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Kyiv Pride 2018: Von Liebe und Hass

12.06.2018 | cb — Keine Kommentare
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München auf Besuch in Kyjiw. 25 Menschen reisen 2018 in die Partnerstadt zum CSD. So groß und so bunt war die Truppe der Lesben-, Schwulen-, Bi*-, Trans*- und Inter*-Community aus München noch nie. Im PrideBlog berichten wir täglich über unsere Abenteuer. Heute: Große Erwartungen. Von: Conrad Breyer

So wie es scheint, wird das dieses Jahr wieder ganz groß. Der KyivPride wächst und wenn man sich Ruslana so aus der Nähe betrachtet, die seit Jahren der gleichnamigen NGO vorsteht, die den Kyjiwer CSD organisiert, dann freuen sich alle, dass sie noch aufrecht stehen kann. Man kann der Aktivistin die Anstrengungen der vergangenen Monate ansehen, so erschöpft schaut sie aus, als wir uns mit ihr im Café Druzi in der Nähe des Maidan treffen. Es ist einer der wenigen dezidiert LGBTI-friendly places in der Stadt. „Sie lebt noch, das ist das Wichtigste“, sagt Anna, eine Freundin, die mit ihr gekommen ist, um uns Münchner*innen zu treffen. Anna arbeitet bei der Heinrich-Böll-Stiftung und kümmert sich dort um Gender-Fragen. Es ist unser erstes Meeting in der Pride Week als Delegation, eine Art Business-Dinner. Montagabend, Sommer in Kyjiw. Noch sind wir erst vier.

Sibylle, Thomas, Stas und ich sind bereits in Kyjiw, wir lassen es ruhig angehen – noch ist einiges zu tun. Podiumsdiskussion vorbereiten, Newsletter schreiben, letzte Vorbereitungen für die PrideWeek treffen. 25 Leute kommen 2018 aus der Münchner Community nach Kyjiw zum Pride – so viele waren es noch nie. Und da gibt es dann natürlich auch einiges zu organisieren. Mal sehen, wie alles klappt.

Großzügige Spende aus München

Jetzt wollen wir Ruslana erstmal die Spenden aus München überreichen. 700 Euro gibt ein großzügiger Münchner, der den KyivPride seit Jahren unterstützt. Wie jedes Jahr holen die Organisator*innen Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* aus allen Teilen des Landes nach Kyjiw. Nicht jede/r* aber kann sich den Trip in die Hauptstadt leisten, dafür sind Spenden nötig. Mit den 700 Euro können 70 Aktivist*innen aus der Region am Wochenende zum Pride-Marsch anreisen. Das ist großartig. Ruslana sagt Danke!

Als sie bestellt hat und der Kellner ein giftgrünes Getränk bringt – vermutlich diese Estragon-Limonade aus Georgien – kommt sie ins Erzählen. Sie erwarten heuer über 5000 Menschen, die beim Pride mitmarschieren könnten, sagt sie. Es wären nochmal eineinhalb Tausend mehr als 2017. Der Pride findet am Sonntag, 17. Juni, statt; um 8.30 Uhr geht es los. Ganz schön früh, aber mit den Einlasskontrollen dürfte es auch eine Weile dauern, bis die 5000 Leute durch sind. Treffen vor der Oper. Das heißt: Wenn die Kernroute die alte bleibt, ist die Strecke auch dieses Jahr wieder um ein paar Hundert Meter verlängert worden. Dann wären wir inzwischen bei gut einem Kilometer Demolauf. Zum Vergleich: In München sind es fünf.

Es wird erstmals eine strenge Ablauffolge für die Teilnehmenden geben, kein Wunder bei so vielen Leuten. Da muss Ordnung herrschen. Ins Detail will Ruslana nicht gehen, denn allzuviel möchte sie aus Sicherheitsgründen vorab nicht verraten. Sicher ist nur: Vorneweg laufen die Organisator*innen des Pride, wichtige Politiker*innen des Landes, dann kommen mehre Wagen. 2017 waren es zwei – einer mit Musik, einer mit Drags. Es ist davon auszugehen, dass sich die Diplomat*innen der EU-Botschaften einen Platz in den vorderen Reihen gesichert haben und vermutlich werden auch wieder Drags mit dabei sein. Außerdem haben einige Popstars ihr Kommen zugesagt, darunter Iryna Bilyk, die ihr neues Album der Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bi*, Trans* und Inter* gewidmet hat. Ihr Konterfei hängt überall in der U-Bahn. An die letzten Wagen schließen sich die Gruppen der Community an, darunter auch Munich Kyiv Queer. Ihre Position wird noch ausgelost – wie in München. Von uns haben sie die Idee auch, denn jedes Jahr sind ja Leute vom Organisationskomitee des KyivPride zu Gast beim Münchner CSD und die lassen sich hin und wieder auch mal inspirieren. Hinter den Gruppen gehen dann vermutlich alle anderen.

Arme Ukraine!

Es klingt alles so vielversprechend, wahnsinnig aufregend und erhebend; wir geraten ins Schwärmen.  Prosten uns zu mit unseren Limonaden, Bieren und Weinen. Happy Pride!

Aber es kommen auch: die, die uns nicht so gern haben – klar. Ein Verein für die traditionelle ukrainische Familie hat sich angekündigt, hören wir. Sie wollen sich beim Einlass aufstellen, direkt gegenüber der Oper. Es werden viele sein. Schon vor einigen Wochen hat es eine Großdemo in Kyjiw von sämtlichen Kirchen des Landes gegeben. Da standen sie, vereint wie sonst selten in ihrem Homo-Hass, Orthodoxe, Katholiken, Evangelikale, ein Rabbi, Freikirchler weil sie so in Sorge um dieses arme Land sind, das von Päderasten überschwemmt und in seinen Grundfesten erschüttert wird. „Das ukrainische Volk stirbt aus“, ist ihre größte Angst. 7000 seien gekommen, sagt die Polizei – immerhin blieb alles friedlich. Das erwarten wir auch für Sonntag, die Polizei will die Gegner*innen mit einem Zaun vom KyivPride abschirmen. Gefährlich wird es erst im Nachgang, wenn dann die Rechtsradikalen wieder auf Safari durch die Stadt ziehen, um Leute abzufangen, die sie während des Events fotografiert haben. Im vergangenen Jahr hat es knapp ein Dutzend getroffen, darunter auch einen Künstler aus Berlin. Abschrecken lassen hat sich Misha Badasyan davon aber nicht; er kommt dieses Jahr wieder und hält Samstagabend eine Performance.

Toll übrigens: Die Stadt hat sich von Anfang an hinter den KyivPride gestellt, der Stadtrat jedenfalls und die Verwaltung. Von Oberbürgermeister Vitali Klitschko war freilich wieder kein gutes Wort zu erwarten. Unsere Stadträtin Lydia Dietrich, die die Delegation aus München anführt, wird in schöner Tradition wieder nicht empfangen, obwohl sie unseren OB Dieter Reiter vertritt. Dafür hat die Polizei ihre Unterstützung zugesagt, auch wenn sie den KyivPride erneut nicht auf die Prachtstraße Chreschtschatyk lassen wollte. Die ist Tabu, aber was nicht ist: Kann ja noch werden!

Wir sind einstweilen ganz glücklich über das Erreichte, leeren unsere Getränke, bezahlen und tapsen hinaus in die dunkle, warme Nacht voller guter Erwartungen auf das, was da kommen mag.

 

 

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