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„Die Angst lähmte mich“

09.04.2023 | cb — Keine Kommentare
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Stas hat seine Heimatstadt Kramatorsk des Krieges wegen verlassen. Besser ist sein Leben seitdem nicht geworden: Die Flucht trat er mit seinem Bruder an, der ihn ablehnt, weil er schwul ist. In Butscha traf er auf einen homofeindlichen Peiniger aus der Schulzeit. Sein Freund floh nach Polen und seinen Job hat Stas inzwischen auch verloren. Jetzt fragt er sich, wie das alles weitergehen soll. Unsere Korrespondentin Iryna Hanenkova hat mit Stas gesprochen.

Mein Name ist Stas. Ich komme aus Kramatorsk. 2014 schon habe ich diese Stadt mehrere Monate unter russischer Besatzung erlebt. Als Russland am 24. Februar 2022 seinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine begann, war ich also bereits vorbereitet auf das, was da kommt.

Mein Freund, heute Ex-Freund, lebte zu Beginn des Krieges in Butscha. Ihr kennt die Stadt aus den Nachrichten. Da ich mir nicht vorstellen wollte, was er dort durchgemacht hat, habe ich ihn bis heute nicht gefragt, was dort geschah. Er will auch nicht wirklich darüber sprechen; ich kann ihn gut verstehen.

Stas. Foto: privat

Aber eines ist mir doch im Gedächtnis geblieben von dem, was er erzählt hat. Als er aus dem Luftschutzkeller kam, um nach Essen zu suchen, verlor er schnell wieder seinen Appetit, weil es überall nach verbrannten Leichen stank.

Im April 2022 beschlossen mein Bruder, seine Familie und ich, Kramatorsk zu verlassen. Gott sei Dank gab es zu dieser Zeit technische Probleme mit den Geldautomaten, so dass sich vor ihnen lange Schlangen bildeten. Ich stand lange an, um Geld zu holen, und wir kamen zu spät zum Bahnhof. An diesem Tag schlug eine Rakete in den Zug ein und tötete 30 Zivilist*innen. Über Hunderte Verletzte waren es. Vielleicht erinnert Ihr Euch. Ich hatte einfach Glück.

Vorwürfe, Streit, Demütigungen

Mein Bruder und ich kommen nicht gut miteinander aus. Er ist nicht glücklich damit, dass ich schwul bin. Nachdem wir nach Dnipro geflohen waren, begann ein Monat voller Erniedrigungen. Ich lebte in einem separaten Zimmer, das ich kaum verließ, und kommunizierte nicht mit ihm und seiner Frau, weil wir immer gleich zu streiten begannen. Ich beschloss, auszuziehen, denn ich fühlte mich verfolgt. Ich bildete mir ein zu hören, wie sie über mich tuschelten, obwohl sie gar nicht zu Hause waren.

Ich ging nach Butscha zu meinem Freund. Hier wohnten wir bei einer Klassenkameradin mit ihrer Familie und – Anton. Anton ist ein Freund des Ehemanns meiner Freundin, und Anton ist ausgerechnet der Typ, der mich in meiner Schulzeit mit seinen Freund*innen nach der Schule verfolgte, mich schlug und verspottete.

Die ersten Wochen waren echt hart: Wieder wurde ich daran erinnert, wer ich war. Die Angst aus meiner Kindheit lähmte mich, machte mich still. Aber mit der Zeit fanden wir zu einem einvernehmlichen Miteinander, obwohl er unerträglich blieb.

Eine Freundin überlebte nur knapp

Mit Einbruch des Winters wurde alles noch schwieriger: Ich verlor meinen Job wegen der ständigen Stromausfälle. Ich brauchte dringend warme Kleidung, denn in meinen Koffer hatte ich in der Panik nichts Passendes eingepackt. Mein Freund floh nach Polen. Ich musste ab sofort ganz allein mit Anton auskommen.

Neulich erst hat das russische Militär wieder meine Heimatstadt Kramatorsk bombardiert und Wohngebäude zerstört. Eine Freundin ist wie durch ein Wunder am Leben; eine Rakete hat ihr Haus getroffen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird, wie ich weiterleben kann, was morgen passieren wird und wie diese Geschichte enden wird. Solange dieser Krieg weitergeht…

So könnt Ihr helfen


EINZELFALLHILFE Munich Kyiv Queer unterstützt mit einer eigenen, privaten Spendenaktion über www.paypal.me/ConradBreyer Menschen in der Ukraine, die Hilfe brauchen und nicht an queere Organisationen angebunden sind. Das ist direkt, schnell und gebührenfrei, wenn Ihr die Option „Geld an Familie & Freunde senden“ wählt. Wer kein PayPal hat, kann alternativ an das Privatkonto von Conrad Breyer, IBAN: DE42701500000021121454, Geld schicken.

HILFE FÜR LGBTIQ*-ORGANISATIONEN Wir haben zum Schutz von LGBTIQ* aus der Ukraine das Bündnis Queere Nothilfe Ukraine mitgegründet. Ihm gehören um die 40 LGBTIQ*-Organisationen in Deutschand an. Sie alle haben ganz unterschiedliche Kontakte in die Ukraine und sind bestens vernetzt mit Menschenrechtsorganisationen vor Ort, die Gelder für die Versorgung oder Evakuierung queerer Menschen brauchen. Spendet hier

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