Wir singen um unser Leben! Geschichte des ersten LSBTI-Chores der Ukraine
Olga Rubtsova leitet den ersten LesBiSchwulen Chor der Ukraine. Vor vier Jahren hat sich Qwerty Queer unter ihrer Leitung formiert, obwohl sie selbst anfangs gar nicht wollte. Sie sind zum Vorbild für andere LSBTI-Chöre im Land geworden und heute auch außerhalb der Community bekannt. Der Anstoß zur Gründung kam aus München.
Olgas Geheimnis? Sie hat Talent, handelt pragmatisch und kann manchmal ganz schön stur sein. Hätte sie ihren Traum nicht konsequent verfolgt, stünde sie heute nicht auf der Bühne im Gasteig. Olga Rubtsova aus Odesa, 32 Jahre alt, wollte immer Musik machen. Dass sie jetzt einen Chor leitet, ist irgendwie trotzdem ein Wunder. Denn ihr Weg dahin verlief keinesfalls geradlinig. Und das lag nicht zuletzt an Olgas Mutter.
Qwerty Queer ist noch ein sehr junger Chor, der erste LesBiSchwule Chor der Ukraine überhaupt. Gebildet hat sich das Ensemble Ende 2014/Anfang 2015 auf eine Idee hin von, ja, von Various Voices in München höchstselbst. Aber dazu später mehr. Das Repertoire der im Kern zehn Mitglieder reicht von Pop bis zu Volksliedern; Politisches, aber auch Liebeslieder gehören zum Portfolio. Das Meiste sind Songs aus Großbritannien, den USA, der Ukraine und Russland. Die Sängerinnen und Sänger sind jung, fast alle unter dreißig.
Geboren im Queer Home Odesa
Jeden Samstag um eins treffen sie sich in der Wohnung von Mykyta zur Probe, dem einzigen Mann in der Gruppe, und üben bis zu fünf Stunden. Sie haben sich als Laienchor ein professionelles Niveau erarbeitet und treten öffentlich auf. Für ein Land wie die Ukraine, in dem Homo-, Trans*- und Inter*phobie noch weit verbreitet sind, ist das keineswegs selbstverständlich. Sogar im Fernsehen war Qwerty Queer schon zu sehen. Als München im Juni 2014 den Zuschlag für Various Voices bekam, war das alles so kaum absehbar. Qwerty Queer gab es noch nicht, aber dafür: einen Plan.
Die Münchner*innen hatten sich nämlich in den Kopf gesetzt, zum großen Chorfestival im Mai 2018 unbedingt auch einen Chor aus Kyjiw einzuladen. Kyjiw ist schließlich Partnerstadt von München und existierte da nicht seit Sommer 2012 so eine Kooperation zwischen den LSBTI-Communitys beider Städte? Also los: Die flugs gegründete Projektgruppe Ukraine von Various Voices ergriff die Initiative, bat in der Pride Week 2014 die Gäste des Münchner CSD aus der Ukraine ins Schlosszelt, wo aus Anlass ihres 20-jährigen Bestehens Lilamunde ein Jubiläumsprogramm darbieten würde, ein kleiner, aber feiner Lesbenchor, und unterbreitete ihren Vorschlag. Munich Kyiv Queer sollte als Kontaktgruppe zwischen Kyjiw und München die Aktion begleiten.
Das Vorhaben kam gut an – allein, es fehlte an Chören. Bis vor vier Jahren gab es in der Ukraine keinen einzigen Lesben- und Schwulen-, geschweige denn Bi*- oder Trans*-chor. Die Szene bestand aus politischen Aktivist*innen, an die Gründung von Freizeit- und Selbsthilfegruppe war nicht zu denken, denn die Community hatte andere Sorgen. Der erste Pride des Landes hatte erst 2013 stattgefunden. Wer allzu sichtbar für LSBTI-Rechte einsteht, lebt noch heute gefährlich. Aber was nicht war, konnte ja noch werden.
