes: Nichts von alledem. Die jungen Leute singen, lachen und rufen weiter ihre Sprüche. Partystimmung im Zwischengeschoss. Einer von uns muss sich dringend erleichtern, er verzieht sich ins Eck.
Endlich sind wir am Bahnsteig angekommen. Es ist angenehm kühl und luftig, zehn Minuten später kommt auch ein Zug, er ist dunkel und vor allem: leer. Alle jubeln. Wir steigen ein. Wo er hält, weiß zu dem Zeitpunkt nur die Polizei – und der Fahrer. Wir scherzen: Wo wird er uns wohl raus lassen? Die Homos in den Dnipr kippen? Und sind nicht die Hater auch zugestiegen?
Endstation KFC
Als der Zug tatsächlich über den Fluss fährt, wissen wir wenigsten, wo es hingeht, wir fahren nach Osten Richtung Leftbank, wo die Hochhäuser stehen und die Stadt nicht mehr so schön ist. Wir passieren Station um Station, bis die U-Bahn schließlich kurz vor der Endstation Halt macht.
Wir steigen aus, mit Hunderten anderen. Aber keine Sorge; überall steht Polizei rum. Und diese jungen Männer mit ihren Dreiviertelshosen, zu engen T-Shirts und Gürteltaschen, die uns mit argwöhnischen Blicken beobachten? Wer sind die? Unsere Gruppe verschwindet schnell im nächsten Supermarkt. Da ist ein
KFC, wir setzen uns erstmal und essen was.
Im ganzen Café sitzen verstreut Pride-Teilnehmer*innen, reguläre Tagesgäste und eben auch diese merkwürdigen jungen Männer, die uns nicht aus den Augen lassen. Wir bestellen Taxis, nach und nach fahren alle in ihre Unterkünfte. Wie klug das Vorgehen war, auf das Stas ganz stoisch immer wieder pocht, wird sich erst viel später zeigen, als wir unsere Timeline in den sozialen Medien prüfen. Genau dort nämlich, wo wir aus der U-Bahn rausgekommen sind, ist einer der ukrainischen Aktivisten angegriffen worden. Du bist beim KyivPride nie sicher vor irgendwas!
Ewiger Kampf um Menschenrechte
Als wir endlich im Hotel ankommen, setz ich mich sofort an den Rechner, um diesen Blog zu schreiben. Es ist geschafft, ein weiterer Meilenstein gesetzt. Angst hatte ich nicht oder doch? Mir kann es egal sein: Ich fliege morgen nach Hause. All die Ukrainer*innen aber bleiben hier, all die Lesben, Schwulen, Bi, Trans* und Inter* schweben immer in Gefahr, diskriminiert, verfolgt, ausgestoßen und geschlagen zu werden, wenn sie sich zu offensichtlich geben. Sie wehren sich seit Jahren erfolgreich dagegen und wir werden sie immer unterstützen. Trotzdem: Anders zu sein in der Ukraine ist bis heute absolut keine Routine. Und wird es noch lange nicht sein.
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