KyivPride 2018: Deals mit den Nazis
München auf Besuch in Kyjiw. 25 Menschen reisen 2018 in die Partnerstadt zum CSD. So groß und so bunt war die Truppe der Lesben-, Schwulen-, Bi*-, Trans*- und Inter*-Community aus München noch nie. Im PrideBlog berichten wir täglich über unsere Abenteuer. Heute: Wie die Regierung versucht, die Rechtsradikalen unter Kontrolle zu bringen und was die Leute vom KyivPride davon haben. Von: Conrad Breyer
Ein Gutes immerhin hat die Sache: Über den Pride an sich wird kaum mehr gesprochen. Was hat uns das früher hier in der Heinrich-Böll-Stiftung erhitzt. Findet er statt, oder nicht? Oder vielleicht doch? Wer sagt was? Wer tut was? Nach fünf Jahren ist das Event gesetzt. Stadtverwaltung, Polizei, Regierung – alle stehen dahinter! Einzelne Politiker*innen, Popstars, Kunstschaffende, natürlich München! Sprechen wir also über was anderes: Erneuerbare Energie, Demokratie und Gender. Das sind so die Themen, mit der sich die Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine beschäftigt. Seit über zehn Jahren sitzt sie in Kyjiw. Und wir besuchen sie heute. Damit wären wir nun fast doch wieder beim Pride angekommen – denn Demokratie und Genderfragen: Darum geht es hier ja! Die Veranstalter*innen nehmen ihr Versammlungsrecht wahr und engagieren sich für gleiche Rechte und Akzeptanz.
Aber der Reihe nach: Sergej Sumlenny leitet die grünennahe Stiftung nun schon seit gut drei Jahren. Er empfängt in seinem Büro oft Gruppen aus Deutschland, das gehört zu seinem Job. Sergej ist selbst in Russland aufgewachsen und hat viele Jahre in Deutschland gelebt, arbeitete erst als Wirtschaftsjournalist, dann für eine Unternehmensberatung. Im Jahr 2015, ein Jahr nach Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine, kam er nach Kyjiw. Heute sieht sein Leben sehr anders aus.
Die großen Konfliktlinien
Unser Gastgeber fragt, wer das erste Mal in der Ukraine ist. Zwei Frauen unserer Gruppe heben die Hände. Sergej führt uns vor eine große Landkarte, die neben seinem Schreibtisch hängt. Sie ist mit bunten Fähnchen gespickt. „Wo ich überall schon war“, sagt er verschmitzt. Im Westen eher zum Urlaub, im Osten der Arbeit wegen. Der Vortrag, zu dem er ansetzt, verspricht spannend zu werden. Ein kluger Kopf!
Sergej erklärt die Grundzüge: Tschernobyl im Norden, da sind heute fünf Leute von uns. Krieg im Osten, die besetzte Krim im Süden, Transnistrien im Westen. Er spricht über die Pläne der russischen Regierung, aus Anlass der Maidan-Revolution nach einer großen Militäroffensive alle Gebiete im Süden der Ukraine zu besetzen. Neurussland sollte das heißen, das Projekt ist bekanntlich gescheitert. Er beantwortet Fragen zur Wirtschaft in der Ukraine, wo kochen sie Stahl, wo kommt das Holz her, wo verbringen die Menschen ihre Ferien? Der Binnentourismus ist nicht sehr entwickelt im Land. Erst seit ein paar Jahren entdecken die Leute ihre Heimat. In den Karpaten gibt es ein paar Luxusressorts. Zum Schwimmen fährt man ans Meer nach Odesa. Die meisten Ukrainer*innen haben ihre angestammte Region aber bis heute nie verlassen – vor allem die im Osten. Das klingt alles ziemlich interessant – unsere Leute stellen sehr viele Fragen.
