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#FundReise Tag 2 – Polen

03.12.2022 | cb — Keine Kommentare
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Sie will nicht mehr nur zuschauen. Sibylle, Mitgründerin von Munich Kyiv Queer, reist nach Kyjiw. Sie besucht unsere Freund*innen und Partner, berichtet und sammelt Spenden. Heute führt sie ihre Reise nach Przemysl, an die Grenze zur Ukraine. Im Stadtmuseum vertieft sie sich gerade in die Bilder eines Malers, als sie plötzlich jemand anspricht.

Strom: 24 Stunden
Temperatur: warm
Spendenbarometer: 380 von 18.000 Euro
Besondere Vorkommnisse: Der Sohn des Künstlers
Alle Blogbeiträge: Sibylles #FundReise nach Kyjiw mitten im Krieg


„Danke, nein, ich brauche nichts“, antworte ich freundlich und lasse den Mann der Berliner Bahnhofsmission mit seiner Spendendose verdutzt stehen. Erst als ich schon fast am Zug bin, dämmert mir, dass er etwas von mir wollte. Nun ja, ich bin immer noch ein bisschen … durcheinander.

Vor mir liegt eine ganztägige Zugfahrt, überwiegend durch Polen. Viele der Haltestellen sind aufs Engste mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden. In einigen Orten war ich sogar schon.

Berlin Hauptbahnhof. Mit nur drei Gepäckstücken nach Kyjiw. Foto: Sibylle von Tiedemann

Im Zug höre ich sehr viel Ukrainisch. Kein Wunder, fahren wir doch nach Przemysl, eine Kleinstadt etwa zehn Kilometer vor der ukrainischen Grenze entfernt.

Seit Beginn des Angriffskrieges ist der Grenzort zentraler Anlaufpunkt für viele Geflüchtete.

Strecke Berlin Przemysl. Foto: Sibylle von Tiedemann

Natürlich suche ich das von Sergej Sumlenny sehr empfohlene Zugrestaurant auf („Da werden die Schnitzel noch frisch gebraten“).

Im Zug antworten sie mir auf Ukrainisch

Tatsächlich wird in der Bordküche mit richtigen Kochtöpfen hantiert. Ich bestelle radebrechend auf Polnisch und fühle mich sehr geschmeichelt, als mir auf Ukrainisch geantwortet wird. Mein russischer Akzent ist wohl unüberhörbar, wird jedoch als Ukrainisch gedeutet.

Ich komme spätabends in Przemysl an. Und bin beeindruckt vom Bahnhof.

Ich nehme mir einen Tag Zeit in Przemysl, wechsle als erstes ein paar Zloty, kaufe ein, suche die Tourismus-Information auf und gehe frühstücken.

So sehen im Jahr 2022 polnische Pfannkuchen aus, dabei habe ich die klassische Variante und nicht die für Kinder bestellt. Foto: Sibylle von Tiedemann

Gestärkt rolle ich ums Eck ins Stadtmuseum, das in einem Bürgerhaus aus dem 16. Jahrhundert untergebracht ist. Liebevoll sind hier Wohnräume der Oberschicht rekonstruiert. Ich bin die einzige Besucherin und nutze die Gelegenheit für Selfies.

In der Wechselausstellung vertiefe ich mich gerade in die Biographie eines Malers, als ich Stimmen höre. Eine Dreiergruppe kommt auf mich zu, der älteste von ihnen sagt zu mir „Jestem synem“ (polnisch: „Ich bin der Sohn“). Ich brauche ein bisschen, bis ich kapiere: Vor mir steht der Sohn des Malers Ludwik Ciesliks/Ludwik Hellers, dessen Bilder hier ausgestellt sind.

