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PrideBlog: Vertrauliche Nachrichten

18.09.2021 | cb — Keine Kommentare
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Deutsche Botschaft, Heinrich Böll Stiftung, Tochka Opori, dann unser Film – das Programm für Freitag verspricht ebenso anstrengend zu werden wie das der Vortage. Verschlafen treten wir unseren Besuch als „Münchner Delegation“ in der Botschaft an – zu zweit dieses Jahr, ohne Stadtrat, ohne Gruppe im Rücken.

Im Grunde aber auch angenehmer, um den neuen Mann im diplomatischen Dienst kennenzulernen. Lukas B. ist seit wenigen Wochen in Kyjiw; er wird in den nächsten Jahren unser Ansprechpartner sein, wenn es um Menschenrechte in der Ukraine geht. Gleiches gilt für die grünennahe Heinrich Böll Stiftung. Auch da ist mit Johannes V. (im Bild u.r.) ein Neuer an Bord, der erstmal ankommen muss. In kleiner Runde – bei der Botschaft gab’s Wasser, bei der Stiftung Pizza – lernen wir uns kennen. Und wir spüren: Es wird eine gute Zusammenarbeit!

Die Deutsche Botschaft in Kyjiw. Foto: Conrad Breyer

Was wir da so besprochen haben, ist leider vertraulich. Wir können aber sagen, dass wir von Munich Kyiv Queer immerhin mit zur Integration der beiden neuen Kollegen aus Deutschland beigetragen haben. Schließlich kennen wir uns nach neun Jahren Menschenrechtsarbeit in der Ukraine ziemlich gut aus mit der politischen Lage im Land, speziell mit der Situation von LGBTIQ*. Wir konnten manch wertvollen Tipp geben.

Verbündete finden beim Pfannkuchenessen

Am Nachmittag treffen wir Tochka Opori in einem Restaurant in Podil, eine Organisation, die sich ganz allgemein um LGBTIQ*-Belange kümmert. Das Büro, das sich die fünf, sechs Mitarbeiter*innen teilen, wäre viel zu klein für unsere „große“ Delegation gewesen, scherzen unsere Gastgeber*innen. Außerdem liegt das „BlinStory“ nahe des Kinos, in dem wir am Abend den Film „Anders als die Andern“ zeigen wollen. Es ist das erste Filmwerk überhaupt, das sich mit dem Thema Homosexualität befasst. Der deutsche Stummfilm hat sich nur fragmentarisch erhalten und zwar ausgerechnet in der Ukraine. Das Filmmuseum München hat ihn rekonstruiert und restauriert. Was für eine Vorlage! Aber dazu später mehr.

Im Büro der Heinrich Böll Stiftung. Foto: HBS

Ich frage, wie Tochka Opori die Corona-Zeit überstanden hat. Alle lachen. „Wissen wir auch nicht so genau“, sagt Tymur Levchuk, der die NGO führt (im Bild u.l.). In Wahrheit aber haben sie – wie die meisten anderen LGBTIQ*-Organisationen – einfach noch mehr gearbeitet. Jedenfalls präsentieren sie uns erstaunlich viele neue Ideen.

Da wäre zum Beispiel das Allies-Projekt: Tochka Opori hat angefangen, Verbündete für LGBTIQ* in der Ukraine zu suchen, die nicht queer sind. Die Gruppe hat auch einen Namen: „Allies in Action“. Zusammen schulen sie sich im Wissen um sexuelle Minderheiten, der richtigen Ansprache und bei Aktionen, die sie fahren. Während der Pandemie hat Tochka Opori außerdem LGBTIQ* beraten, die ihren Job verloren haben. Nicht wenige zogen zurück in ihr Elternhaus, was nicht einfach ist, wenn Mama und Papa homo- oder trans*-phob sind. So hat die NGO bei der Jobvermittlung geholfen – auch das haben wir so noch nicht gehört von einer LGBTIQ*-Organisation.

Bruderschaften als Vorbild für die Homo-Ehe

Tochka Opori hat außerdem in Zusammenarbeit mit einzelnen Abgeordneten Gesetzesentwürfe ins Parlament eingebracht, die die Ausschüsse der Verchowna Rada zum Nachdenken bringen sollten. Und das auf ziemlich verquere Weise. Beispiel: „Bruderschaft“. Diese frühe Form der mann-männlichen Zivilunion gab es im Mittelalter und frühen Neuzeit unter den Kosaken. Zwei Männer übernahmen füreinander Verantwortung, sie hatten Rechte und Pflichten, ohne aber eine erotische Beziehung miteinander einzugehen.