Als wir endlich im Konferenzraum sitzen, geht es um die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung. Und zwar schwerpunktmäßig um Gender-Themen. Jetzt übernimmt Anna Dovgopol, die Gender-Beauftragte. Seit sechs Jahren ist sie dabei – wir kennen sie von Anfang an. Gender-Themen, sagt sie, gehörten inzwischen zur politischen Kultur. „Alle interessieren sich dafür“, die Medien, die Politik, auch die Menschen auf der Straße. Der Backlash allerdings, den die ganze Welt derzeit erlebe, da alles nach Rechts rücke, gefährde den Fortschritt. Die Kirche, die erstarkten Rechtsradikalen hätten Lesben, Schwule und Trans*, aber auch Feministinnen und alles, was mit Gender zu tun hat, zum Hassobjekt ihrer Wahl erkoren. Offenbar geht denen die Luft aus, sie sind im Schnappatmungsmodus. Dazu kommen die anstehenden Wahlen 2019 – die machten alles noch komplexer. Überall Populismus.
Religiöse und Rechtsradikale gegen die Rechtschaffenen
Die Kirchen haben neulich erst zum Marsch der 7000 aufgerufen, da waren sie alle vereint in ihrem Hass gegen Homos. Erschreckend zu sehen, wie wenig Herz diese Menschen haben. Immerhin: Sie blieben friedlich.
Dann die Rechten: Die können durchaus aggressiv werden in ihrem Kampf für traditionelle Familienwerte. Wie viel Angst sie vor dieser „Gay Propaganda“ haben! Wie klein müssen sie sich fühlen?! Zumindest die, die die Regierung nicht unter Kontrolle hat. Ja, richtig gelesen. Angeblich halten sich einige Leute im Kabinett rechte Splittergruppen als Geheimarmee, wie man immer wieder hört. Die Amtsinhaber wollen sie so von der Macht fernhalten und für eigene Zwecke einsetzen – zum Beispiel, um Kollegen zu drohen, mit denen sie in Konkurenz stehen, oder sogar dem Präsidenten. Bewiesen ist das nicht, aber Artikel dazu sind in der Presse erschienen. Andere werden von der russischen Regierung unterstützt, wie vor allem der Westen vermutet. Faschos in der Ukraine – das passt in Putins Weltbild. Und dann sind da noch die freien Radikalen, die jungen Leute von C14 etwa, die niemandem gehorchen. Was sie am Sonntag beim Pride veranstalten werden, weiß niemand so genau. Die Polizei sagt: Es wird Gegendemos geben, aber alles gestalte sich friedvoll. Im schlimmsten Fall blockieren sie die Route. Das wäre schade, aber besser als Bilder von blutverschmierten Lesben und Schwulen. Dann nämlich könnten die Pride-Veranstalter*innen einpacken. Zum KyivPride 2019 würden wohl keine Leute mehr kommen.
Wie man es dreht und wendet – bei diesen Infos platzt einem der Kopf, so komplex ist das Ganze. Sergej beruhigt uns. „Die Ukraine ist auf eine guten Weg“, sagt er. Auch wenn das zarte Pflänzchen Demokratie noch sehr fragil sei. „Schaut mal“, sagt er. 36 Prozent der Kyjiwer seien laut einer Umfrage für den CSD in ihrer Stadt oder hätten zumindest nichts dagegen. „Vergleicht das mal mit der Ukraine von 2012 oder Russland heute oder von mir aus Regensburg“, sagt Sergej und lacht. „Das ist ein sensationell gutes Ergebnis, das das Marktforschungsinstitut Active Group da jüngst veröffentlich hat.“
Aufstehen, weitermarschieren
Er hat ja recht. Es hat sich so vieles zum Guten verändert, der Pride wird immer größer, auch in Odesa und anderen Städten. Die Community ist sichtbarer denn je und mit ihr die vielen LSBTI-Organisationen, die trotz geringer Förderung einiges auf die Beine stellen. Die Regierung investiert in Menschenrechtsarbeit, der Kampf gegen die Korruption läuft, Reformen in Gesundheitswesen und Bildung sind auf dem Weg, ja, die Schulbücher sollen in Zukunft gendergerecht verfasst werden. Es ist ein großer Erfolg für die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung. Und das alles macht Mut. „Wir dürften jetzt nur nicht nachlassen.“ Recht hat Sergej. Deshalb sind wir ja hier.
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