Biographien wie die von Ludwik Heller machen mich betroffen

Während es für mich noch eine gewisse Logik hat, dass er hier ist, kann er meine Anwesenheit nicht so recht einordnen. Dass mich Biographien wie die seines Vaters immer wieder sehr betroffen machen und ich mir wünschte, man hätte aus den Verbrechen der Deutschen, also den Verbrechen meiner Vorfahren, mehr gelernt, versteht er dann aber.

Der Sohn des Malers, Selbstporträt des Vaters und ich. © Sibylle von Tiedemann

Der Sohn entdeckte erst beim Tod seines Vaters im Jahr 1990, dass er weite Teile von dessen Biographie gar nicht kannte. Wie viele Überlebende des Holocaust hat der Vater geschwiegen. Über seine wahre Identität nicht gesprochen.

Blinder Fleck in der eigenen Biographie

Zwei Mal flieht Ludwik Heller vor den Deutschen: am 1. September 1939 (deutscher Überfall auf Polen) und am 22. Juni 1941 (deutscher Überfall auf die Sowjetunion). Er wechselt mit seiner jüdischen Frau die Identität, nimmt den polnischen Namen Cieslik an und überlebt in Warschau.

Nach dem Krieg zeichnet er: das Überleben, die Flucht durch Europa, für seinen Sohn, die neue Heimat, für die Filmindustrie. Man hat in der Ausstellung das Gefühl, dass hier Werke verschiedener Künstler hängen.

Seinen jüdischen Namen nimmt der Vater nie wieder an, besucht zwar Polen, kehrt jedoch in seine Geburtsstadt Przemysl nicht mehr zurück.

2022 bringt der Sohn die Bilder des Vaters in die Geburtsstadt zurück. Und trifft eine nicht-jüdische Deutsche, die nach Kyjiw fährt, weil sie dort Freunde hat. Und ich denke mal wieder – wie so oft seit dem 24. Februar 2022: Wir sind doch noch gar nicht fertig mit dem letzten Krieg.

#FundReise #MunichKyivLove #18.000 Euro

Sibylle sammelt Spenden für


EINZELFALLHILFE Munich Kyiv Queer unterstützt mit einer eigenen, privaten Spendenaktion über www.paypal.me/ConradBreyer die Menschen in der Ukraine, mit denen wir in den vergangenen zehn Jahren eng zusammengearbeitet haben. Das ist direkt, schnell und gebührenfrei, wenn Ihr die Option „Geld an einen Freund senden“ wählt. Kennwort #FundReise. Wer kein PayPal hat, kann alternativ an das Privatkonto von Conrad Breyer, IBAN: DE42701500000021121454, Geld schicken. Wir helfen unsere Freund*innen und Partnern. Wir kennen sie persönlich und wir vermissen sie schmerzlich.

HILFE FÜR KRIEGSOPFER: KINDER, ALTE UND KRANKE MENSCHEN IN KYJIW UND UMGEBUNG Der Verein „Brücke nach Kiew“ unterstützt hilfsbedürftige Personen, insbesondere Kinder und kinderreiche Familien, finanziell schwache, gering verdienende und/oder auch Tschernobyl-geschädigte Personen in der Ukraine und hier insbesondere in Kyjiw – insbesondere über ein Pat*innen-Programm. Das Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe.

Empfänger: Brücke nach Kiew e.V.
Bank: Raiffeisenbank München Süd eG
IBAN: DE74 7016 9466 0000 0199 50
BIC: GENODEF1M03
Kennwort: #FundReise

Ab 200 Euro kann eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden.

HILFE FÜR LGBTIQ*-ORGANISATIONEN Wir haben zum Schutz von LGBTIQ* aus der Ukraine das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine mitgegründet. Ihm gehören um die 40 LGBTIQ*-Organisationen in Deutschand an. Sie alle haben ganz unterschiedliche Kontakte in die Ukraine und sind bestens vernetzt mit Menschenrechtsorganisationen vor Ort, die Gelder für die Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen brauchen. Spendet hier

Mehr Informationen: www.MunichKyivQueer.org/helfen

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