So reiste die Idee mit den Aktivist*innen aus Kyjiw zurück in die Ukraine. Und verfing in Odesa. Dort nämlich hatte sich für August 2014 Munich Kyiv Queer angekündigt. Die Gruppe aus Münchner und Kyjiwer LSBTI-Aktivist*innen sollte in der Stadt am Schwarzen Meer eine Ausstellung der Münchner Künstlerin Naomi Lawrence präsentieren. Und bei der Gelegenheit konnten sie im Queer Home, dem Treffpunkt der Gay Alliance Ukraine vor Ort, ja gleich mal das Projekt von Various Voices vorstellen. Als kleinen Appetitanreger brachten sie den Plan mit, den Chor, der 2018 beim Festival an der Isar dabeisein sollte, jedes Jahr einmal nach München einzufliegen, um ihm beim Aufbau zu unterstützten. Die Münchner Chöre waren dazu bereit.
Interessierte fanden sich schnell und die damalige Chefin des Queer Home in Odesa, Anna Leonova, hatte auch schon eine Leiterin im Auge: Olga Rubtsova, die sie aus dem Queer Home kannte. Olga aber zierte sich: „Mir schien das zu viel Verantwortung“, sagt sie heute. Außerdem war sie nicht geoutet. Ein halbes Jahr lang konnte sie Anna hinhalten. Dabei war Olga für die Aufgabe prädestiniert wie keine Zweite.
Die Mutter, Dein Schicksal
Als Jugendliche hatte Olga in Odesa die Musikschule besucht. Sie wollte ja Sängerin werden, in der Singklasse allerdings war kein Platz mehr für sie. Eine herbe Enttäuschung! Ihre Mutter überredete sie, erstmal Klavier zu lernen. Die berühmte Alla Pugacheva, Ikone der russischen Popmusik, habe ihre Karriere schließlich auch so begonnen: erst Klavier, dann Gesang. Olga gab klein bei. Es war nicht das erste Mal, dass sie auf den Rat ihrer Mutter hörte, und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Als schließlich doch noch ein Platz im Gesangsunterricht frei wurde, hat ihr Klavierlehrer sie nicht ziehen lassen. „Niemand verlässt meinen Kurs.“ Gesungen hat Olga in ihrer Freizeit. „Da fühlte ich mich frei“, sagt sie.
Nach drei – statt sieben! – Jahren war Olga Pianistin. Jetzt wollte sie aufs Konservatorium, endlich singen lernen. Aber auch da wieder: kein Platz frei, ein Jahr Wartezeit. Ihre Mutter drang darauf, die Zeit zu nutzen, um sich etwas Praktisches beizubringen – wie Zahntechnikerin. Immerhin: was mit Mund. Olga folgte ihrer Mutter wieder, schloss die Ausbildung ab, arbeitete als Zahntechnikern und packte dann – erneut auf Anweisung ihrer Mutter – ein Studium der Zahnmedizin drauf. Ach, Mama. Als Anna Leonova auf Olga zukam, war sie noch mittendrin.
Anna hat Olga schließlich überrumpelt. Sie lockte sie zu einem Karaoke-Abend ins Queer Home mit ein paar Frauen, die sehr gerne im Chor singen wollten. Das war smart. Alle hatten ihren Spaß und als drei von ihnen Olga schließlich fragten, ob sie nicht auch in Zukunft ab und an gemeinsam singen könnten, blieb Olga gar keine Wahl. „Ok? Wunderbar, dann musst Du uns anleiten“, hieß es bloß. Und gegründet war Qwerty Queer.
Noch ohne so zu heißen freilich. Warum der Name? Qwerty folgt der Buchstabenfolge amerikanischer Computer-Tastaturen. Als sie anfingen, in den sozialen Networks nach Mitgliedern für ihren Chor zu suchen, haben die Frauen eine Menge getippt, so kam die Idee auf. „Qwerty“ steht für das Reguläre, das Normale, „Queer“ für das Andere, für Vielfalt. „Qwerty Queer“ also – Teil eines Ganzen, in aller Buntheit.
Olga begann, mit den dreien zu proben, alles ehrenamtlich versteht sich. Nach und nach gesellten sich andere Sängerinnen hinzu, später auch Männer, und das Repertoire wuchs. Als sie im Juni 2015 zu sechst mit den Münchner*innen nach Mainz zum Treffen der süddeutschen Chöre, QueerTakte, fuhren, haben sie mit ihren Songs die Leute schon ganz schön beeindruckt, auch den Mainzer Bürgermeister übrigens. Vor dem haben sie ein paar Lieder zum Besten gegeben.