Team-Treffen mit Tochka Opori. Foto: Tochka Opori

Der (nicht ganz ernst gemeinte) Gesetzentwurf sieht nun vor, eine registrierte Partnerschaft auf Basis dieser Tradition einzuführen. Kirchen und Politiker*innen sind freilich dagegen, aber damit stellen sie sich irgendwie auch gegen die Traditionen des Landes, was die Aktivist*innen von Tochka Opori gut für ihre politische Arbeit nutzen können. Kompliziert, aber genial, wie ich finde. Die Organisation arbeitet viel mit Politiker*innen, die sich in der Ukraine ja eher selten konkret um die Belange der Community kümmern. Zu groß ist die Angst, bei potenziellen Wähler*innen anzuecken. Und was das geplante Gesetz gegen hate crimes angeht? „Sind wir guter Dinge, dass der Text die Rada passiert“, sagt Tymur.

Anders als die Andern – anders als geplant

Nach eineinhalb Stunden intensiven Gesprächs brechen wir Richtung Kino auf, um die Technik für unsere Filmpräsentation einzurichten und den Ablauf zu proben. Wir wollen heute Abend wie beschrieben den Stummfilm „Anders als die Andern“ vom Filmmuseum München zeigen.

Das Kino 42 ist ein kleines Programmkino, wie der Name schon sagt: Mehr als 42 Leute passen nicht in den einen Saal rein. Der Ort der Veranstaltung war bis zum Schluss aus Sicherheitsgründen geheim gehalten worden. Wer den Film sehen wollte, musste sich registrieren.

Filmszene mit Conrad Veidt als Paul Körner in „Anders als die Andern“. Foto: Stanislav Mishchenko

Es kommt ja leider immer wieder vor, dass Rechtsradikale LGBTIQ*-Filmvorführungen blockieren oder stürmen. Im Herbst 2014 haben irgendwelche Idioten bei laufendem Programm das Zhowten-Kino angezündet, als die Betreiberfirma sich anschickte, einen Film mit homosexueller Thematik auszustrahlen. Zum Glück kam damals niemand zu Schaden. Wir haben daraus gelernt: Vor der Türe steht Security. Kostet ein paar Hundert Euro, rentiert sich aber. Ich sehe später, wie sich ein schwules Paar in den Armen liegt, als es im Saal dunkel wird. Nirgendwo sonst könnten sie das in Kyjiw tun. Es ist eine berührende Szene.

Die beste Crew

Der Pandemie wegen konnte Stefan Droessler, der Direktor des Münchner Filmmuseums, leider nicht nach Kyjiw reisen, um „Anders als die Andern“ vorzustellen. Deshalb mussten wir ein bisschen improvisieren, was der Cheflogistiker des Pride, Anton Levdik, nur mit Humor ertrug. Das File mit dem Film hatte das Museum auf Vimeo hochgeladen, sodass wir einfach einen Laptop mit dem Kinoprojektor verbinden konnten.

In der Kürze der Zeit hatten wir es außerdem nicht geschafft, die deutschen Zwischentitel des doch textgewaltigen 51-minütigen Werks durch ukrainische zu ersetzen. Wir haben deshalb einen Erzähler gebeten, die Texte, die wir zuvor von Anna Kolomiitseva haben übersetzen lassen, auf Ukrainisch vorzutragen. Diese verantwortungsvolle Aufgabe hat Edward Reese vom KyivPride geradezu meisterhaft gelöst.

Und den Einführungsvortrag zum Film von Richard Oswald und Magnus Hirschfeld habe ich persönlich gehalten, obwohl ich nun nicht gerade der Experte für Stummfilme bin. Die Umstände waren also kompliziert, was wir gewohnt sind, wenn wir in der Ukraine arbeiten. Es kostet aber trotzdem Nerven.

Edward trägt die Zwischentitel auf Ukrainisch vor. Foto: Stanislav Mishchenko

Und dann – hat alles prima geklappt. Die Ansprachen, die Filmvorführung, das Vortragen. Wir konnten sogar die meisten Fragen aus dem Publikum beantworten, das sich sehr interessiert und begeistert zeigte, dass wir den Film in der Ukraine vorführen, den – soweit ich weiß – in seiner jüngsten Fassung so bislang nur sehr wenige Leute zu Gesicht bekommen haben.

Wir diskutierten nach dem offiziellen Teil noch lange mit Leuten aus dem Publikum, tauschten Adressen aus, haben überlegt, wie wir den Film einem breiten Publikum zugänglich machen könnten – bis uns das Kino aus dem Saal getrieben hat. Da standen wir nun erschöpft, aber glücklich auf der Straße, bis uns das Treiben des nächtlichen Podils mit sich zog. Aber das ist eine andere Geschichte.

Willkommensrede von Edward Reese (l.) vom KyivPride, bevor Conrad Breyer von Munich Kyiv Queer (m.) seine Ansprache hält. Rechts: Dolmetscherin Anna Kolomiitseva. Foto: Stanislav Mishchenko

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