KyivPride 2018: Die Rechten und der weiße Hund
München auf Besuch in Kyjiw. 25 Menschen reisen 2018 in die Partnerstadt zum CSD. So groß und so bunt war die Truppe der Lesben-, Schwulen-, Bi*-, Trans*- und Inter*-Community aus München noch nie. Im PrideBlog berichten wir täglich über unsere Abenteuer. Heute: Warum niedliche Hunde bei Burn-out helfen. Und: Wie die Rechten immer aggressiver werden. Von: Conrad Breyer
Eiss ist ein wunderschöner Hund, keine Frage. Ein junger Rüde, sieben Monate alt. Weißes Fell, zottelige Haare, ein Tier zum Knuddeln. Eiss ist aber vor allem auch ein praktisches Werkzeug, um Burn-out zu verhindern. Olena sagt: „Um fünf aufstehen, Gassi gehen, füttern, spielen, schimpfen, sauber machen, immer rumrennen bis tief in die Nacht – man hat gar keine Zeit mehr zum Arbeiten“. Alle lachen.
Olena hat sich den Hund vor ein paar Wochen zugelegt, ins Büro nimmt sie ihn jeden Tag mit. Mit Anna Leonova führt sie die Gay Alliance Ukraine, eine der größten LSBTI-Organisationen des Landes. Sibylle, Thomas und ich von Munich Kyiv Queer haben Platz in dem völlig unterkühlten Büro genommen, die Klimaanlage surrt. Es ist unser erstes großes Meeting in der Pride Week. Eiss rennt zwischen unseren Beinen hin und her und wedelt fröhlich mit dem Schwanz. Der Tisch mit den Knabbereien vor uns gerät bedrohlich ins Wanken.
Ein, zwei, drei Pride
Mit der Gay Alliance Ukraine verbindet uns eine lange Partner-, ja Freundschaft. Vertreter*innen der LSBTI-Organisation waren schon 2012 beim CSD in München, um die Szene- und Pride-Kooperation zwischen unseren Städten aufzubauen. Wir haben viel zusammen gemacht, Ausstellungen, Filme, Debatten, den Pride. Heute beschäftigt die Gay Alliance Ukraine zwar nur noch vier Leute, gute Arbeit machen sie immer noch.
Im Moment beschäftigen sich Anna und Olena viel mit dem Pride, nein, nicht mit dem Pride in Kyjiw, dem in Odesa und Krywyj Rih, das ist eine Industriestadt im Süden der Ukraine. In Odesa hat der CSD ja schon einige Male stattgefunden. Letztes Jahr war er halb erfolgreich, die Polizei ließ die rechten Gegendemonstrant*innen gewähren und brach den Marsch nach der Hälfte des Weges ab. Dieses Jahr, sagen die Frauen, versprechen sie uns, dass alles gut laufen wird. „Aber am Ende kann man nie sagen, wie es ausgeht“, so Anna. Denn das habe die Stadt 2017 auch behauptet.
Die Rechten sind gewaltbereiter als früher. Sie spüren, dass ihre Spielräume enger werden in der Ukraine, da sich das Land immer mehr öffnet. Außerdem herrscht in der Stadt am Schwarzen Meer ohnehin ein angespanntes Klima. Der Bürgermeister, ein Freund der russischen Regierung, spielt ein undurchsichtiges Spiel; gegen den Stadtoberen laufen offenbar einige Verfahren. Es gab in jüngster Zeit einige Übergriffe auf Vertreter*innen der Zivilgesellschaft; Odesas Bürgerschaft kritisiert den Polizeichef dafür. Undurchsichtig, wie das alles zusammenhängt. Nicht auszuschließen, dass der OdesaPride zwischen den Konfliktlinien aufgerieben wird. „Mir macht das schon Sorge“, sagt Olena.
Die Rechtsradikalen kämpfen um Sichtbarkeit
Spannender noch wird das Experiment KryvbasPride. Der CSD dort soll auf die ganze Region ausstrahlen. Krywyj Rih ist eine sehr homophobe Stadt, geprägt von den Uran- und Eisenerzminen der Sowjetzeit, nichts dort ist schön. Wer in Krywyj Rih lebt, hat es nicht leicht. Es fehlt an Perspektiven. Jedesmal, wenn mein Mann Stas dort ist, um seine Familie zu besuchen, hört er Geschichten von Alkoholismus, Scheidung, Mord und Totschlag. Anfang des Jahres wurde am Ort eines der Queer Homes überfallen, das sind die Kultur- und Kommunikationszentren für die Community, die die Gay Alliance Ukraine bis vor Kurzem noch überall im Land betrieben hat. Ihr Leiter wurde von Nazis verprügelt. „Tod den Päderasten“ haben sie gebrüllt und „Sieg Heil“ . Nicht lustig das alles.
Anna und Olena sind angespannt, aber man sieht es ihnen nicht wirklich an. Anna hat schon immer viel und gern gearbeitet. Sie kommt ursprünglich aus Odesa, hat dort als Archäologin in einer der größten Festungen des Landes alte Geschichten ausgehoben. Weil aber staatlicherseits nie Geld für Grabungen da war, hat sie dort bald aufgehört, das Queer Home in Odesa übernommen und wurde über Umwege schließlich Chefin der Gay Alliance Ukraine. Olena war schon länger dabei. Die beiden sind ein gutes Team, jetzt sogar mit Hund.
Die Pride bindet viel Kraft, klar, aber trotzdem wollen sie in naher Zukunft vor allem ihre eigene Organisation neu aufstellen. Denn mit der Liberalisierung des Landes differenziert sich auch die LSBTI-Community aus. Es gibt immer mehr Initiativgruppen, Organisationen, Vereine und alle wenden sich an ein bestimmtes Klientel. Da sind die Kyiv Bears, die Drags, die Anarchisten, der Mainstream – es wird bunt im Land. Die Gay Alliance Ukraine war bislang immer breit aufgestellt, aber nun will Anna wissen, was die Community wirklich bewegt und deshalb werden sie die Gay Alliance Ukraine mehr an den Interessen ihrer Mitglieder ausrichten. Die waren bislang mehr informell eingebunden, jetzt sollen sie deutlich mehr Einfluss erhalten. Weiterhin wollen sie selbstverständlich politisch agieren und die Queer Homes wiederbeleben, für die zuletzt die Finanzierung ausgelaufen war.
Herzensangelegenheit OdesaPride
Dann besprechen wir noch, wie Munich Kyiv Queer sich in Odesa beim Pride einbringen will und was wir mit den beiden Frauen beim CSD in München vorhaben. Sie kommen als Gäste.
Kleiner Tipp: Es geht um eine große Kunstaktion, die zu Herzen geht. Zum Abschied gibt’s eine T*-Tasse, dann sagen wir Tschüs bis zum Empfang der KyivPride-Organisator*innen in der Norwegischen Botschaft am Abend.
Dort allerdings tauchen die beiden nicht auf. Ihr für den Abend avisiertes Meeting zum OdesaPride ging bis zehn Uhr nachts. Tags darauf wird Olena auch noch krank. Sie stehen eben doch sehr unter Druck bei der Gay Alliance Ukraine; kein Wunder bei dem Arbeitsumfeld. Zum Glück haben sie Eiss: Der muss sich jetzt erstmal um Frauchen kümmern.
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