Als Vorbild vorangehen
Inzwischen war Qwerty Queer drei Mal in München, 2016 haben sie mit den Münchner LSBTI-Chören sogar „BaVarious Voices“ mitgestaltet, das große Konzert im Gasteig. Es ist eine besondere Beziehung, die die Sänger*innen aus der Ukraine und München verbindet; neue Freundschaften sind entstanden. Qwerty Queer singen bei den CSDs in Kyjiw und Odesa, auf den Straßen, im Fernsehen. In Charkiw, Winnyzja und Krywyj Rih haben sich neuerdings ebenfalls LSBTI-Chöre gegründet. Neben Qwerty Queer erwartet das Publikum dieser Tage auch Dorothy’s Friends, Midnight Descant und Voice is My Life. Wie für den türkischen Chor 7 Renk Koro übernimmt Various Voices mit Unterstützung des Goethe-Instituts die Kosten für sie alle. Gemeinsam sind wir stark.
Qwerty Queer war für die Ukraine das Vorbild. „Einmal haben uns ein paar junge Menschen auf der Straße angesprochen“, erinnert sich Olga, damals, als sie keine Proberäume hatten und nach draußen gehen mussten. „‚Wer seid Ihr? Ah, Qwerty Queer. Ist das nicht dieser Chor für Lesben und Schwule?‘ Ich krieg‘ jetzt noch Gänsehaut, wenn ich das erzähle. Hätten ja auch unsere Feinde sein können“, sagt sie. Waren aber Fans, so ein Glück!
Was für Ziele sie noch hat? Sie will Qwerty Queer wachsen sehen. Und in der Ukraine müssten noch mehr LSBTI-Chöre entstehen, am besten sollten sie alle zusammen singen. „Ich habe das in Denver erlebt bei den GALA Choruses 2016 und auch in München letzten Herbst, als alle Chöre aus München und wir vereint Carmina Burana geprobt haben. Das geht unter die Haut.“
Olga Rubtsova liebt den Erfolg, sie ist ehrgeizig, durchaus streng mit ihren Leuten. „Mir gefällt, wie sie sich entwickeln. Wir sind ja Laien.“ Kürzlich haben sie beim Einsingen „Embrace me“ von Okean Elzy geübt, das ist eine ukrainische Popband. „Den Song haben wir vorher nie gekonnt. Heut ging’s.“ Olga hat geweint. „In solchen Momenten weiß ich, warum ich das tue, obwohl es mich viel Kraft kostet.“
Singen als Politikum
Qwerty Queer, das sind Olga, noch ein paar Olgas, Olenas, Mykyta, Kateryna, Yevheniia und andere mehr. Viele sind seit Jahren dabei. Sie singen, halten zusammen. Mykytas Freund wurde vor Kurzem zum Militär eingezogen – er muss an die Front. Jetzt sind die anderen für ihn da, trösten den Zurückgebliebenen, wenn er traurig ist, bauen ihn auf, wenn er sich Sorgen macht. Nur Mut! Qwerty Queer ist viel mehr als ein Chor. Die Sängerinnen und Mykyta finden dort Heimat, können sein, wie sie sind, und einfach singen. Eine Tradition von Laienchören gibt es in der Ukraine ja nicht.
Und Qwerty Queer stiftet Identität. Den meisten ist nach ein paar Monaten des Miteinanders das Outing zuhause gelungen. Und wenn sie auftreten, rücken sie auch das Zerrbild von Lesben, Bisexuellen und Schwulen in der Öffentlichkeit zurecht. Sie bauen Vorurteile ab, weil sie so normal sind. „Wir singen um unser Leben!“, sagt Olga und lacht. So werden Sängerinnen zu Aktivistinnen und Sänger zu Aktivisten. Musik verbindet.
Und privat? Aufs Konservatorium könnte Olga nun gehen. Aber dafür müsste sie nochmal ihr ganzes Leben umkrempeln. Nicht einfach. Was ihre Mutter dazu sagt? Die schweigt ausnahmsweise. Vielleicht sollte Olga die Chance nutzen.
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