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#FundReise Tag 6 – Dunkelheit

07.12.2022 | cb — Keine Kommentare
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Sibylle erlebt ihren ersten Stromausfall, Normalität für so viele Menschen in Kyjiw. Sie war gerade beim Einkaufen. Diesen Beitrag hat sie zuhause komplett bei Kerzenschein und auf dem Smartphone (!) geschrieben. Mobiles Internet geht, WLAN nicht.

Das ist der Blog von Sibylle von Tiedemann, Mitgründerin von Munich Kyiv Queer. Sie wollte nicht mehr nur zuschauen, was in der Ukraine passiert, und fuhr selbst hin. In Münchens Partnerstadt Kyjiw besucht sie unsere Freund*innen und Partner, berichtet und sammelt Spenden.

Strom: zu wenig
Temperatur: winterlich
Spendenbarometer: 3671,51 von 18.000 Euro
Besondere Vorkommnisse: Osterhasen
Alle Blogbeiträge: Sibylles #FundReise nach Kyjiw mitten im Krieg


Jahrelang durfte ich in Kyjiw bei Anya wohnen, die mich 2013 einfach so bei sich aufgenommen hat, als ich mit vielen anderen Münchner*innen nach Kyjiw gefahren bin, um den Pride zu unterstützen. Wenn Anya mich necken wollte,  hat sie mich дойтше фрау, sprich: „doiitsche Frau“, genannt.

Als ich mich einmal verspätete, schrieb sie mir: „Sibilla, 5 Minuten zu spät! Kyjiw hat dich verdorben!!!“. 2017 ist sie nach Israel gezogen. Für mich ein unglaublich schmerzhafter Schritt. Naomi Lawrence sagte damals zu mir: „Wer weiß, wofür das gut ist.“ Seit dem 24. Februar weiß ich es: Anya ist in Sicherheit.

Vor der Metro-Station Universität. Das war mal „meine“ Haltestelle. Foto: Sibylle von Tiedemann

An meinem zweiten Tag in Kyjiw besuche ich „mein“ früheres Haus, wo Anya lebte, und „meine“ frühere Metro-Station beim Alten Botanischen Garten. Könnt ihr die Sandsäcke erkennen, die gestapelt sind? Auch eine Folge des Kriegs.

Die Metro-Station Chreschtschatyk/Maidan ist kriegsbedingt ganz geschlossen. Ein Video zeigt, wie der Zug einfach durchfährt. Für die Kyjiwer*innen bedeutet die Schließung weite Umwege. Das betrifft auch die LGBTIQ*-Organisationen KyivPride und Gay Alliance Ukraine, die hier im Zentrum sitzen. Den KyivPride habe ich gestern besucht.

Osterhasen und Nikoläuse im Schokoladengeschäft Roshen. Foto: Sibylle von Tiedemann

Unbedingt muss ich noch ins Schokoladengeschäft Roshen gehen, das dem früheren Präsidenten Poroshenko gehört, und das am Montag wegen Luftalarms geschlossen hatte.

An der Kasse entdecke ich neben den Nikoläusen Osterhasen. Schicke Conrad, der hier fleißig die Website mit meinem Blog bestückt, ein Foto und schreibe noch: „Hier ist echt nix mehr normal.“

Das echte „Nicht-normal“ geschieht dann abends im Supermarkt. Mein erster „richtiger“ Stromausfall. Während es drinnen – zumal als Touristin, die erst kurz im Land ist – ja noch eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlen kann, wenn man abends bei Kerzenschein isst, ist es draußen dann doch unerwartet. Und unpraktisch.

Es passiert also im Supermarkt und zwar vor dem Kühlregal, um genau zu sein. Plötzlich geht das Licht aus. Die reaktionsschnellen, weil schon geübten Kyjiwer*innen zücken ihre Smartphones und Taschenlampen. Ich fotografiere.

Die Kassierinnen scheuchen uns zur Kasse, mein gewünschtes Brot wird mir noch gebracht. Und so leuchte ich der Kassiererin mit meiner Smartphone-Lampe, während sie Artikelnummern in ein Heft schreibt. Ganz akkurat und genau.

Die Kassiererin schaut mich ungläubig an

340 Hrywnja halte ich in meiner Hand. Während ich ihr zuschaue, überlege ich, ob es unpassend ist zu fragen, ob ich diese Szenerie fotografieren darf. Ich entscheide mich, erstmal nur wartende Kundin zu sein, will jeglichen Voyeurismus vermeiden. Am Schluss rechnet sie den Betrag mit dem Taschenrechner aus. „Das macht 339 Hrywnja.“

Als ich ihr das Geld überreiche, das ich schon die ganze Zeit in der Hand halte, schaut sie mich ungläubig an. Ich kann es richtig in ihrer Stirn rattern sehen. Sage dann gleich, dass das Zufall ist, und so endet auch schon meine Karriere als Kassenscanner bei Stromausfällen.

Nur die Autoscheinwerfer spenden Licht. Foto: Sibylle von Tiedemann

Als ich mich auf den Heimweg mache, finde ich es schon ein bisschen gefährlich. Es ist dunkel, es ist glatt, Ampeln bei kleineren Straßen sind ausgeschaltet, Straßenlaternen ebenso. Die Häuser sind sowieso schwarz. Sehen mich die Autofahrer überhaupt? Ich will’s gar nicht so genau wissen.

Woran erkennt man übrigens in der dunklen Wohnung, dass der Strom wieder geht?

Der Kühlschrank springt an.

#FundReise #MunichKyivLove #18.000 Euro

Sibylle sammelt Spenden für


EINZELFALLHILFE Munich Kyiv Queer unterstützt mit einer eigenen, privaten Spendenaktion über www.paypal.me/ConradBreyer die Menschen in der Ukraine, mit denen wir in den vergangenen zehn Jahren eng zusammengearbeitet haben. Das ist direkt, schnell und gebührenfrei, wenn Ihr die Option „Geld an einen Freund senden“ wählt. Kennwort #FundReise. Wer kein PayPal hat, kann alternativ an das Privatkonto von Conrad Breyer, IBAN: DE42701500000021121454, Geld schicken. Wir helfen unsere Freund*innen und Partnern. Wir kennen sie persönlich und wir vermissen sie schmerzlich.

HILFE FÜR KRIEGSOPFER: KINDER, ALTE UND KRANKE MENSCHEN IN KYJIW UND UMGEBUNG Der Verein „Brücke nach Kiew“ unterstützt hilfsbedürftige Personen, insbesondere Kinder und kinderreiche Familien, finanziell schwache, gering verdienende und/oder auch Tschernobyl-geschädigte Personen in der Ukraine und hier insbesondere in Kyjiw – insbesondere über ein Pat*innen-Programm. Das Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe.

Empfänger: Brücke nach Kiew e.V.
Bank: Raiffeisenbank München Süd eG
IBAN: DE74 7016 9466 0000 0199 50
BIC: GENODEF1M03
Kennwort: #FundReise

Ab 200 Euro kann eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden.

HILFE FÜR LGBTIQ*-ORGANISATIONEN Wir haben zum Schutz von LGBTIQ* aus der Ukraine das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine mitgegründet. Ihm gehören um die 40 LGBTIQ*-Organisationen in Deutschand an. Sie alle haben ganz unterschiedliche Kontakte in die Ukraine und sind bestens vernetzt mit Menschenrechtsorganisationen vor Ort, die Gelder für die Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen brauchen. Spendet hier

Mehr Informationen: www.MunichKyivQueer.org/helfen

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